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Andreas Rettig beklagt die »Gentrifizierung der Bundesliga«

Der Fußballfunktionär über falsche Strategien vor dem Nachhaltigkeitsgipfel der DFL

Nur um noch heller zu glänzen, handelt der Profifußball auch beim Thema Flutlicht und Rasenheizung verantwortungslos.
Nur um noch heller zu glänzen, handelt der Profifußball auch beim Thema Flutlicht und Rasenheizung verantwortungslos.

Am Dienstag findet ein von der DFL organisierter »Nachhaltigkeitsgipfel« in Berlin statt. Was erwarten Sie hiervon?
In jedem Fall etwas Konkretes, also zumindest einen ersten Umsetzungsschritt, der dem Namen des Gipfels Rechnung trägt. Der Fußball ist bislang in vielerlei Hinsicht, vor allem in Sachen Vermarktung, Vorreiter auch für andere Mannschaftssportarten. Jetzt ist es Zeit, auch im Bereich ökologischer Ansätze kreative Denkansätze zu zeigen und die dann auch umzusetzen.

Interview

Andreas Rettig war schon immer ein kritischer Vordenker im Profifußball – sowohl als Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga und des FC St. Pauli und als Manager beim SC Freiburg, dem 1. FC Köln und FC Augsburg. Der 59-Jährige, aktuell Geschäftsführer bei Drittligist Viktoria Köln, sprach mit Christoph Ruf über den fehlenden Willen zur Nachhaltigkeit in diesem Sport. Dabei kritisiert er vor allem die Verbände für deren Symbolpolitik und die falsche Strategie, der Umsatzsteigerung alles unterzuordnen.

Sie selbst haben schon 2019 als Geschäftsführer des FC St. Pauli mehr Ernsthaftigkeit und weniger Symbolpolitik angemahnt. Was ist seither passiert?
Das stimmt, der FC St. Pauli hat schon vor über drei Jahren einen Brief an Präsidium und Geschäftsführung der DFL geschickt und den dringenden Wunsch formuliert, ökologische Nachhaltigkeit mit Priorität zu versehen. Außerdem haben wir angeregt, das ins Lizenzierungsverfahren aufzunehmen.

Stattdessen wurde dann eine »Taskforce Zukunft Profifußball« ins Leben gerufen. Das klang sehr dynamisch.
Und dann gab es im Februar vergangenen Jahres eine Pressekonferenz mit blumigen Aussagen, wie wichtig das Thema doch sei. Im Dezember folgte dann ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit, das auch in die Satzung aufgenommen wurde. Das kostet nichts, bringt aber leider auch nichts Konkretes. Bei dieser Versammlung hatte der SC Paderborn einen sehr weitreichenden Antrag zur Nachhaltigkeit gestellt, der aber leider nicht mehrheitsfähig war. Es fehlt einfach jemand, der das Thema zur Chefsache erklärt und vorangeht

Die neue DFL-Geschäftsführerin Donata Hopfen wird in Berlin erwartet. Würde sie sich für Anträge wie den aus Paderborn aus Überzeugung starkmachen?
An sie werden von allen Seiten Erwartungen und Wünsche herangetragen. Es liegt an ihr, hier die richtige Priorisierung vorzunehmen. Leider stimmen mich ihre ersten öffentlichen Aussagen nicht sehr optimistisch.

Sie spielen auf die Aussage an, man müsse darüber nachdenken, ob nicht mittelfristig ein DFB-Pokalfinale in Saudi-Arabien stattfinden könne. War das ein Ausrutscher?
Die meisten ihrer Aussagen mit Substanz kreisten bisher um die Frage, wie die Liga ihre Umsätze weiter steigern könne. Die Strategie, der Umsatzsteigerung nahezu alles unterzuordnen, ist zu kurz gesprungen – der FC Barcelona lässt grüßen. Zumal ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit ja Perspektivthemen sind, bei denen der Fußball eine ganz entscheidende Rolle spielen kann. Eine Branche, die mit und durch die Öffentlichkeit ihr Geld verdient, braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Wer sich aber Umsatzsteigerungen durch Spiele in Saudi-Arabien vorstellen kann und sich vornehmlich über Wachstum definiert, stellt möglicherweise auch andere Dinge in Frage.

Wie meinen Sie das?
Da sind wir schnell bei einer Gentrifizierung der Bundesliga, wie wir sie beispielsweise aus dem Wohnungsmarkt kennen. Weniger gut Verdienende werden verdrängt. Und wenn ich die jüngsten Preisexplosionen bei einem Rechteinhaber sehe, der Streamingdienste erworben hat (Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist DAZN, das die Gebühren im Sommer auch für Bestandskunden verdoppelt hat), sind das keine guten Vorboten. Der Fußball ist ja auch deswegen als Volkssport so populär, weil nahezu jeder Zugang zu ihm hat.

Aber hat die DFL in den letzten Jahren nicht vieles angestoßen?
Es ist doch jetzt die Rede davon »Nachhaltigkeitskriterien in die Lizenzierungsordnung« übernehmen zu wollen. Bisher ist die DFL-Politik diesbezüglich jedenfalls sowohl unter zeitlichen als auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten zu wenig ambitioniert. Zwar wurden 117 Mindestkriterien definiert, die zu erfüllen sind. Doch das sind zum Großteil Selbstverständlichkeiten, die teilweise längst umgesetzt wurden oder vom Gesetzgeber eh gefordert werden. Harte Kriterien, die über die reine Symbolik hinausgehen, erkenne ich nicht.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Ein Belohnungs- oder ein Sanktionssystem. Man könnte zum Beispiel aus einem DFL-Fonds diejenigen Klubs fördern, die etwa in die Infrastruktur zur Nachhaltigkeit investieren. Warum geht man nicht zusammen mit der Politik die vielen tausend Vereinsheime an und saniert sie energetisch? Der politische Wille ist da. Und natürlich braucht es Sanktionsmechanismen: Wer nichts tut, bekommt dann eben Probleme bei der Lizenzerteilung. Auch da wünsche ich mir mehr Mut.

Ist das nicht ein grundsätzliches Problem der Branche? Der sportliche Erfolg ist das Maß aller Dinge, soziale und ökologische Themen wirken da wie zeitgeistige Feigenblätter …
Die Liga setzt schwerpunktmäßig die falschen Anreize, wenn sie nahezu ausschließlich den Tabellenstand eines Vereins honoriert. Dann wird auch in erster Linie in kurze Hosen investiert, da das auch den angelockten Investoren durch Prämienzahlungen einen kurzfristigen Return on Invest verspricht. So nimmt das Rattenrennen der wirtschaftlichen Unvernunft Fahrt auf.

Was wären Ihre konkreten Forderungen?
Vor der Pandemie hatten wir pro Saison über 13 Millionen Stadionbesucher in der ersten und noch mal sechs Millionen in der zweiten Liga, die fahren alle zum Stadion. Auch in Sachen ökologisches Mobilitätskonzept habe ich von den Verbänden nichts gehört. Stattdessen muss jetzt die Lux-Zahl beim Flutlicht erhöht werden, um noch bessere TV-Bilder zu bekommen. Auch das geht genau in die falsche Richtung. Wir können die Natur nicht mehr ignorieren.

Was schlagen Sie vor?
Ich glaube nicht, dass der Spielplan noch lange gegen die Natur aufgestellt werden kann. Nehmen wir die vorgeschriebenen Rasenheizungen, eine gigantische Umweltsünde: Wir schaffen künstliche Veranstaltungen, Frostfreiheit, damit auch im Winter Brot und Spiele inszeniert werden können. Warum stellen wir stattdessen nicht aufs Kalenderjahr um? Man spielt von März bis Dezember und spart enorm viel Öl und Gas, das für Flutlicht, Rasenheizung oder all die beheizten Innenräume anfällt, die jedes Wochenende bis runter in den Amateurbereich betriebsbereit gehalten werden müssen.

Viele Vereine argumentieren dagegen, dass dann das Weihnachtsgeschäft der Medienpartner in Mitleidenschaft gezogen würde.
Da sage ich: Na und? Dann werden eben kleinere Brötchen gebacken.

Wolfsburgs Geschäftsführer Michael Meeske wurde jüngst mit der Aussage zitiert, man könne die Wettbewerbsfähigkeit der Liga nicht dadurch sichern, dass man alles so lasse, wie es ist, und nur etwas sozialer und ökologischer werde. Oliver Kahn hat sich ähnlich geäußert. Gibt es in Sachen Nachhaltigkeit gerade einen Kulturkampf in der Liga?
Es wird manchmal suggeriert, dass sich Geldverdienen und Nachhaltigkeit ausschließen, das ist falsch. Der Fußball wird dann kein Geld mehr verdienen, wenn seine Stakeholder sich abwenden, weil sie keine glaubwürdige ökologische Nachhaltigkeitsstrategie erkennen. Die jungen Leute gehen freitags für ökologische Themen auf die Straße, die werden Samstag nicht ihr Geld ausgeben für Veranstaltungen, die diese Themen nicht ernstnehmen. Viele Manager fragen sich ja gerade, ob die Bundesliga die jungen Leute verliert. Dazu kann ich nur sagen: Wenn sie so weitermacht, auf jeden Fall.

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