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Die DFB-Fußballerinnen sind schon vor dem Finale Gewinnerinnen

Warum das flirrende Finale gegen England in Wembley ein großer Genuss wird

  • Frank Hellmann, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Bodenständige Erfolgsbotschafterinnen: Die Frauen bewirken mit ihren EM-Auftritten viel für den deutschen Fußball.
Bodenständige Erfolgsbotschafterinnen: Die Frauen bewirken mit ihren EM-Auftritten viel für den deutschen Fußball.

Fast ein bisschen schade, dass am Donnerstag bereits ein Hauch von Schwermut in der Luft lag. Auch wenn der Syon Park in Brentford wie alle Grünanlagen Londons wegen der Trockenheit ziemlich mitgenommen aussieht, hätte die Delegation des deutschen Frauen-Nationalteams ihren Stammsitz nicht gern genau jetzt aufgegeben, wo die EM mit dem flirrenden Finale am Sonntagabend zwischen England und Deutschland in Wembley auf ihren Höhepunkt zusteuert. Während zwischen Kiel und Konstanz eine ungeahnte Aufbruchstimmung zu spüren ist, herrschte zwischen den spitzen Giebeln der liebgewonnenen Herberge eine eigenartige Abschiedsstimmung.

Es gehört zu den Ungereimtheiten dieser ansonsten hervorragend orchestrierten Veranstaltung, dass der Finalist Germany gezwungen wird, sein Basiscamp aufzugeben, um jetzt noch viel weiter raus in ein luxuriöses Landhotel nach Watford zu ziehen. Dass dieser umständliche Umzug in die Grafschaft Hertfordshire an einen alten Adelssitz kaum einen Sinn ergibt, ficht die Organisatoren einerseits nicht an. Die Uefa wollte es so. Andererseits muss sich das DFB-Team auch nicht beklagen: Vielleicht hätten kraftvolle Deutsche den Abnutzungskampf in Milton Keynes gegen die eleganten Französinnen nicht 2:1 gewonnen, wenn sie nicht zwei Tage mehr Erholungszeit gehabt hätten – ein Wettbewerbsnachteil, den Nationaltrainerin Corinne Diacre ausdrücklich beklagte.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg verlor über diesen Umstand keine Silbe. Warum auch? Die immer noch nicht müde Powerfrau vom Niederrhein ist voller Vorfreude auf den Showdown gegen energiegeladene Engländerinnen. »Es wird ein großartiges Fußballfest, das ist ein Klassiker. Was England in diesem Turnier gezeigt hat, ist natürlich brutal gut.« Vor fast 90 000 Menschen in Wembley zu spielen, die den Rückhalt einer nach einem Fußball-Titel dürstenden Nation transportieren werden, elektrisiert die Trainerin: »Wenn uns das vor der EM jemand gesagt hätte, dass das passieren würde, mit den vielen Geschichten, den Ausfällen, mit allem, was wir verkraftet haben, dann hätte man sich kneifen können.«

Immer wenn ihre Spielerinnen auf Pressekonferenzen über den besonderen Zusammenhalt reden, setzt die 54-Jährige ein Lächeln auf, wie es sonst nur Mütter tun, deren Töchter gerade eine Eins im Sozialverhalten im Klassenzeugnis nach Hause gebracht haben. Ihre 23 Vorzeigefrauen, fast schon die neuen Lieblinge der Nation, können auch mit Blick auf die Historie – Deutschland hat alle acht EM-Endspiele gewonnen – weiter diese Welle reiten, um den ersten Titel seit dem Olympiasieg 2016 zu gewinnen, den damals doch mit strengerer Hand regierende Erfolgsgarantin Silvia Neid anleitete.

Die von Voss-Tecklenburg mit mehr Eigenverantwortung betraute Generation weiß zudem, wie sich ein Sieg in Wembley anfühlt: Auch wenn es nur ein Testspiel war, aber der 2:1-Sieg vom 9. November 2019 ist etwas, an das sich Torhüterin Merle Frohms »jetzt wieder gerne erinnert«: Sie hatte damals einen Elfmeter gehalten. Daumen drückt jetzt auch der von gefühlt jedem englischen Fußballfan geliebte Trainer-Heilige Jürgen Klopp, der sich mit einer anerkennenden Videobotschaft gemeldet hat. Eine von vielen Koryphäen des Männerfußballs, die plötzlich etwas über die DFB-Frauen zu sagen haben.

Dass Politiker gerne auf einen Erfolgszug springen, ist auch bekannt. Nachdem am Mittwochabend mehr als zwölf Millionen Zuschauer den Fernseher eingeschaltet haben, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz umgehend sein Kommen an; wenig hilfreiche Tweets mit populistischem Unterton zum Thema Equal Pay wird er sich hoffentlich diesmal ersparen. Dass aber die Debatte um eine angemessene Bezahlung der Spielerinnen nicht ausgestanden ist, war DFB-Präsident Bernd Neuendorf anzumerken. Einerseits schwärmte er nach dem Halbfinalsieg gegen Frankreich von der »tollen Vorbildfunktion, erfrischenden Gesichtern und starken Charakteren« und betonte, wie sehr er sich freue, »dass Spielerinnen, die vor drei, vier Wochen noch nicht bekannt waren, jetzt in aller Munde sind«. Andererseits erstickte er jegliche Anregung, ob die vereinbarten Erfolgszahlungen – 60 000 Euro für den Sieg, 30 000 Euro als Zweiter – vielleicht noch erhöht werden könnten.

Die Verhandlungen seien abgeschlossen, bekundete der Verbandsboss und schob gegenüber »nd« hintendran: »Ich glaube, dass es jetzt primärer ist, den Pokal in die Luft zu recken. Das ist jetzt das Allerwichtigste.« Dass der DFB-Boss jedoch nicht abgeneigt ist, für die WM 2023 in Australien und Neuseeland auch die finanzielle Belohnung allesamt bodenständiger Protagonisten zu erhöhen, die für den deutschen Fußball gerade eine unbezahlbare Imagewerbung erbringen, war trotz Sicherheitsabstand in der Mixed Zone dann doch bei ihm herauszufiltern. Und klar, auch Neuendorf kommt am Sonntag aufs Neue nach London.

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