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Über dem Pflaster erklingt die Musik

Melodischer Protest gegen die A100 muss auf andere Autobahn ausweichen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.
Intervention aus einer anderen Welt: Am Dienstag trat Lebenslaute noch in der Kreuzberger Taborkirche auf, zwei Tage später geht es auf die Autobahn.
Intervention aus einer anderen Welt: Am Dienstag trat Lebenslaute noch in der Kreuzberger Taborkirche auf, zwei Tage später geht es auf die Autobahn.

Mit Joseph Haydn gegen das Bundesverkehrsministerium, mit Rio Reiser gegen den Berliner Senat, mit klassischer Musik für eine sozial gerechte Verkehrswende – mit dieser Botschaft wollte die aktivistische Konzertgruppe Lebenslaute an diesem Donnerstag eigentlich den Verkehrslärm von der Berliner Stadtautobahn A100 verdrängen. Stattdessen findet das Protestkonzert »Musizieren statt Betonieren – Verkehrswende jetzt – A100 stoppen« nun aber auf der nach Steglitz führenden A103 statt. Die Nutzung des ursprünglichen Versammlungsortes auf der A100-Auffahrt in Tempelhof hatte die Versammlungsbehörde der Berliner Polizei Ende vergangener Woche untersagt.

Begründet wird das unter anderem mit dem »Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs«, wie es in dem polizeilichen Bescheid heißt, der »nd« vorliegt. »Das finden wir ziemlich heftig. Eine Stadtautobahn und Leichtigkeit sind ein Widerspruch in sich«, kritisiert Hans Christoph Stoodt von Lebenslaute gegenüber »nd«. Laut Polizei handelt es sich dabei keinesfalls um ein Verbot, mit dem Bescheid »wurde die Versammlung lediglich beschränkt«, erklärt Thilo Cablitz, Sprecher der Polizei Berlin, auf nd-Anfrage. Schließlich sei den Musiker*innen ein alternativer Versammlungsort auf der A103, Höhe Saarstraße, zugewiesen worden. »Im Ausgleich der widerstreitenden Rechtsgüter, der öffentlichen Sicherheit auf der einen und der Versammlungsfreiheit auf der anderen Seite, war dies erforderlich. Der thematische Bezug wird hierdurch nicht berührt«, erklärt Cablitz weiter.

Hans Christoph Stoodt widerspricht: Die A100 und die Pläne des Bundesverkehrsministeriums, diese über Treptow hinaus Richtung Prenzlauer Berg auszubauen, seien zentrales Thema des Lebenslaute-Jahreskonzerts. »Seit Januar beschäftigen wir uns damit und jetzt bekommen wir etwas völlig anderes präsentiert«, sagt er. Auch die Bürger*inneninitiative A100, die das Konzert unterstützt, äußert den Eindruck, dass »der ›Leichtigkeit des Straßenverkehrs‹ höhere Gewichtung als dem Versammlungsrecht gegeben wird«, wie Briti Beneke von der Initiative sagt. Dennoch hat sich Lebenslaute auf den Kompromiss eingelassen, denn ausfallen sollte der Protest auf keinen Fall.

Zufrieden sind die Musiker*innen damit jedoch nicht. »Dass eine Berliner Behörde so vorgeht, wirft ein bezeichnendes Licht auf ihre Behauptung, dem Bau dieser klimaschädlichen Autobahn kritisch gegenüberzustehen. Wir werden das eben selber in die Hand nehmen müssen«, sagt Viola Forte von Lebenslaute. Stoodt erinnert das Vorgehen an den Umgang der schwarz-grünen Landesregierung in Hessen mit dem Ausbau der A49, für den der Dannenröder Forst weichen musste. »Der Berliner Senat sagt zwar, wir wollen den Ausbau gar nicht, aber wir müssen ja. Mit dem Finger auf die Bundesregierung zu zeigen, ist vorgeschoben«, findet er. Dass die A100 nicht für das Konzert genutzt werden darf, hält der Musiker für ein »politisches Statement«.

Dennoch will sich Lebenslaute nicht unterkriegen lassen. Schon seit 1986 engagieren sich in der Sinfoniekonzert- und Aktionsgruppe bundesweit Musiker*innen, um zivilen Ungehorsam mit klassischer Konzertmusik zu verbinden, indem sie an Orten auftreten, an denen Menschen und Natur besonders bedroht sind, ob vor Ausländerbehörden, im Braunkohletagebau beim nordrhein-westfälischen Lützerath oder vor dem Sitz des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch in Baden-Württemberg. »Das ist eine Intervention aus einer völlig anderen Welt als sonstige politische Aktionen. Die Musik hat eingreifenden Charakter, weil niemand damit rechnet«, erklärt Stoodt, der selber Cello spielt, beim heutigen Konzert jedoch im Chor singen wird.

Wenn Lebenslaute unangemeldete Protestkonzerte spielt, sei die Polizei schon mal sehr verunsichert, »weil sie nicht weiß, wie man einen Kontrabass räumt«, erzählt Stoodt. Beschädigt worden seien Instrumente bislang nur einmal im Dannenröder Forst, dennoch hätten die Musiker*innen für solche Gelegenheiten »Kampfinstrumente«, die auch mal einen Kratzer abbekommen dürfen.

Lebenslaute tritt aber auch an herkömmlichen Konzertorten auf. Im Rahmen der diesjährigen Aktionswoche »Klassische Musik – Politische Aktion« in Berlin spielte die Gruppe am Dienstag bereits ein Vorkonzert in der Kreuzberger Taborkirche. Etwa 250 Menschen lauschten unter anderem einer Vertonung des Gedichts »Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt« von Günter Eich oder der Hymne der Pariser Revolte von 1968: »Unter dem Pflaster, da liegt der Strand«. Verbunden wurde dies mit den Forderungen nach einem Baustopp der A100 und nach einem Tempolimit sowie Solidarität mit den zeitgleich stattfindenden Protesten in Lützerath.

Beim Protestkonzert gegen den Weiterbau der A100 am Donnerstagnachmittag werden etwa 100 Musiker*innen mit klassischem Orchester und Chor den Verkehr unterbrechen – wenn auch auf der A103. Die Stummelautobahn zwischen dem Kreuz Schöneberg und dem Steglitzer Kreisel soll übrigens schrittweise zurückgebaut werden. So haben es SPD, Grüne und Die Linke in Berlin Ende vergangenen Jahres im Koalitionsvertrag zumindest festgehalten.

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