Queere Elternschaft als finanzielles Privileg

Die geplanten Änderungen im Abstammungsrecht entsprechen einer Schmalspurreform, meint die Juristin Lea Beckmann

Die Bundesregierung will noch in diesem Jahr das Abstammungsrecht ändern und so Regenbogenfamilien heterosexuellen Paaren gleichstellen. Inwiefern sind die bislang nicht gleichberechtigt?

Das Abstammungsrecht ist der Teil im Bürgerlichen Gesetzbuch, der eine Zuordnung von Kindern zu Eltern vornimmt und die Eltern rechtlich zur Sorge verpflichtet. Das aktuelle Recht sieht zwei Elternstellen vor, nämlich die Mutter und den Vater, das ist auch der Wortlaut des Gesetzes. Die Diskriminierung findet an mehreren Punkten statt: einmal auf der Elternstelle der Mutter, also der Person, die das Kind gebärt. Das kann ein trans Mann sein, der längst seinen Vornamen und Personenstand nach dem Transsexuellengesetz hat korrigieren lassen, oder eine Person, die den Eintrag »divers« oder keinen Eintrag hat. In der Geburtsurkunde des Kindes wird dieser Elternteil aber als »Mutter« und auch mit dem alten Vornamen eingetragen. Dort steht also eine Person, für die es gar keinen Pass mehr gibt, die so nicht existiert und die auch das Kind nicht kennt. Das führt für den Elternteil zum Zwangsouting und bringt absurde und tragische Folgeprobleme mit sich.

Interview


Lea Beckmann ist Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Die spendenfinanzierte Menschenrechtsorganisation versucht, durch strategische Klagen über den Einzelfall hinaus Grund- und Menschenrechte zu stärken und zu schützen.
Beckmanns Arbeitsschwerpunkt liegt auf Verfahren gegen Diskriminierung, etwa den Klagen mit zwei Familien auf gleiche Rechte. Denn das Abstammungsrecht bietet keine Möglichkeit, dass Kinder in Regenbogenfamilien bereits zum Zeitpunkt der Geburt ein zweites rechtliches Elternteil haben können und zwingt zur sogenannten Stiefkindadoption. Über die dringend notwendige Reformierung des Gesetzes sprach sie mit Birthe Berghöfer.

Auf der Elternstelle zwei besteht das Problem, dass, wenn die Mutter mit einer Frau verheiratet ist oder einer Person, die »divers« oder keinen Geschlechtseintrag im Ausweis stehen hat, dann diese Person erst gar nicht in die Geburtsurkunde eingetragen wird. Das Kind hat dann nur ein Elternteil, nur dieser Elternteil ist zur Sorge und zum Unterhalt verpflichtet. Die Mutter gilt rechtlich als alleinerziehend. Auch die Vaterschaftsanerkennung beim Standesamt gibt es so nur für Männer. Der zweite Elternteil in queeren Familien kann rechtlich nur über ein Adoptionsverfahren Elternteil werden, was wiederum langwierig und aufwendig ist. Dabei werden Aspekte wie Gesundheit und Finanzen abgefragt und viele private Fragen gestellt. Man muss auch sagen, dass damit ein enormer Verwaltungsaufwand ohne Sinn und Verstand kreiert wird. Jugendämter und Gerichte, die Adoptionsverfahren machen, raufen sich oft selbst die Haare, weil das im Grunde unsinnige Arbeit ist: Da entscheidet sich ein Paar gemeinsam für eine Schwangerschaft und ein Kind und dann soll nachher überprüft werden, ob der zweite Elternteil das Kind adoptieren darf.

Bei heterosexuellen Paaren wird der Vater zum Zeitpunkt der Geburt Elternteil, entweder über die Ehe zur Mutter oder über eine Anerkennung. Beide Male spielt die biologische Vaterschaft für die rechtliche Vaterschaft keine Rolle.

Exemplarisch für die Diskriminierung nicht-heterosexueller Eltern ist der Fall der Familie Akkermann, der auch unter dem Hashtag #PaulaHatZweiMamas Aufmerksamkeit bekam. Worum geht es da?

Gesa und Verena Akkermann sind schon sehr lange zusammen und hatten lange einen Kinderwunsch. Letztendlich haben sie eine Embryonenspende wahrgenommen. Es war von vornherein klar, dass es für Gesa Teichert-Akkermann, die Paula ausgetragen hat, eine Risikoschwangerschaft werden würde. Für die beiden war das eine besondere Angst. Denn das Abstammungsrecht lässt ja nicht zu, dass schon vor der Geburt geklärt werden kann, dass Verena Akkermann die zweite Mutter ist. Wenn Gesa Teichert-Akkermann etwas zugestoßen wäre, dann wäre unklar gewesen, was aus Paula wird. Die Geburt war für die beiden Eltern deshalb mit großen Ängsten verbunden, und die ganze Ungerechtigkeit der aktuellen Rechtslage hat die beiden wütend gemacht. Und sie kämpfen seither mit uns von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und ihrer Anwältin Lucy Chebout vor Gericht dafür, dass ihre Tochter Paula rechtlich zwei Mütter hat. Ich bewundere die beiden sehr, denn sie haben damit viel losgetreten – und etliche weitere Familien motiviert zu klagen, etwa in der großartigen Initiative Nodoption.

Sie kritisieren das bislang bekannte Vorhaben von Justizminister Marco Buschmann als eine Schmalspurreform. Warum?

Meines Erachtens gibt es im Kern zwei Aspekte, die bei der Zuordnung eines Kindes zu Eltern im Geburtszeitpunkt berücksichtigt werden müssen: dass nicht nur offizielle, sondern auch private Samenspenden erfasst werden, und dass das Gesetz geschlechtsneutral formuliert wird, damit auch Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Eintrag »divers« erfasst werden.

Warum ist etwa die Nichtberücksichtigung privater Samenspenden problematisch?

Ein ganz wesentlicher Teil der Kinder aus Regenbogenfamilien stammen aus privaten Samenspenden und die würden nach wie vor nach der Geburt nur ein rechtliches Elternteil haben. Bei der offiziellen Samenspende hat der Spender klar gesagt, er möchte keine Elternrechte wahrnehmen und kann das nach der aktuellen Rechtslage auch nicht nachträglich korrigieren. Bei privaten Samenspenden wird pauschal die zweite Elternstelle freigelassen, um – in einem vermutlich verschwindend geringen Fall der Fälle – die Möglichkeit zu haben, dass der Samenspender als zweites Elternteil nachrückt, also etwa eine Vaterschaft gerichtlich feststellen lässt. Das ist problematisch, weil man quasi die Kinder mit einer schlechteren Absicherung ausbaden lässt, dass der private Spender die Gelegenheit haben soll, eventuell mal ein rechtliches Elternteil zu werden. Gleichzeitig gilt das nicht für private Samenspender bei heterosexuellen Paaren. Das privilegiert die Samenspender in queeren Konstellationen und diskriminiert vor allem die Kinder – für Ausnahmefälle, in denen der Samenspender auf eine Elternstelle nachrücken möchte.

Dabei gibt es bereits private Absprachen, bei denen der Samenspender zum Beispiel als Patenonkel Verantwortung übernimmt. In der Praxis wird sozusagen gewünschte Teilhabe bereits möglich gemacht.

Es gibt auch rechtlich abgesicherte Möglichkeiten für den Spender, eine Rolle im Leben des Kindes zu übernehmen. Dafür muss man den Kindern nicht den zweiten Elternteil versagen. Was auch problematisch ist: Wenn man die offizielle Samenspende bevorteilt, dann begünstigt man damit letztendlich auch Menschen mit Geld. Eine offizielle Samenspende kostet ganz schön viel Geld. Es kann meines Erachtens nicht sein, dass man ein lukratives Geschäftsmodell von Samenbanken und Kinderwunschzentren unterstützt und queere Elternschaft zu einem finanziellen Privileg macht.

Sie unterstützen Betroffene vor Gericht und kennen die Interessen nicht-heterosexueller Eltern. Können Sie Ihre Expertise in den Vorbereitungen für die Reform einbringen?

Wir haben uns an das Justizministerium gewandt, um unsere Sichtweise darzustellen, jedoch ohne Erfolg. Dabei arbeiten wir ja nicht nur mit Betroffenen zusammen, sondern auch mit erfahrenen Rechtsanwält*innen und Rechtswissenschaftler*innen. Nach etlichen gemeinsamen Jahren vor Gericht haben wir eine wirklich besondere Expertise entwickelt, die wir gern auch konstruktiv einbringen möchten. Wir haben jedoch keine Gelegenheit bekommen, in einem Gespräch darzulegen, was unser Vorschlag für eine Reform wäre.

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