Speiseöl ist in Deutschland derzeit so teuer wie noch nie

Die vermeintlich unerklärlichen Preissprünge haben ihre Ursache in der Lieferkette

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 5 Min.
Jeder Tropfen Sonnenblumenöl ist heutzutage kostbar.
Jeder Tropfen Sonnenblumenöl ist heutzutage kostbar.

Verbraucher müssen sich in den kommenden Monaten auf weiter steigende Lebensmittelpreise einstellen. Nach einer Ifo-Umfrage plant fast jeder befragte Händler Preiserhöhungen. Familien mit niedrigem Einkommen tragen aktuell die höchste Inflationsbelastung. Der Grund ist die besonders hohe Bedeutung, die Grundnahrungsmittel für deren Haushaltskassen haben. Namentlich pflanzliche Speiseöle, die zum Braten, Backen und für Salate verwendet werden, sind im Einzelhandel teilweise gar nicht oder nur zu Preisen zu bekommen, die drei- oder viermal so hoch sind wie noch vor wenigen Wochen. So kostet aktuell ein gängiges Sonnenblumenöl einer bekannten Marke in einem Hamburger Supermarkt statt 1,49 Euro nun 4,99 Euro.

Gastronomie und Lebensmittelindustrie spüren ebenfalls den Mangel. Hersteller von Pizza und tiefgefrorenem Hähnchencurry müssen ihre Rezepte anpassen, und eine Fastfood-Kette hat den Anteil des Sonnenblumenöls am Frittierfett reduziert. Die gute Nachricht: Es werden weiterhin Pommes gebrutzelt. Die schlechte: Im Hintergrund sendet der Markt schrille Signale.

Für das fehlende Sonnenblumenöl macht der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (OVID) den Ukraine-Krieg verantwortlich. So seien die Ukraine und Russland die weltweit wichtigsten Exportländer für Sonnenblumenöl. Bombardierte und blockierte Häfen, ein Exportstopp sowie eine ausbleibende Neuaussaat für die diesjährige Ernte dürften die Versorgung im laufenden Wirtschaftsjahr erheblich einschränken.

Ob eine Verdoppelung des heimischen Sonnenblumen-Anbaus in diesem Jahr, wie ihn das Statistische Bundesamt jüngst vermeldete, zur Linderung beiträgt, ist jedoch fraglich. Demnach beläuft sich die Anbaufläche für Sonnenblumen in diesem Jahr auf 85 300 Hektar – im Vergleich zu 2021 ein Plus von 122 Prozent.

Doch die Branche behauptet eine Abhängigkeit von der Ukraine, die es so nicht gibt. Ein weit weniger dramatisches Bild malt daher der Deutsche Raiffeisenverband. Der Dachverband der genossenschaftlich organisierten Agrar- und Ernährungswirtschaft mit bundesweit über 1700 Mitgliedsunternehmen sitzt gewissermaßen an der Quelle. Nach seinen Zahlen werden weltweit in der Erntesaison 2021/22 über 57 Millionen Tonnen Sonnenblumenkerne produziert, davon ein erheblicher Teil in Russland und der Ukraine. Doch in allen Ländern wird vor allem für den heimischen Markt produziert. So werden lediglich drei Millionen Tonnen ausgeführt. Davon entfallen gerade mal 4,8 Prozent auf die Ukraine.

Die ukrainische Agrarindustrie ist als Lieferant von Öl allerdings von weit größerer Bedeutung für die EU. Sonnenblumenkerne werden dazu »gecrackt« und in Mühlen zu Rohöl verarbeitet. Dieses Rohöl wird exportiert und vor allem in Hafenstädten wie Rotterdam oder Hamburg in Raffinerien markttauglich veredelt.

Im Wirtschaftsjahr 2020/21 kamen nach Recherchen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft in Berlin rund 88 Prozent der Sonnenblumenöl-Importe aus der Ukraine, rund 1,5 Millionen Tonnen. Im laufenden Wirtschaftsjahr importierte die EU bis Ende Februar insgesamt rund 1,3 Millionen Tonnen, davon stammten 1,1 Millionen aus der Ukraine.

Solche vermeintlichen Abhängigkeiten bei Importen übersehen leicht, dass wir es bei Speiseölen nicht mit Erdöl zu tun haben. Während fossile Brennstoffe fast vollständig importiert werden, werden Ölsaaten auch innerhalb der EU massenhaft produziert. Die Ukraine mag zwar der größte Importeur für die EU sein, abhängig ist die EU deshalb nicht. Sie produziert nämlich selber große Mengen Sonnenblumenkerne. Für das Wirtschaftsjahr 2021/2022 wird die Ernte auf 10,5 Millionen Tonnen geschätzt.

Ein stofflicher Mangel ist also selbst bei einem längeren Lieferausfall nicht zu erwarten. Das belegt erst recht ein Blick auf eine zweite wichtige Ölsaat, den Raps. Ernährungswissenschaftler halten Öl aus Raps sogar für die gesündere Variante. In der EU werden 17 Millionen Tonnen Rapssaat produziert – Russland und die Ukraine kommen zusammen gerade mal auf 5,8 Millionen, die hauptsächlich für den heimischen Markt produziert werden. Soja, weltweit die Nummer eins, spielt in Europa als Speiseöl kaum eine Rolle. Anders als (preiswertes) Palmöl aus Asien, das vor allem in der Lebensmittelindustrie beliebt ist.

Dabei werden Ölsaaten nur in geringem Umfang als Speiseöl für private Haushalte vermarktet – bei Raps liegt der Anteil bei etwa zwei Prozent. Der Großteil der Pflanzenöle wird in der Industrie eingesetzt. In jedem dritten Lebensmittel sind sie enthalten und sogar in vier von fünf Produkten des täglichen Bedarfs. Für Kosmetikartikel werden sie genauso verwendet wie auch in der Pharmazie sowie für die Herstellung industrieller Grundchemikalien und für Bio-Sprit an der Tankstelle. Feste Bestandteile wie der Presskuchen werden zu Tierfutter verarbeitet.

»Fundamental« lassen sich die exzessiven Preissprünge im Supermarkt also nicht erklären. Ähnlich wie bei fossilen Brennstoffen spielt die Struktur des Wirtschaftszweiges eine Rolle. Die heute angebotenen Öle stammen aus der Ernte des vergangenen Jahres. Da feste Preise in langfristigen Kontrakten zwischen Lieferant und Verarbeiter üblich sind oder über Börsen abgesichert werden können, liegt das eigentliche Preis-Problem in der Lieferkette verborgen.

»Die Verarbeitung in Deutschland ist stark konzentriert«, kritisiert die Bundesanstalt für Landwirtschaft in Bonn. Dies verschafft wenigen Großhändlern, Ölmühlen und Raffinerien eine Marktmacht, die den Wettbewerb drosselt und die Preise in die Höhe treibt. Ähnlich »vermachtet« sind Lebensmittelindustrie und Einzelhandel, die offenbar ebenfalls das Alibi »Ukraine« ausnutzen, um auf erhöhte Einkaufspreise ihrerseits noch eins draufzulegen. Wir haben es hier, wie in der Mineralölwirtschaft auch, mit einem sehr schnellen Abgucken und Nachmachen zu tun. Förmlicher Absprachen, welche das Kartellamt erst auf den Plan riefen, bedarf es dazu nicht.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal