Feuerfest ist kein Wald

Europa erlebt ein Rekordjahr bei Bränden. Wie der beste Schutz dagegen aussehen könnte, ist unklar

Wenn die Loreley noch immer auf ihrem Felsen oberhalb des Rheins sitzen würde, wäre der liebliche Klang ihrer Stimme am vergangenen Wochenende von Sirenengeheul und dem Lärm eines Löschhubschraubers übertönt worden. Wenige Kilometer flussabwärts brannte der Wald. Die Feuerwehr musste zu besonderen Maßnahmen in dem unwegsamen Gelände greifen – ein geländegängiges Fahrzeug und Löschrucksäcke kamen zum Einsatz. Der kleine Brand auf 400 Quadratmeter war nach einigen Stunden gelöscht.

Viele Regionen in Europa kamen in diesem Jahr nicht so glimpflich davon, wie aus den Statistiken des European Forest Fire Information System (EFFIS) hervorgeht, das Daten des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus auswertet. Relativ am stärksten betroffen waren demnach bisher Portugal und Rumänien, wo seit Jahresbeginn auf fast 0,7 Prozent der Gesamtfläche Wälder abbrannten. In absoluten Zahlen ist Spanien Spitzenreiter mit 236 750 Hektar, was etwa der Fläche des Saarlands entspricht. Auch wenn seit Jahren das Ausmaß der Waldbrände in Europa zugenommen hat, gibt es laut den EFFIS-Angaben 2022 einige »Anomalien«: Üblicherweise beginnt die Waldbrandsaison Ende Juli so richtig. In diesem Jahr gab es bereits Ende März und im Juni große Feuersbrünste, insbesondere im Südwesten des Kontinents. Gründe waren die anhaltende Dürre und für die Jahreszeit hohe Temperaturen. EU-weit registriert wurden – Stand 9. August – bisher 2217 größere Waldbrände, eine Rekordzahl und mehr als vier Mal so viel wie im Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2021 zu diesem Zeitpunkt.

In nicht wenigen Regionen wie Südwestfrankreich und auch in Mittel- und Mittelosteuropa haben die Brände ein nie gekanntes Ausmaß angenommen. So ist die in Deutschland bisher betroffene Fläche neun Mal so groß wie in einem Durchschnittsjahr. Und der Sommer dauert noch lange. Viele Länder betreten Neuland: In der Bundesrepublik waren früher nur bestimmte Gegenden, etwa in Brandenburg mit seinen Kiefernmonokulturen, betroffen. Aber wie gerade die Brände in der Sächsischen Schweiz zeigen, trifft es nun auch ganz andere Gebiete mit vielfältigem Bewuchs.

In den vergangenen Jahren waren die Forsten vor allem wegen der schweren Waldschäden im Zuge der Dürre von 2018 bis 2020 zum Thema der Politik geworden. Rund 400 000 Hektar oder drei Prozent der gesamten Waldfläche gingen verloren. Vor allem der Borkenkäfer hatte leichtes Spiel mit den dürregestressten Bäumen. Der Bund entwickelte eine Waldstrategie und fördert Umbauprojekte mit kleineren Summen. Hier gibt es einen Königsweg: »Resiliente Wälder sind standortangepasste, gemischte Wälder, die idealerweise ein echtes Waldinnenklima besitzen und somit dunkler, feuchter, kühler und windstiller sind«, erläutert Marcus Lindner vom European Forest Institute in Bonn. »Totholz sollte im Bestand gelassen werden, damit vermehrt Kohlenstoff und Wasser auf und im Boden gespeichert wird, was gleichzeitig fördernd für die Waldverjüngung ist.«

Doch dies kann mit dem Waldbrandschutz in Konflikt geraten: »Ein Waldbrand beginnt mit einem Bodenfeuer, das primär durch feines Brennmaterial der Bodenvegetation (der Gras- und Krautschicht) und durch die Streuauflage (Nadel- und Blattstreu und feines Zweigmaterial) getragen wird und auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit bestimmt«, sagt Johann Goldammer, Leiter der Arbeitsgruppe Feuerökologie am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Totholz wiederum sorge dafür, dass das Feuer in den Boden eindringt und die Wurzeln beschädigt. »Lebendes und abgestorbenes Brennmaterial, das zwischen dem Boden und dem Kronenraum in Form von Ästen, Zweigen und zusammengebrochenen Stämmen angeordnet ist, bildet zudem ›Feuerbrücken‹ oder ›Feuerleitern‹, die den Übergang des Bodenfeuers in ein Kronenfeuer und damit ein ›Vollfeuer‹ ermöglichen.«

Waldexperte Lindner weiß um die Problematik und rät zu »Schutzzonen« entlang Wegen, Bahnlinien und Siedlungen, wo Feuer durch Fahrlässigkeit üblicherweise entstünden. Hier müsse das brennbare Material am Boden durch intensivere Bewirtschaftung »manipuliert« werden, so dass sich Brände langsamer ausbreiten und die Feuerwehr diese besser bekämpfen kann.

Goldammer wiederum relativiert das »Postulat«, dass durch Umbau von reinen Nadelholzbeständen in Mischwälder die Resilienz gegenüber Dürre und Feuer erhöht werde. Es gebe Hinweise darauf, dass sich vor allem Buchenwälder bei langen Dürren »durch den trockenheitsbedingten Abwurf von Blättern und Ästen auflichten«. Das wiederum könne Bodenfeuer begünstigen. Der Feuerökologe rät dazu, in größeren Waldflächen Nadelholzkorridore etwa aus auseinanderstehenden Kiefern zu bilden. Diese Lichtwälder, auch »helle Taiga« genannt, könnten als Waldbrandpufferzonen dienen, auch da sie den Zugang für Feuerwehren erleichtern.

Es ist also nicht klar, wie Brandschutz im Wald am besten aussehen kann. In zahlreichen Projekten wird daran geforscht. Wunder darf man sich davon nicht erwarten: »Feuerfest und nicht-brennbar ist kein Wald«, sagt Marcus Lindner vom European Forest Institute in Bonn. »Wenn es lange genug trocken ist, wird alle Biomasse zu Brennmaterial.«

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