Schön hart

Beim »Summer Breeze«, dem zweitgrößten Metal-Festival der Republik, treffen zwei Welten aufeinander. Und kommen bestens miteinander klar

Ice Ice Baby. Anderes Genre, aber selbst Metalheads müssen zugeben: Was für eine Bassline!
Ice Ice Baby. Anderes Genre, aber selbst Metalheads müssen zugeben: Was für eine Bassline!

Sagen sie, ist hier gerade ein Rockkonzert?» Die ältere Dame hat ihre Frage etwas zu laut gestellt. Dementsprechend groß fällt das Amüsement an den Nachbartischen aus, als die auch nicht mehr ganz junge Bedienung genau das bejaht. «Samma bries» sei gerade, «wie jeds Johr um die Zait», erfährt die Touristin also. Und dass das etwas mit «Häwwi Mäddl» zu tun habe. Weitere Aufklärungsarbeit leisten dann die Besetzungen der anderen Tische, an denen Männer und Frauen sämtlicher Altersklassen sitzen, die eine Gemeinsamkeit haben: Sie alle sind komplett schwarz gekleidet. Und bis auf eine Ausnahme tragen sie allesamt Bandshirts mit mehr (Sabaton) oder weniger (Watain) gut lesbaren Schriftzügen.

Wie jedes Jahr sind auch dieses Jahr Mitte August wieder einige Hundert Metal-Fans in der 12 000-Einwohner-Stadt Dinkelsbühl, irgendwo zwischen Stuttgart und Nürnberg. Entweder weil sie dort einen der raren Hotelplätze ergattert haben oder weil sie mit dem Shuttlebus vom Festivalgelände gekommen sind, um die Getränkevorräte aufzufüllen, oder um im malerischen Fluss-Freibad eine Dusche zu nehmen. Die anderen 38 000 sind auf dem Gelände. Sie alle kommen hier Jahr für Jahr zum fünftägigen «Summer Breeze», das wenige Kilometer entfernt von der malerischen Dinkelsbühler Altstadt auf einem stillgelegten Flughafengelände stattfindet.

In der Stadt selbst und auf den Zufahrtswegen treffen die Metalheads aus ganz Europa dabei auf viele Hundert Städtetouristen, meist bildungsbürgerlicher Provenienz, die sich die in der Tat ausgesprochen hübsche Stadt mit ihren verwinkelten Gässchen und der spätgotischen St.-Georgs-Kirche im Zentrum anschauen. «Schönste Altstadt Deutschlands», verkündet die Städtewerbung dann auch stolz. Und das einzig Irritierende an dieser Feststellung ist, dass das stimmen mag, obwohl es die Leserinnen und Leser des «Focus» waren, die Dinkelsbühl 2018 genau dazu gekürt haben.

Das «Summer Breeze» ist das zweitgrößte deutsche Metal-Festival. Mit Underground hat es nichts zu tun, doch im Gegensatz zum Wacken-Open-Air ist es noch nicht endgültig zu Tode gehyped. Im «Disneyland für Metaller», wie Wacken dank seines großen Anteils an Junggesellen-Abschieds-Publikum, pinken Einhorn-Kostümen und dauerbesoffenem Malle-Volk genannt wird, fühlen sich viele Metalheads nicht mehr wohl.

Hier, am äußersten westlichen Rand Frankens, ist die Szene hingegen weitgehend unter sich. Und das tut gut. Natürlich ist Heavy Metal nichts, mit dem man bei bunt zusammengemischten Partys Eindruck schinden kann. Am besten erwähnt man seinen Musikgeschmack gar nicht. Sonst erntet man mitleidige oder – noch schlimmer – wissende Blicke. Ah ja, die Scorpions. Und Wacken. Oder diese eine total gefühlvolle Ballade von Metallica. Auf dem Festival hier müsste man niemandem erklären, dass Metallica ihr letztes, gutes Album entweder 1986 (Master of Puppets) oder 1988 (Justice for All) gemacht haben. Und es ist vollkommen unstrittig, warum der Gesang von Alissa White-Gluz als Mischung von «Growlen» und «Screamen», wie die Fachpresse schreibt, perfekt ist und mit «Grunzen» nur von Radiohörern und anderen Ahnungslosen beschrieben wird. White-Gluz und ihre Band Arch Enemy machen Melodic Death Metal. Radio-menschen behaupten, es gäbe dennoch keine Melodie. Connaisseure, die die Band seit 1996 kennen, finden hingegen, dass das neue Album «Deceivers» reichlich poppig geraten ist.

Zugegeben, all die «fuckings» und «motherfuckers» in den Ansagen, all die Lobeshymnen an das Publikum, das selbstredend «fucking awesome» sei, passten wohl besser in die Zeiten, als die jeweiligen Bands noch keine grauen Haare hatten. Doch nicht nur die und ihre Fans haben aus den damaligen Zeiten überlebt: Die jüngeren Bands wie Kvaen (Schweden), Paleface (Schweiz) oder Urne (England) sprechen genauso. Und sie sorgen dafür, dass jeden Morgen neben den Silberrücken der Szene auch jede Menge Jungvolk aus den Zelten gekrochen kommt. Die Textsicherheit beim Mitgrölen ist generationsübergreifend phänomenal. Die Art und Weise, wie hier viele Luftgitarre, – bass oder -drums spielen, deutet auf eine hohe Musikerquote hin. Und auch wenn das eine oder andere, was hier auf die Bühne kommt, gefährlich nah am Kitsch (Within Temptation) oder deutlich drüber ist (Feuerschwanz) – Iron-Maiden-Sänger Bruce Dickinson hat ohne jede Frage das Wesentliche gesagt: «Es gibt nur zwei Arten von Musik: Heavy Metal und Bullshit».

Wer das schon in den Neunzigern wusste, bekommt in Dinkelsbühl Freudentränen in die Augen, wenn er Schlagzeug-Legende Dave Lombardo (Slayer) live auf der Bühne sieht. Mitgebracht haben ihn die Kalifornier Testament, die die Retro-Fraktion der 50-somethings genauso glücklich machen wie Exodus oder Death Angel. Darauf noch ein Weißbier von der kleinen Dinkelsbühler Brauerei, die neben den zwei Dutzend Bierständen von der Großbrauerei zwei eigene betreibt und einen sympathischen Werbespruch hat: «International völlig unbekannt – national eher unbedeutend – regional unersetzlich!»

Ein Bier kostet heuer übrigens 4,80 Euro, acht Euro ein Schälchen Spätzle mit Sauce, fünf eine Tüte Pommes. 2023 soll der Eintritt noch mal kräftig angehoben werden. Ob das die richtige Antwort auf die Branchenkrise ist? Unstrittig ist, dass es sie gibt, die Krise. Auch hier beim «Summer Breeze» kommen fast alle Fans mit Tickets aus dem Jahr 2020 an, die nach den pandemiebedingten Festival-Absagen von 2020 und 2021 nach wie vor gelten.

Die wurden damals unter völlig anderen Voraussetzungen kalkuliert, während die Kosten – von Strom über Bühnenaufbau bis zu Bandhonoraren – seither massiv gestiegen sind. Überhaupt ist die Konzertbranche in einer Krise, die für viele existenzbedrohend ist. So laufen neu gestartete Tourneen, abgesehen von den Megasellern, miserabel, wegen Corona sind formal ausverkaufte Veranstaltungen oft nur zu drei Vierteln gefüllt, dementsprechend mau sind die Cateringumsätze.

Und die Politik, klagte jüngst Jens Michow vom Bundesverband der Veranstalterwirtschaft, verweigert der Branche selbst den Dialog – im Gegensatz zu gepamperten Airlines und Mineralölkonzernen hat Subkultur eben keine Lobby. Wenn es im Winter wieder zu Einschränkungen kommt – diese Sorge treibt hier viele aufrichtig um – gibt es ein Massensterben unter Bookern und Agenturen. Und damit letztlich in der ganzen Musikszene. Umso erfreulicher, dass die Solidarität in der Szene groß ist. Einige Fans, die nicht angereist sind, haben darauf verzichtet, sich das Geld erstatten zu lassen. Und auch die 4,80 Euro fürs Bier werden gezahlt. Ist ja für eine gute Sache.

Wie viel Prozent ihres Jahresumsatzes die Brauerei mit dem trinkfesten Festival macht, ist ebenso Betriebsgeheimnis wie in all den Hotels und Restaurants, die Mitte August stets ausgebucht sind. 1997, als das Festival vor ein paar Hundert Leuten startete, war das angeblich noch anders, aber heute hat die ganze Region erkannt, dass sich mit den konsumfreudigen Metal-Fans viel Geld verdienen lässt. Der Brauereigasthof bietet «Jägermeister-Parfait mit Erdbeeren» an und hat die «Summer-Breeze»-Speisekarte mit einer «Pommesgabel» unterlegt. So heißt der Teufelshörnern nachempfundene Metal-Gruß, bei dem kleiner Finger und Zeigefinger nach oben deuten, während die anderen drei eingeklappt sind.

Auch der auf Bubble-Tea spezialisierte Laden ist konzeptionell zu Zugeständnissen bereit. Sechs Dosen eisgekühlte Whisky-Cola werden hier samt Metal(l)-Kübel für 30 Euro feilgeboten. In der Eisdiele «Crema Gelato» gegenüber gibt es derweil drei Sorten Summer-Breeze-Eis: Zitronen-Sorbet, Erdbeer und Vanille. Alle drei sind pechschwarz und werden in der schwarzen Waffel gereicht.

Mit tropfendem Eis darf man eigentlich nicht zu «Feinkost Müller», um noch ein Fahrbier für den Shuttlebus zu erstehen. Aber heuer will der bärtige Kassierer, der mit einem Auge auf die Überwachungskamera schaut, mal nicht so streng sein. Von seinen Kunden mit den schwarzen Shirts hat er sowieso eine hohe Meinung: «Die Festival-Leute klauen nicht», sagt er. «Aber sonst gibt es hier jede Menge Banditen.»

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