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Im Spaß zusammengewachsen

Den deutschen Basketballern gelingt mit dem 76:63-Erfolg gegen den Olympiazweiten Frankreich ein EM-Auftakt nach Maß

Verkehrte Welt: Alba Berlins Johannes Thiemann (l.) ließ den französischen NBA-Superstar Rudy Gobert zum EM-Auftakt alt aussehen.
Verkehrte Welt: Alba Berlins Johannes Thiemann (l.) ließ den französischen NBA-Superstar Rudy Gobert zum EM-Auftakt alt aussehen.

Wer in Ballsportarten von Spielfreude spricht, dem fallen als Beispiele für die Vokabel nur selten deutsche Athleten ein. Hierzulande wird im Sport doch eher gearbeitet, gewonnen wird über den Kampf. Und Ballverliebtheit, Tiki-Taka oder Klein-Klein gelten eher als Schimpfwörter. Insofern war der Moment in der 28. Minute des Auftaktspiels zwischen Deutschland und Frankreich bei der Basketball-EM in Köln ganz besonders überraschend: Der Berliner Spielmacher Maodo Lô dribbelte nach vorn, bedrängt von einem Gegenspieler täuschte er einen Pass hinter dem Rücken an, zog den Ball dann aber doch kunstvoll weiter dribbelnd um den Körper herum. Und als der Franzose Timothee Luwawu-Cabarrot zum Block sprang, spielte Lô doch zu seinem Kapitän Dennis Schröder ab, der den Ball locker im Korb versenkte. »Ich habe diese Bewegung noch nie ausprobiert«, gestand Lô später im Fernsehinterview. »Aber ich hatte es einfach gefühlt, also hab’ ich’s gemacht. Wir hatten einfach viel Spaß auf dem Feld.« Wer braucht schon jahrelanges Training, wenn man mit Spaß Erfolg haben kann?

Große Namen werden unwichtig

Die deutschen Basketballer haben am Donnerstagabend mit dem 76:63-Erfolg gegen den Olympiazweiten Frankreich nicht nur einen Traumstart erwischt, sie haben auch endlich eine Spielart gefunden, die sie bei dieser Heim-EM noch weit führen kann. »Wir haben hart verteidigt und es Frankreich immer schwer gemacht. Das muss unsere Identität sein«, sagte Center Daniel Theis. Was wieder nach typisch deutscher Arbeitsmoral klang, war dann doch nur die halbe Wahrheit. Denn mit Erfolgen in der Abwehr holte sich das Team nach dem Sieg gegen Europameister Slowenien in der WM-Qualifikation vor einer Woche nun zum zweiten Mal gegen einen Titelfavoriten so viel Selbstvertrauen, dass man sich im Angriff in einen Rausch spielte.

Dass hier eine Mannschaft zusammengewachsen ist, beweist der Blick auf die Statistik. Keiner der drei NBA-Akteure Theis, Schröder und Franz Wagner stand am Ende unter den besten Punktesammlern des Abends. Stattdessen trafen die Berliner Johannes Thiemann (14 Punkte), Maodo Lô sowie ihr ehemaliger Alba-Teamkollege Niels Giffey (beide 13) am häufigsten. Deutschlands Spielsysteme sind unter dem neuen Bundestrainer Gordon Herbert so vielseitig geworden, dass an jedem Tag ein anderer Akteur aufblühen kann. Auf große Namen wie in Zeiten von Dirk Nowitzki, dessen Trikotnummer 14 in Köln vom Deutschen Basketballbund (DBB) zeremoniell »in Rente« geschickt wurde und nun nie wieder vergeben wird, oder danach in Schröders jungen Jahren wird kein kompletter Spielstil mehr ausgerichtet. Wer frei ist, wirft. Und mittlerweile strahlt jeder deutsche Spieler Gefahr aus.

Berliner Fraktion bestimmt das Spiel

Es ist eine Philosophie, die die spanischen Trainer Aíto García Reneses und Israel González seit 2017 beim deutschen Meister Alba Berlin eingeführt haben. Von daher überrascht es nicht, dass die Berliner Fraktion dem EM-Auftakt ihren Stempel aufdrückte. Hinzu kam eine überragende Defensivarbeit, vor allem von Franz Wagner, der ebenfalls unter Aíto in Berlin seine Karriere begonnen hatte, bevor er in den USA zum NBA-Profi heranreifte. »Wir spielen alle schon ziemlich lange Zeit zusammen. Da weiß jeder, wo der andere steht oder hinlaufen wird«, sagte Flügelspieler Giffey, der wichtige Dreipunktwürfe getroffen und in der zweiten Hälfte jenen Zwischenspurt gestartet hatte, mit dem sich Deutschland endgültig absetzte und an dessen Ende Maodo Lô in die vorher nie geöffnete Trickkiste griff.

»Wir haben aber nur ein Spiel gewonnen. Das sagt noch gar nichts. Wir müssen weiter von Spiel zu Spiel denken. Als Nächstes gegen Litauen am Samstag«, sagte Theis dann doch wieder nüchtern und typisch deutsch. Dass er diese Phrase auch wirklich lebt, muss übrigens nicht bezweifelt werden. Denn an diesem Samstag sind zunächst die Bosnier der nächste Gegner. Auf Litauen trifft das DBB-Team erst am Sonntag. Theis hatte bis Donnerstagabend offenbar wirklich den Spielplan immer nur bis zum ersten Spieltag studiert. Das Träumen von der Endrunde in Berlin wird den Fans überlassen. Davon dürfte es nun allerdings schon einige mehr geben als vor dem EM-Start.

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