Landschaft als Zeitmaß

Zwei konträre und komplementäre Künstler: Wolfgang Mattheuer und Markus Matthias Krüger im Angermuseum Erfurt

  • Peter Arlt
  • Lesedauer: 5 Min.
»Brennender Baum« von Markus Matthias Krüger, 2014, Acryl und Öl auf Leinwand
»Brennender Baum« von Markus Matthias Krüger, 2014, Acryl und Öl auf Leinwand

Vor Jahren malte Markus Matthias Krüger einen brennenden Baum und vor über einem Jahrzehnt die Überflutung eines Dorfes, symbolisch für das Zurückschlagen der Natur. Bereits vier Jahrzehnte ist es her, da Wolfgang Mattheuer ein Bild über den Verlust der Mitte in der Gesellschaft schuf. Diese Arbeiten haben heute eine noch aktuellere und tiefere Bedeutung als in ihrer Entstehungszeit. Das könnte für künstlerische Antizipation sprechen. Im Laufe der Zeit sind den Bildmotiven weitere Sinnschichten zugewachsen, das Prognostizierte ist erheblicher geworden. Das belegt faszinierend die Ausstellung mit Landschaftsgemälden, 41 von Mattheuer und 50 von Krüger, im Angermuseum Erfurt.

Unter blauem Himmel und über weiter Landschaft fliegt in Mattheuers Werk »Verlorene Mitte«, 1982, auseinander, was organisch zusammenzugehören scheint: ein militärisch betuchtes Bein neben einem bloßen Bein, darüber ein schwarzer Arm mit Nazigruß, nebst einem nackten Arm, der einen anderen Weg weist. Die Alternative wird ergänzt durch einen dritten Weg: ein »ökologisches« Bein und ein Arm mit erhobener Faust. Sujets, die sich von den frühen Zeichnungen bis hin zu den späteren Gemälden und der berühmten Plastik »Jahrhundertschritt« von 1985 wie ein roter Faden durch das Œuvre des 1927 im vorgtländischen Reichenbach geborenen und 2004 verstorbenen Künstlers ziehen und Goethes Sentenz bestätigen, man solle »Natur- und Kunstwerke … im Entstehen aufhaschen, um sie einigermaßen zu begreifen«. Zwischen gesprengten Körperteilen klafft eine verlorene, kopflose Figur als Allegorie unserer gespaltenen, auseinanderdriftenden Gesellschaft. Schon in »Verlust der Mitte« von 1948 findet Kunstphilosoph Hans Sedlmayr einen klagwürdigen »Jahrhundertkonflikt«, die geistige Mitte wiederzugewinnen. Mattheuer fügte als Andeutung einer Antwort einen symbolischen Ort einer menschlichen Gemeinschaft mit einer vielbogigen Brücke ein. 

Seiner »ganzen Bildermacherei« (W.M.) liegt das sächsisch-thüringische Vogtland, Mattheuers Sehnsuchtsland, zugrunde, das durch Idealität und mit allegorischen Figuren zu einer Weltlandschaft erhöht wird. Des Künstlers Bilddenken gewinnt in der Begegnung mit der Wirklichkeit die Motive und entfaltet sie mit überbordender Fantasie in immer neuen Arbeiten weiter: Horizonte im weiten Feld, Regenwolken unterm Licht, überm Fluss Burgen, Gärten in Blüte oder im Schnee, Straßen, Familienspaziergang, ein Mont Klamott mit weiter Sicht auf die Welt. Ein im Gestänge eines Spielzeugvogels Verfangener stürzt wie Ikarus aus hohem Himmel herab. Es fasziniert, wie die Motive bei Wolfgang Mattheuer zwischen den Sinnstrukturen profaner, biblischer und antik-mythologischer Ikonografie changieren. Seine metaphorischer Einfallsreichtum ist Poesie, spiegelt menschliche Grundbefindlichkeit sowie » Weltzustände», ein von Mattheuer gern benutztes Wort. Er ist ein Verfechter der figürlichen Malerei und des »Bildermachens«, der nicht als Kulturkonservatismus zu verstehen ist, sondern fragt: »Enthält es Wahrheit?«

Sonnen beherrschen bei Mattheuer die Himmelslandschaft. Kontrastreich dazu die Sonnenuntergänge von Krüger, die keine Gefühle illustrieren und kein Wolkentheater abliefern möchten. Und doch war es naheliegend, die beiden Künstler zusammen auszustellen. Der über 50 Jahre ältere Mattheuer studierte wie Krüger an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und bestimmte dort als Lehrer die magisch-sachliche und surreale, ganz in der romantischen Tradition stehende Stilrichtung mit der metaphorischen Programmatik der sogenannten Leipziger Schule. Von ihr ist Krüger beeinflusst. Wie Mattheuer nennt er Caspar David Friedrich seinen »Lieblingsmaler«.

Krüger, 1981 im sächsisch-anhaltinischen Gardelegen geboren, wurde 2005 bis 2010 in Leipzig ausgebildet. Er war Meisterschüler bei Annette Schröter. 2017 ist Krüger von der Mattheuer-Stiftung als ihr erster Preisträger auserkoren worden. Seine Gemälde sind ein Lob auf die Tugend altmeisterlicher Malweise. Er gibt Einblick in seine Arbeitsweise: »Für eine konstante Farbfläche brauche ich etwa drei Farbschichten, darunter 12 Schichten und die Imprimatur. Man denkt ja, der Himmel ist nur blau, aber je feiner die Farbwerte, desto schwieriger – zum Beispiel, wenn ein bräunlicher Dunst in ein fahles Blau übergehen soll. An meinem letzten großen Himmel habe ich 14 Stunden nonstop gearbeitet.«

Die farbig matten und stumpfen Landschaften von Krüger wecken mit der von ihm gewählten Vogelperspektive und räumlichen Tiefe Assoziationen an holländische Gemäde des 17. Jahrhunderts. Die Holländer waren stolz auf die durch menschlichen Plan organisierte Landschaft, stolz darauf, wie sie das Land dem Meer abgerungen haben. Inzwischen scheint es vergeblich zu glauben, die neue Sehnsucht nach Ursprünglichkeit könnte erfüllt werden. Krügers Landschaften offenbaren das vom Menschen Gewordene, was sie Menschen der Natur antun und wie diese sich zur Wehr setzt. Sie selbst greift ein in die Veränderung, überzieht mit Wildnis Häuser oder reagiert mit Genmutation. Sie sagt den Menschen den Kampf an. Das »Haus der Flora« wird von der Flora wiedererobert. In Krügers klar kalkulierten Landschaften brechen Katastrophen in rational bestimmte Alltagssituationen ein. Der technische »Fortschritt« ist nicht umkehrbar, läuft selbstgesteuert weiter. Hier sind Einflüsse des polnischen Science-Fiction-Autors Stanisław Lem unverkennbar. Im »Spiel mit Kontrasten« und in »Übergänge zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit« bekennt sich der Künstler auch explizit zu diesem. 

Die in Erfurt gezeigten Werke von Mattheuer wie Krüger inspirieren und animieren zum Nach- und Umdenken. 

Unter blauen Himmeln. Wolfgang Mattheuer, Markus Matthias Krüger. Angermuseum Erfurt, bis 6. November, Di–So, 10 bis 18 Uhr, an jedem ersten Dienstag im Monat ist der Eintritt frei. Katalog (Hirmer, 200 S., geb., 25 € im Museum, 39,90 € im Buchhandel)

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