Hormone, Nazis, Rabenväter

Arte zeigt »Die Erfindung der guten Mutter« und entlarvt den Mythos der Reduktion der Frau aufs Kinderkriegen und -erziehen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon mal von Oxytocin gehört? Dieses Hormon schütten Mütter massenweise aus, wenn sie gebären oder stillen, während Testosteron bis zur Menopause eher Vätersache bleibt. Das soziale Geschlecht scheint dem biologischen also herzlich egal zu sein. Die Natur, so scheint es, kennt eben kein Gender. Von wegen, meint Helga Krüger-Kirn und zieht dafür klinische Studien zurate, die sie auf Arte genüsslich zitiert.

Wenn Männer nach der Geburt Pflege und Fürsorge übernähmen, steige ihr Oxytocin-Spiegel ungefähr in dem Maße an, wie der Testosteron-Spiegel sinke – von wegen evolutionsbedingte, genetisch kodierte, bei religiösem Bedarf gar auch schöpfungsgewollte, jedenfalls weibliche Bindung ans Kind. »Mütterlichkeit braucht kein Geschlecht«, sagt die Psychoanalytikerin mit Universitätsprofessur in Marburg. »Die Erfindung der guten Mutter« heißt dann auch diese Dokumentation von Marion Priglinger. In 52 Minuten räumt sie mit einem alten Mythos auf.

Frauen, so wird seit jeher behauptet, seien wahlweise von Gott, der Natur oder ihrer Bestimmung nicht nur fürs Kinderkriegen, sondern Kindererziehen bestimmt. Was für ein Quatsch. Priglinger sprach darüber mit Philosophinnen und bloggenden Müttern, Literaturwissenschaftlerinnen und einem Museumskurator. Sie alle begeben sich auf Zeitreise durch die patriarchale Konstruktion der Märchenfigur »Mutter« und bringen reichlich Erkenntnisse zurück in die Zukunft, etwa jene, dass sich Frauen keineswegs durch alle Epochen hindurch vor allem als Mütter definierten.

Im Mittelalter ist das weibliche Ideal keusch und kinderlos, verkörpert durch Marias jungfräuliche Erbin: die Nonne. Jenseits der Klöster muss Mutti dagegen gleich nach der Geburt zurück aufs Feld. Erst Martin Luther reduziert 50 Prozent seiner Spezies auf gottgewollte Reproduktion nebst Aufzucht, fügt seinem Antisemitismus also eine Frauenverachtung hinzu, die im katholischen Barock in feministischer Selbstermächtigung mündet. Schon Mitte des 18. Jahrhunderts jedoch stecken Jean-Jacques Rousseau und Johann Heinrich Pestalozzi die Frau zurück ins Ehegefängnis und liefern damit Blaupausen für fortgesetzte Entmündigung.

Womit man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verlässlich bei Hitlers Helfern landet, aber zum Glück nicht stehenbleibt. Wie zu erwarten, macht Priglinger Halt beim braunen Bild der Frau als Gebärmaschine künftiger Wehrmachtsoldaten und findet dafür viel Goebbels-Propaganda. Nach einem kurzen Trümmerfrauen-Intermezzo in der Nachkriegszeit folgt allerdings schon rasch die Restauration einer Familientradition, die abzüglich Mutterkreuz und Lebensborn verstörend geschichtsvergessen der nationalsozialistischen ähnelt. Erst der Blick ostwärts aber zeigt die Beharrlichkeit klassischer Geschlechterverhältnisse. In der DDR ist die Frau zwar mehrheitlich werktätig, nur eben auch nach Feierabend, wo sie im Alleingang Küche, Kinder und Gatten versorgen soll und die alte Ordnung im realexistierenden Sozialismus bewahrt. Wer sich da die Zusammensetzung aller Politbüros anschaut, erkennt die Männerbünde.

Auch 1968 überlebte das Klischee der Frau als Heilige oder Hure, das nur einem Zweck dient: dem Erhalt männlicher Macht. Für diese Konstante steht der Werbespot, in dem die Staubsaugerfirma Vorwerk noch 2006 eine vermeintlich zeitgenössische Frau als berufstätige »Familienmanagerin« vorstellt, die alles kann, macht, regelt und will. Dabei ist sie sowohl attraktiv als auch belastbar und außerdem sexy, klug und zufrieden. Eine, die Beruf und Familie, so Helga Krüger-Kirn, »voll Power mit Hüftschwung wuppen« könne beziehungsweise müsse. Kein Wunder, dass die Ethnologin Marie Zeisler, ständig zwei Kinder im Schlepptau, ihre »Urangst vorm Label Rabenmutter« beschreibt, die sie so unter Kontrolle hält, dass sie noch lang auf Begriffe wie »Rabenvater« wartet. Ein Blick durchs Familienleben fiktionaler Erzählungen zeigt, warum: TV-Figuren wie Vera Drombusch oder Peggy Bundy, Trude Schölermann oder Miss Elly, Helga Beimer oder Carmela Soprano – wann immer gebärfähige Frauen fiktional relevant sind, stehen sie im Fokus dynastischer Pflichterfüllung, männermachtpolitisch grundiert mit der Lüge vom »Mutterinstinkt«.

Im Scheidungsdrama »Kramer gegen Kramer«, auch das zeigt »Die Erfindung der guten Mutter«, wird dieser angebliche Instinkt Meryl Streep in der Rolle als Haus – und Ehefrau eines erfolgreichen Werbers (Dustin Hoffman) abgesprochen, weil sie die Flucht ergreift. »Lieben Sie Ihr Kind?«, will der Richter von Joanne wissen – eine Frage, die er dem Vater nie stellen würde. Das war vor 43 Jahren. Allzu viel geändert hat sich seither nicht.

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