Putz dir bitte die Zähne – JETZT

In dem experimentellen Dokufilm »Mutter« sprechen Frauen offen über ihre Elternrolle

Die liebende, die gestresste, die aufopferungsvolle, die selbstbestimmte Mutter. Anke Engelke spielt sie alle in einer Person.
Die liebende, die gestresste, die aufopferungsvolle, die selbstbestimmte Mutter. Anke Engelke spielt sie alle in einer Person.

Eine Mutter ist allein. Jede von ihnen kann sich an diesen Moment erinnern, an dem die Haustür zu geht. Die Geburt, das Trauma, das Glück, egal, wie es war, ist vorbei und da liegt es vor einem, das kleine Bündel Mensch in einer ansonsten leeren Wohnung. Der Partner, die Partnerin, entschwindet in das alte Leben, für ein paar Stunden nur, aber die Mutter ist jetzt allein. Was macht man jetzt mit dieser krassen Verantwortung?

Ab hier beginnen die unterschiedlichsten Erzählungen. Die Regisseurin Carolin Schmitz hat für ihren semidokumentarischen Film »Mutter« acht Frauen zwischen 30 und 75 interviewt und sie zu ihrer neuen Lebensrolle befragt. Aus den Antworten hat Schmitz eine Geschichte geformt, wie sie es im deutschen Dokumentarkino wohl noch nicht gegeben hat. Die Schauspielerin Anke Engelke spricht die Interviewpassagen lippensynchron nach und mimt dabei den Alltag einer durchschnittlichen Mutter. Schnittblumen arrangieren, Auto waschen, bügeln, arbeiten gehen, Käffchen trinken und auch mal Party. Dabei aber ist sie immer allein. Zwar sind Menschen um sie herum anwesend, aber alle im Leben der Mutter sind nur Statisten, die mit ihr nie interagieren. Treffender kann man das Gefühl der anfänglichen, manchmal auch andauernden Überforderung in dieser neuen Rolle nicht in Bilder fassen.

Das Experiment, die Stimmen von ihren Sprecherinnen zu lösen und die Mimik und Gestik einer Schauspielerin zu überlassen, ist mindestens gewagt. Manchmal liegt doch in einer Sprechpause oder dem verschämten Wegschauen die ganze Welt. Aber es funktioniert. Die Witzkanone Anke Engelke ist in ein Korsett gepresst, aus dem sie nicht herauskommt. Sie kann die Mutter nicht als Karikatur zeigen oder in ihrem Sinne entstellen, denn die Stimmen sind ja echt und geben eine Form vor, die Engelke grandios ausfüllt, denn sie verschwindet in den verschiedenen Frauen, was nur wenigen Komiker*innen im Filmgeschäft gelingt, die außerhalb ihres Genres agieren. Interessant ist, wie Mimik und Gestik in den Vordergrund treten, wenn klar ist, dass die Stimme nicht zum Körper gehört, ähnlich wie beim Puppenspiel. Gesagtes und wie es im Gesicht verarbeitet wird, werden isoliert und umso intensiver wahrgenommen; eine kognitiv interessante Kinoerfahrung.

Die Geschichten, die die Frauen erzählen, haben heute keinen Skandalcharakter mehr. Die überforderte Mutter, die widerwillige Mutter, die sich selbst auflösende Mutter, die erfüllte Mutter. Die Facetten des Begriffs kennt, wer sich für Mutterschaft und deren Entmystifizierung interessiert. Es geht in den Erzählungen der Frauen um völlige Selbstaufgabe, Druck (Wie wollen sie das schaffen? Soll das Kind jeden Tag mit im Büro auf dem Schreibtisch sitzen?), Anpassung, Unterwerfung. Die Alltagsszenen, die Engelke nachspielt, sind so dermaßen anödend, dass sie die Obszönität des Gesagten noch stärker herausschälen. Eine Frau, Künstlerin, der ihr Mann auch mit Kindern Ateliers in New York, London und Paris versprochen hatte, sagt nach der Geburt ihres vierten Kindes: »An Malen war nicht mehr zu denken. Ideen haben mich in meinem Alltag sogar nur gestört.« Der Mann war dann um so seltener zu Hause, je mehr Kinder dort lebten.

Die Interviewpassagen knüpft Schmitz zu einer losen Erzählung ohne wirkliche Handlung aber mit starkem Symbolcharakter zusammen. Etwa, wenn der einzige Mensch, der mit Engelke interagiert ein Theaterregisseur ist, der sie dann auch noch in ihren Erzählungen unterbricht, an ihr zieht und zerrt, damit sie auf der Couch perfekt drapiert daliegt. Ansonsten badet die Frau, zieht sich an, fährt in die Autowäsche, man sieht sie bei der Schauspielprobe, die Haustiere versorgen, einkaufen, Mittag essen. Alles allein. Denn klar wird: Männer sind in den Erzählungen eigentlich permanent abwesend. Und das ist ein Problem des Films. Er zeigt zwar eine große Vielfalt, was die Ambivalenz des Mutterseins angeht, bleibt aber immer am Klischee kleben. Es lacht nur eine einzige Frau in 90 Minuten, wenn sie von ihren Kindern erzählt. Aber wer in neun Jahren zwölf Mal am Tag den Satz sagt: »Putz dir jetzt bitte die Zähne«, der hat es auch nicht leicht.

Die Frauen zeigen eine schonungslose Offenheit gegenüber ihrer Mutterrolle, manche geben zu, dass sie ihr Kind am liebsten weggegeben hätten oder schildern die fehlende emotionale Verbindung und dekonstruieren so den Quatsch vom Mutterinstinkt, aber es sind extrem privilegierte Stimmen, die hier sprechen und dann überwiegen jene, die sich ins Funktionieren gefügt haben und jene, für die Kinder der Alleskleber eines bröckeligen Beziehungskonstrukts sein sollten. Es ist die Rede von Haushälterinnen, Babysitterinnen, Schwiegereltern, die sich kümmern, wenn verlangt wurde, sich schnell wieder in den Job als Familienunternehmerin zu finden. Einmal kommt eine Alleinerziehende zu Wort, die die persönlichen Freiheiten lobt, vom Rest aber schweigt.

Finanziell ist die Mehrzahl der interviewten Frauen mehr als gut abgesichert. Vielfach geht es um die klassische Misere: Attraktiver Mann, verdient viel Geld, ergo: mit dem muss man Kinder kriegen, wer weiß, was sonst noch so kommt. Dann ist der Mann auf einmal nur noch theoretisch anwesend, praktisch immer auf Dienstreise. Das entwertet die Erfahrungen der Frauen nicht, der Blick aufs Muttersein aber bleibt sehr eng. Im Film gibt es nur wenige alternative Stimmen, die es anders machen, die nie beim Baby-Yoga waren, keine Stilltees kaufen und die Erziehungsmodelle leben, die wenig mit der Heiligenverehrung der Mutter zu tun haben. So hören wir vom Status quo, aber im besten Fall ist auch das schon eine Zumutung.

»Mutter«: Deutschland 2022. Regie und Drehbuch: Carolin Schmitz. Mit: Anke Engelke.
88 Min. Start: 29.9.

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