Als hätten Farben Hände

Lebenswerkstatt: Der Bühnen- und Kostümbildner Gero Troike stellt in Naumburg aus

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Gero Troike: "Huldigung für das Theaterhandwerk"
Gero Troike: "Huldigung für das Theaterhandwerk"

Unsere Fantasie weiß, wovon sie redet: Man kann mit allem spielen, das nicht existiert. Mit allem, das gemeinsam das Nichts bildet. Und schon ist das Nichts bevölkert. Und wird zum Raum, darin unsere Heimatlosigkeit als Trauer strahlen kann. Hier sind es drei Räume. Überm Eingang steht Samuel Becketts Orts- und Zeitangabe zu »Warten auf Godot«. Kindlich anmutende Blockschrift: »Landstraße ein Baum Abend«. Gero Troike stellt in Naumburgs Galerie im Schlösschen aus: Theater, Grafik, Malerei. Modelle, Entwürfe, Texte.

So viel Sorgfalt, vorläufig zu sein. So viel Eleganz in Unordnung. Zu sehen ist eine Kunst des Rückblicks, die weiß: Alles ist entbehrlich, wenn man es lange besitzt – deshalb betont diese Ausstellung das Ungeschliffene, das Momentane, das Impressionistische, das Vorübergehende, das Weitergebende. Auf Tischen liegen Programmhefte von Inszenierungen, an denen Troike mitwirkte, oder Texte einiger seiner Stücke. Auch ein handschriftliches Ferientagebuch aus Lanzarote, gekritzelt auf kariertes Papier. Er hat im Urlaub auch gemalt, »das Bild könnte heißen: Sehnsucht Meer. Denn alle Farbwünsche sehe ich vor mir. Das ist ein großes Glück.«

Die Insel Poel. Kornfelder am Wasser. Das Meer ist dem Maler nahe. Vielleicht, weil uns dessen Tiefen so zwangsläufig fremd bleiben. Was Furcht auslöst (auch Ehrfurcht), macht uns knien, aber wir knien nicht vor jemandem, den wir kennen. Davon profitieren Gott und die Kunst. Die Kunst auf dem Bild und die auf der Bühne.

Gero Troike liebt das Meer, und er liebt die Nacht. Auch so ein Mysterium. Szenenentwürfe zu Puschkins »Steinernem Gast« (in Antwerpen) sind Feiern von Schwarz, die Schatten ziehen sich wie Scheitel und Scharten durch die szenischen Skizzen, wie kleine Schwerter. »Abends am Fluss« heißt eines von Troikes Stücken. Der Fluss der Dinge. Alles fließt, alles sinkt, alles verdirbt, und wer schwimmt gegen den Strom?

Nein, ein Lobpreiser des Hellen ist Troike nicht. Das Sauerländische, in das er vor über 30 Jahren kam, muss ihm Mühe bereitet haben. Es wuchs ihm aber ins künstlerische Gemüt, das kann man in Naumburg gut sehen. Troike, 1945 in Schönheide (Erzgebirge) geboren, war viele Jahre einer der bedeutendsten Bühnen- und Kostümbildner der DDR, vor allem an der Volksbühne und am Deutschen Theater in Berlin.

Der Name des Autodidakten, der als Theatermaler und Kascheur begann, ist mit Inszenierungen von Manfred Karge/Matthias Langhoff, Alexander Lang, Thomas Langhoff und Jürgen Gosch verbunden. Er gastierte an großen Theatern Europas, ging 1984 in den Westen (Schauspielhaus Bochum, Thalia-Theater Hamburg). Er schrieb Stücke, er inszenierte. Baute Bühnen. Er lebt in einem Forsthaus zwischen Soest und Warstein.

All dem – der Malerei wie den Bleistiftskizzen, dem Öl auf Presspappe wie den Holzschnitten, den Radierungen wie den Zinkografien – wohnt eine sanfte Radikalität inne. Erzählt werden Zurücknahmen und Verweigerungen innerhalb einer Welt, die nur Expansion, Steigerung, Multiplikation kennt.

Auch das ist Dialektik: Als Mensch im Soester Land (scheinbar) verschwinden, aber auf stoischem Grund bleiben. Die Troike’schen »Buchstaben und Bilder«, so der Titel des Katalogs, sind Reaktionen auf ein geschrumpftes Anschauungsvermögen in einer motorisch strudelnden Zivilgesellschaft. Verlassene Räume, ein Akt im Sessel, Modellpuppen, Gesichter von Frau und Tochter, Selbstbildnisse zwischen närrischer Offenheit, ehrlicher Verstörtheit: Nur zwischen Geistern, die bestrebt sind, ihre Ratlosigkeit zu festigen, sind wahre Gespräche möglich. Und dann schweigen wir uns in verschiedene Richtungen davon.

Blicke aus dem Fenster. Klarinette, Banjo und Schlagzeug. Mondnacht und Dämmerung, Watt und Fluss, Schlepper und Lastkahn: Keine Wucht bricht bei Troike aus oder durch; das Theater, in dem er doch ein Stück Leben verbrachte, konnte ihn nie zu Feuerwerk und Prunk verführen. Kein Bewegungssturm, nirgends. Nichts reißt mit, nichts reißt fort, nichts jagt dich, nichts blendet. Es gibt helle Unbewohnbarkeiten und dunkelste Heimstätten. Neubauskizzen: Dünner werden Wände – auch die von Mensch zu Mensch? Wo er als Kranker gemalt wird, wirkt der Mensch entrückt, wo er wieder gesundet, verhärten sich die Züge. Es geht wieder hinaus in die Existenz.

Noch die kräftigsten Farben sind schüchtern, sind in ihrem Schmutz, ihren Grauwerten identitätsscheu, als seien sie Kinder des rufgeschädigten Zwielichts. Sie fließen in andere Farben hinein, bilden Schwaden, als müssten sie sich schützen. Alles Grün ist genauigkeitsschön, weil es so grau oder so giftig oder aber so gelöst sein kann. Es scheint oft, als hätten die Farben Hände, nach anderen Farben zu tasten. Verwischung, Unschärfe. Verschwommenheit ist des Lebens wahre Kontur. Malerei ist da wie ein Wunder: Sie zeigt – und verbirgt. Das Bildziel: dass wir mehr sehen, als man uns zeigt. Denn reduziert auf das Sichtbare: Wer könnte so leben?

Vom Wald der Rand, vom Zimmer die Leere, vom Tisch die rote Kanne und die weiße Decke, vom Zauber (des Theaters) das Zubehör (der Werkstätten). Kunstausübung? Das ist so zu lesen: Kunst. Aus. Übung. Also: Was von einem stillen schönen Werk einzig bleibt, ist der Ruf des Handwerks nach Weiter-Arbeit.

Troike malt’s: vom Holz der Hobel, vom Brett, das die Welt bedeuten soll, der Bohrer. Leim stiftet den Zusammenhalt, nicht Lyrik. Ein wichtiger Mal-Gegenstand ist der Stuhl. Warten, nicht nur auf Godot. Weich gepolstert oder hart platziert. Auf Stühlen träumen wir, und auf Stühlen, weil wir darauf verharren, gehen die meisten unserer Träume zugrunde. Stillleben? Stuhlleben.

Auf einem Foto sitzt der Maler auf einem Sessel, am Atelierfenster, aber der Blick geht nicht hinaus. Und doch geht er weit: Man muss nur ernsthaft beginnen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und schon wachsen die Entfernungen zum eigenen Ich, sodass man gar nicht mehr hinterherkommt vor fremd machenden Eröffnungen.

»Also, es fand doch noch statt, und die Arbeit war eine glückliche Zeit für mich.« So schreibt Troike über eine seiner Theatererfahrungen (»Dolgensee. Ein Naturalist«). Im Osten, im Westen, zwischen beiden Welten: ein immerwährendes Mühen, so viele Konflikte, so viele Steine im Weg, aber eben auch so viel Beharrlichkeit.

Der Künstler, ehemals Bausoldat, empfindet alles Begegnende als Reiz. Er probiert den Ausdruck so lange, bis das, was mehr zu anderen gehört als zu ihm selbst, weggelassen werden kann. Malen heißt herauszubringen, was ich muss. Darauf läuft alles Ausdrucksgewerbe hinaus: die eigene Notwendigkeit zu kultivieren. Der Not, der wir nicht entkommen, doch in Wendigkeit begegnen.

Und wieder ein Tisch mit Manuskripten. Blättern, finden. Im Stück »Friedhof. Ein Drama« sagt ein Kind: »Ich möchte gerne Tänzerin werden, man macht mir aber ständig Angst, dass meine Beine zu kurz sind.« So schaut der Mensch betrübt an sich herab, so kommen gesenkte Köpfe in die Welt.

Es ist eine liebevoll komponierte Ausstellung. Nichts dominiert. An den Wänden handschriftliche Sätze. Da hängt in einer Vitrine eine Schneiderschere, ein Aufführungsrequisit; dort drüben ein Modellbau. Theater ist Menschenansammlung – geht der Blick dann wieder zu den Bildern, könnte man in manchen Landschaften vermuten, der letzte Mensch hätte die Erde schon gestern verlassen. Nein, das stimmt nicht. Menschenliebe offenbart sich bei Gero Troike sehr deutlich: in Treue zu Bäumen, die nicht in den Himmel wachsen.

Gero Troike: »Theater Grafik Malerei«, bis 20.11., Galerie im Schlösschen, Naumburg.

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