Idlib unter Raketenbeschuss

Syrisches Regime will die letzte Bastion des bewaffneten Widerstands zurückerobern

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 3 Min.

Regelmäßig greift die syrische Armee in den letzten Monaten die im Nordwesten Syriens gelegene Provinz Idlib an, um das weitgehend von der Dschihadistengruppe Hajat Tahrir Al-Scham (HTS) kontrollierte Gebiet zurückzuerobern. Diese antwortet mit Gegenangriffen auf Regierungstruppen oder den nahe gelegenen russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim bei Latakia an der Mittelmeerküste.

Am Sonntag sollen die Streitkräfte von Machthaber Baschar Al-Assad mehrere Raketen auf ein Lager für Vertriebene und Binnenflüchtlinge abgeschossen haben, berichten Aktivisten der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR); dabei seien mindestens zehn Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Insgesamt seien mehr als 30 Raketen an verschiedenen Orten westlich der Stadt Idlib explodiert. Über 77 Menschen seien verletzt worden. Die Rettungsorganisation Weißhelme machte ähnliche Angaben. Russische Kampfflugzeuge sollen ebenfalls Stellungen bombardiert haben.

Das dicht besiedelte Gebiet der Lager in Nordsyrien sei am Morgen mit Streubomben beschossen worden, vermutlich vom Regierungsflughafen Nairab in der Provinz Ost-Aleppo aus, teilte das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) mit Sitz in Großbritannien gegenüber der Nachrichtenwebseite »Middle East Eye« mit.

Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP entdeckte vor Ort zerstörte und ausgebrannte Zelte, Blutflecken und Raketentrümmer. Opfer wurden in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht, wo der AFP-Reporter auch die Leichen zweier Mädchen sah. Als sie die Einschläge hörten, hätten sie sich gerade für die Arbeit fertiggemacht, sagte Camp-Bewohner Abu Hamid der AFP. »Die Kinder hatten Angst und fingen an zu schreien«, erzählte er. »Es war nicht nur eine Rakete oder zwei, sondern ein Dutzend. Die Splitter flogen aus allen Richtungen. Wir wussten nicht, wie wir uns schützen sollten.«

Erste Untersuchungen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte deuteten darauf hin, »dass es sich um einen gemeinsamen Angriff von syrischen und russischen Streitkräften handelte. Jede Rakete trug Dutzende von Streubomben, was dies zu einem Kriegsverbrechen macht«, sagte SNHR-Vorsitzender Fadel Abdel Ghani zu »Middle East Eye«.

Das Gebiet um die Lager wurde nach dem ersten Angriff von vier russischen Luftangriffen heimgesucht, während die westlichen und südlichen Außenbezirke von Idlib von Raketen der Regierung angegriffen wurden, was nach Angaben lokaler Quellen zum Tod eines Zivilisten führte.

Rund drei Millionen Menschen leben in der Provinz Idlib, etwa die Hälfte davon Vertriebene aus anderen Landesteilen. Die letzte Bastion des bewaffneten Widerstands gegen Machthaber Al-Assad umfasst große Teile der Provinz Idlib und Teile der benachbarten Provinzen Aleppo, Hama und Latakia. Die Dschihadistengruppe HTS ist die vorherrschende Gruppierung, aber auch andere Aufständische sind hier aktiv. Laut der Beobachtungsstelle folgt der Raketenangriff auf den Tod von fünf Mitgliedern der syrischen Streitkräfte bei einem Beschuss am Vortag durch eine mit der HTS verbundene Gruppe.

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