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  • Migrationspolitik in Frankreich

Billigjob oder Abschiebung

Frankreich richtet seine Ausländergesetze restriktiver und immer mehr nach rechts aus

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Die kürzliche, ausnahmsweise erfolgte Aufnahme der 234 Flüchtlinge von dem durch Italien wochenlang abgewiesenen Hilfsschiff »Ocean Viking« lässt in Frankreich die Polemik um die Einwanderungs- und Ausländerpolitik neu hochkochen. Das rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen sieht in dieser humanitären Geste eine »regelrechte Einladung zur illegalen Einwanderung« und behauptet, das habe »Sogwirkung«.

Der Regierung, die Anfang 2023 im Parlament den Entwurf eines neuen Einwanderungs- und Ausländergesetzes vorlegen will, kommt diese Zuspitzung der Debatte gar nicht gelegen. Um ihr konstruktives Herangehen an die in der Bevölkerung sehr umstrittene Problematik zu demonstrieren, hat Innenminister Gérald Darmanin in einem Interview bereits einige der geplanten Maßnahmen vorgestellt. Vor allem ist vorgesehen, etlichen abgelehnten Asylbewerbern, die sich weiter in Frankreich aufhalten, eine an eine bestimmte Beschäftigung gebundene, vorläufige Aufenthaltsgenehmigung zu geben. Voraussetzung ist, dass sie bereit sind, Französisch zu lernen und sich für einen Beruf umschulen zu lassen, für den es nicht genug Bewerber gibt.

So zählt man beispielsweise in der Gastronomie- und Hotelbranche aufgrund der unattraktiven Löhne und Arbeitsbedingungen mehr als 100 000 offene Arbeitsplätze. Im Bauwesen suchen sieben von zehn kleinen und mittelständischen Betrieben händeringend nach Arbeitskräften. Im Straßengütertransport fehlen heute schon 80 000 Lkw-Fahrer und bis 2030 erwartet die Branche eine Verdoppelung dieser Zahl. Dramatisch ist der Arbeitskräftemangel auch in der Altenpflege. Solche Arten der Beschäftigung zu fördern, entzieht nicht zuletzt der Argumentation der Rechtsextremen den Boden, wonach Ausländer den gebürtigen Franzosen die Arbeit wegnähmen.

Nach dem Willen der Regierung soll Arbeit der Schlüssel zur Legalisierung, zur Integration und zur eventuellen späteren Einbürgerung sein. Die linke Opposition sei sich nicht einig, wie sie auf diese geschickte Mischung aus Druck und Zugeständnissen reagieren solle, schätzt der Politologe Rémi Lefebvre ein und meint: »Einwanderung ist ein brisantes Thema, und nur zu leicht können die linken Politiker dabei neben der breiten Volksmeinung liegen.« Weil viele Franzosen überzeugt sind, dass es schon mehr als genug Ausländer im Land gebe, haben die populistischen Losungen der Rechtsextremen vergleichsweise mehr Erfolg als die Argumente der Linken.

Während der Parteichef der Sozialisten (PS), Olivier Faure, eine Legalisierung für Ausländer mit »Engpass«-Berufen befürwortet, stehen ihr die anderen Partner im linken Bündnis Nupes skeptisch gegenüber. So sieht der Abgeordnete Gabriel Amard von der Bewegung La France insoumise hier »eine neue Kategorie von Arbeitskräften, die durch die Umstände gezwungen sind, alle Bedingungen zu akzeptieren und sich gnadenlos ausbeuten zu lassen«. Der Nationalsekretär der Kommunistischen Partei, Fabien Roussel, charakterisiert die geplante Regelung als »Hebel, um durch die Beschäftigung von Ausländern Druck auf die Löhne auszuüben« und fordert, diese generell und für alle Berufe zu erhöhen.

Im Zusammenhang mit dem neuen Einwanderungsgesetz will die Regierung auch entschlossen das heiße Eisen der Abschiebung illegal im Lande lebender Ausländer anpacken. Im Zusammenhang mit einem Kriminalfall, bei dem Anfang des Monats ein zwölfjähriges Mädchen durch eine Algerierin ermordet wurde, die vorbestraft und gegen die längst ein Ausweisungsbescheid ergangen war, wurde der Regierung einmal mehr von der rechten und der rechtsextremen Opposition vorgeworfen, dass viel zu wenige illegale Ausländer tatsächlich abgeschoben würden. So wurden im vergangenen Jahr durch Behörden oder Justiz 122 000 Ausweisungsbescheide erteilt, aber nur 17 000 Ausländer reisten freiwillig oder unter Polizeigeleit aus.

Um Druck auf die zur Ausreise verurteilten Ausländer auszuüben, soll durch einen Abgleich der Daten verschiedener Behörden sichergestellt werden, dass sie nicht etwa noch Sozialhilfe erhalten oder Mieter einer Sozialwohnung sind. Mit dem neuen Ausländergesetz soll auch die durch das Rassemblement National besonders angefeindete Regelung abgeschafft werden, wonach Ausländer, die bereits mehr als zwölf Jahre ohne gültige Papiere in Frankreich leben, unbescholten sind, arbeiten und Steuern zahlen, sich ein »Gewohnheitsrecht« auf Legalisierung erworben haben.

Mehr und mehr macht sich die Regierung die Argumentation der Rechten und Rechtsextremen zu eigen, die einen direkten Zusammenhang zwischen den Ausländerzahlen und der Kriminalität im Land herstellen. So betont der französische Innenminister, dass die legalen und illegalen Ausländer nur sieben Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, aber 19 Prozent der Straftaten verübten, in Paris sogar 50 Prozent. Zusammenfassend schätzt Gérald Darmanin – wohl schon mit Blick auf die nächsten Wahlen: »Es ist an uns, entschlossene und manchmal auch harte Maßnahmen zu ergreifen, wie die Franzosen sie wollen oder brauchen, sonst werden es andere für uns tun.«

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