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Oranjes Erfolgsrezept: Mit Vorsicht totaal zum Erfolg

Die Niederlande besiegen im Achtelfinale mit effektivem Defensivfußball den nächsten WM-Gastgeber USA

  • Maik Rosner, Ar-Rayyan
  • Lesedauer: 4 Min.
Überflieger: Denzel Dumfries’ Vorlagen und Tor brachten die Niederlande ins Viertelfinale.
Überflieger: Denzel Dumfries’ Vorlagen und Tor brachten die Niederlande ins Viertelfinale.

Auf die Frage, wie stolz er auf den Torschützen und zweimaligen Vorlagengeber Denzel Dumfries sei, fand der Bondscoach eine nonverbale Antwort, die als einer dieser typischen Louis-van-Gaal-Momente daherkam. Der Trainer der niederländischen Nationalmannschaft beugte sich auf dem Podium der Pressekonferenz zu seinem Spieler des Spiels herüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann lachten van Gaal und Denzel Dumfries genauso wie ihr Publikum.

Zu guter Laune besteht aus Sicht der Niederländer gerade viel Anlass. Nach dem 3:1 (2:0)-Sieg gegen die USA am Samstag im ersten WM-Achtelfinale nähern sie sich ihrem Ziel, am 18. Dezember den Pokal für die offiziell weltbeste Landesauswahl im Fußball in den Händen zu halten. Drei Siege fehlen noch. »Ich denke, wir haben eine große Chance hier«, sagte van Gaal zu den Titelaussichten seiner Elf, nachdem das Viertelfinale am Freitag gegen Argentinien erreicht war.

Nach dem Vortrag gegen die USA lassen sich neben Argumenten gegen den erstmaligen WM-Titel für die Niederlande in der Tat auch einige Gründe finden, warum es am Ende dieses Turniers heißen könnte: Oranje boven, Oranje oben. Und das sogar gerade deshalb, weil van Gaals Mannschaft keinen mitreißenden Fußball spielt, sondern einen auf Ergebnis getrimmten Sicherheitsstil. »Fußball kann grausam sein«, sagte US-Coach Gregg Berhalter. Kleinigkeiten hätten das Spiel entschieden: »Wenn du auf den Unterschied zwischen beiden Teams schaust, dann war es die offensive Abschlussqualität der Holländer, die uns gefehlt hat.«

Im Achtelfinale trat van Gaals Mannschaft deutlich reifer auf als die des kommenden WM-Gastgebers, der mit der jüngsten Startelf aller 32 Turnierteams angetreten war. Nur kurz war Holland in Not, nachdem Haji Wright für die US-Boys zum zwischenzeitlichen 2:1 getroffen hatte (76.). Doch sonst war es eher wie früher im Training, wenn Alt gegen Jung spielte und die ungestümen Jungen mal wieder keine Chance hatten gegen die cleveren Alten. Memphis Depay (10.) und Daley Blind (45.+1) hatten trotz optischer Unterlegenheit zur 2:0-Pausenführung getroffen, Dumfries beendete das Aufbegehren der Amerikaner fünf Minuten nach Wrights Anschlusstreffer mit seinem 3:1 endgültig.

Hinterher durfte van Gaal sogar von »wunderschönen Toren« schwärmen. »Eines der Tore war ein echtes Teamtor«, lobte er. Gemeint war das 1:0, bei dem die Niederländer die US-Abwehr mit 20 Flachpässen über das gesamte Spielfeld regelrecht seziert hatten. Es war ein perfekter Angriffszug, das am schönsten herausgespielte Tor dieser WM.

Die Schönheit des Angriffs stand im Kontrast zur bisherigen Wahrnehmung der Oranje-Auswahl. Van Gaal hatte sich vor dem Spiel aus der Heimat erneut Kritik an der Stilistik erwehren müssen. Dass seine Mannschaft langweilig spiele, defensiv und nicht ansehnlich, lautete der Vorwurf. Dieser ist auch darauf zurückzuführen, dass das Idealbild der alten Ajax-Schule mit dem 4-3-3-System im nationalen Fußballbewusstsein noch ebenso tief verankert ist wie der unter anderem von Amsterdam und der Nationalmannschaft in den 1970er-Jahren praktizierte Voetbal totaal. Also jener flexible Offensivstil, an dem sich alle Spieler beteiligten.

Davon sind sie bei der aktuellen Oranje-Auswahl in der Tat weit entfernt. Statt einer offensiven Ausrichtung zeigt die Mannschaft eine zurückhaltende Spielweise, die auf Sicherheit ausgelegt ist. Gegen den Ball formierte sich van Gaals Elftal gegen die USA wieder in einem 5-3-2-System. Weniger Ballbesitz hatte sie als der Gegner und weniger Torschüsse. Die Spielweise könnte man eher als Vorsicht totaal bezeichnen. Von den alten Idealen ist nicht viel mehr übrig geblieben.

Van Gaal hat auf die Kritik eine Replik formuliert, in der er seine Erfahrung dagegenhielt. Bei Ajax sei es früher nur ums Angreifen gegangen, sagte der 71-Jährige, doch »mit den Jahren denkt man über das Spiel nach und sieht die Risiken im Angriffsspiel.« Er sei zu dem Schluss gekommen, dass gerade für eine WM gelte: »Es geht weniger um die Offensive, sondern mehr ums Gewinnen.« Van Gaal hat sich dem Pragmatismus verschrieben, und mit dieser Spielweise ist seine Elftal bei der WM so erfolgreich, dass sich die Kritik aushalten lässt. Seit er 2021 seine dritte Amtszeit als Bondscoach antrat, hat die Mannschaft keines ihrer nun 19 Spiele verloren. Wenn es nach ihm geht, soll die Serie noch mindestens drei Spiele lang anhalten.

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