Unbequem und unerschrocken

Zum Tod des Rechtsanwalts Heinrich Hannover

Heinrich Hannover
Heinrich Hannover

Dass ich einmal Kommunisten und andere ›Staatsfeinde‹ anwaltlich vertreten würde, ist mir nicht in die Wiege gelegt worden.« Mit diesem Satz eröffnete Heinrich Hannover seine Autobiografie »Die Republik vor Gericht«. Sein Elternhaus war gutbürgerlich, der Vater Facharzt für Chirurgie und Chefarzt des Städtischen Krankenhauses in Anklam, wo Sohn Heinrich 1925 geboren wurde. Die Eltern gingen den Nazis auf den Leim, gehörten der NSDAP an und flüchteten nach dem Krieg aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen, aus Angst vor der Rache »der Russen«. Der junge Heinrich Hannover hingegen hatte den Braunhemden eher skeptisch gegenübergestanden, ihm missfielen vor allem die Zwangsgemeinschaften der Nazis. 

In deren Krieg musste er dennoch ziehen, war eingesetzt in Italien und zum Schluss in der Gegend von Görlitz und Bautzen. Im Rückblick nannte er es ein Glück, nur an »normalen« Kriegshandlungen beteiligt gewesen zu sein und nicht an Kriegsverbrechen, »die, wie uns später in Kriegsdienstverweigerungssachen immer wieder belehrend entgegengehalten wurde, von deutschen Soldaten nicht mehr verlangt werden. Aber es reichte mir«, betonte Hanover, der dann als Rechtsanwalt Kriegsdienstverweigerer wie die Zeugen Jehovas verteidigte.

Eigentlich wollte er Förster werden, gar nach Kanada auswandern, um dort ein Leben als Trapper und Jäger zu führen. Im Herbst 1946 begann er sein Jurastudium an der Universität Göttingen, »unter ziemlich ärmlichen Verhältnissen, viel Hunger, wenig Geld«. Er verdiente sich seine Brötchen, indem er in der Mensa Kartoffeln schälte sowie von Haustür zu Haustür zog, Kämme und Rasierklingen feilbietend. Während seines Studiums stieß er auf die »furchtbaren Juristen« des NS-Regimes, die ihre Karrieren ungebrochen in der Bundesrepublik fortsetzen konnten.

Im Oktober 1954 als Anwalt zugelassen, avancierte er alsbald zu einem unbequemen Strafverteidiger, von Staatsanwaltschaft und Richtern gefürchtet. Hannover erkannte früh, dass im Rechtsstaat Bundesrepublik »mitnichten alles zum besten bestellt war«, ob das die Kriminalisierung kommunistischer Meinungsäußerungen in der Zeit des KPD-Verbots oder deutsch-deutscher Kontakte vor der Neuen Ostpolitik war. Während kommunistische und sozialdemokratische Widerstandskämpfer vor bundesdeutschen Gerichten verhöhnt wurden, wurden NS-Kriegsverbrecher gehätschelt und hofiert. Diffamierungen sahen sich vor westdeutschen Tribunalen auch Teilnehmer an den Ostermärschen und Demonstranten gegen den Vietnam-Krieg ausgesetzt.

Hannover stand nicht wenigen heute prominenten Persönlichkeiten zur Seite wie Daniel Cohn-Bendit und Günter Wallraff, dem Schriftsteller Peter-Paul Zahl und dem Arzt und Historiker Karl Heinz Roth. Er war Strafverteidiger in den sogenannten Terroristenprozessen, etwa gegen Astrid Proll und Peter-Jürgen Book von der RAF; seine »schwierigste Mandantin« sei Ulrike Meinhoff gewesen. Nach der deutschen »Vereinigung« vertrat er Hans Modrow und rollte den Prozess in der Mordsache Ernst Thälmann sowie das Verfahren gegen Carl von Ossietzky zu Weimarer Zeiten wieder auf.

»Wer ein halbes Jahrhundert deutsche Strafjustiz aus der Sicht des Strafverteidigers erlebt hat, der muss irgendwann etwas anderes tun, um nicht an der Welt zu verzweifeln«, schrieb Hannover in seinen zweibändigen Erinnerungen. »Ein Glück, dass es für mich immer etwas anderes gab.« Und dies war die Lust, Geschichten für Kinder zu erfinden: über das Pferd Huppidiwupp, die Mücke Pieks sowie Herrn Böse und Herrn Streit. 

Heinrich Hannover starb am 14. Januar in seinem Rückzugsort Worpswede. 

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