Waffenschmiede Belfast

Nordirland stärkt die Rüstungsindustrie

  • Dieter Reinisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitte Januar trafen sich Verteidigungsminister Ben Wallace und Nordirland-Staatssekretär Chris Heaton-Harris und besuchten die Harland-and-Wolff-Werft im protestantisch-unionistischen Ost-Belfast. Ihre beiden gelben Hafenkräne gehörten einst zu den größten der Welt. 2002 begann der Bau des letzten Schiffs, 2019 wurde Insolvenz angemeldet. Der Ukraine-Krieg haucht der Werft und dem verarmten Stadtteil neues Leben ein.

Wallace unterzeichnete einen Vertrag über 1,6 Milliarden Pfund für den Bau von drei Hilfsschiffen für die britische Marine. 2032 sollen sie einsatzfähig sein und 900 Arbeitsplätze direkt in Belfast und 800 weitere in der Zulieferindustrie schaffen. 900 Millionen Pfund werden dadurch direkt in die nordirische Wirtschaft fließen.

Rüstungsindustrie als Wirtschaftsfaktor

Gegenüber dem in Belfast erscheinenden Newsletter betonte John Wood, Chief Executive von Harland and Wolff: »Dies ist die letzte Chance, die hervorragenden Fähigkeiten im Schiffbau, die in Belfast noch vorhanden sind, zu nutzen und sie an die nächste Generation britischer Schiffbauer weiterzugeben.«

Bereits jetzt ist die Rüstungsindustrie eine der letzten Stützen einer der ärmsten Regionen Westeuropas: 1,5 Milliarden Pfund erwirtschaftet sie jährlich – fast fünf Prozent des BIP. In den nächsten Jahren könnte sich die Zahl verdoppeln. 2022 waren bereits 7000 Personen in der Rüstungsindustrie angestellt – in einem Land, dessen Bevölkerung etwa die Hälfte von Berlin umfasst.

Besonders in der militärischen Luftfahrtindustrie ist Belfast vertreten. Airbus, Boeing, Embraer, BAE Systems, Spirit AeroSystems und GKN Aerospace lassen hier Flugabwehrsysteme bauen. Spirit AeroSystems kauft 2020 die ehemaligen Bombardier-Werke in Ost-Belfast. Die 3000 Angestellten bauen dort moderne H175M-Kampfhubschrauber.

Erst im Dezember unterzeichnet das Unternehmen Thales einen weiteren Vertrag über 232 Million Pfund zur Herstellung von Panzerabwehrraketen für das Verteidigungsministerium. Gemeinsam mit dem schwedischen Hersteller Saab baut Thales Panzerabwehrraketen des Typs Nlaw.

Großbritannien hat seit der russischen Invasion Tausende dieser Panzerabwehrwaffen in die Ukraine geschickt, wie BBC-NI berichtet. Nlaw ist ein tragbares Panzerabwehrsystem, das über der Schulter abgefeuert und von einem einzelnen Soldaten bedient wird. Es ist darauf ausgelegt, Panzer auf kurze Distanz mit einem einzigen Schuss zu zerstören. Thales-Direktor Philip McBride zeigte sich gegenüber der BBC erfreut: »Abermals demonstriert Nordirland die bedeutende Rolle in der britischen Rüstungsindustrie.«

Während des Kalten Kriegs kontrollierten Nato und London von Nordirland aus den Nordatlantik. Falls Schottland irgendwann seine Unabhängigkeit ausruft, könnte die Region neuerlich eine geostrategische Rolle erhalten: London plant, die Atomsprengköpfe dann statt in Schottland nahe des Lough Neagh in Nordirland zu stationieren.

Benachteiligung der Katholiken

Bis dahin wird die Rüstungsindustrie ausgebaut. Waffenlieferungen an die Ukraine sollen der Region aus der Armut helfen. Doch wie vor 100 Jahren ist die Industrie heute ausschließlich in protestantischen Stadtvierteln angesiedelt. Industriearbeitsplätze für Katholiken gibt es auch im neuen Nordirland nicht. Schon die bei der Jungfernfahrt am 15. April 1912 gesunkene »Titanic« war ab März 1909 in der Harland-and-Wolff-Werft gebaut worden. In der damals größten Werft des British Empire kontrollierten Arbeitgeber und Gewerkschaften, dass keine Katholiken Jobs bekamen. Die gutbezahlten, sicheren Jobs waren für die Protestanten im Osten reserviert, die Katholiken mussten in Slums im Westen Belfasts hausen.

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