Berliner Theatertreffen: Die Währung im Betrieb

Wer kommt dieses Jahr zum Berliner Theatertreffen?

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 3 Min.

»Bemerkenswert« – das ist das betont bescheidene Prädikat, das alljährlich zehn Produktionen erhalten, wenn sie von einer Gruppe Kritiker zum Berliner Theatertreffen eingeladen werden. Es findet dieses Jahr vom 12. bis zum 28. Mai statt.

»Bemerkenswert« war im vergangenen Jahr aber vor allem die Aufregung um eine mögliche Neuausrichtung des renommierten Festivals. Nur halbherzig widersprochenen Gerüchten zufolge, wollte der im Sommer angetretene neue Leiter der Berliner Festspiele Matthias Pees die Werkschau gemeinsam mit frisch verpflichteten Kuratorinnen aus Polen und der Ukraine internationalisieren. Eine pikante Idee, denn der Jury wäre es kaum möglich, die Arbeiten dies- und jenseits der Sprachgrenze nach ihren vertrauten Maßstäben zu beurteilen. Eine Osterweiterung käme somit einer Entmachtung der Juroren gleich. Wie bei jedem anderen Theater oder Festival würde die Dramaturgie das Programm gestalten, womit das Theatertreffen seine Einzigartigkeit verlöre.

Mit noch etwas größerer Spannung als gewöhnlich erwartete der Betrieb dementsprechend am Donnerstag die Pressekonferenz, auf der die Liste der eingeladenen Produktionen präsentiert wurde. Und siehe da: Was auch immer seit dem Sommer passiert sein mag, sicher ist nun, dass vorerst alles mehr oder weniger beim Alten bleibt. Ein Rahmenprogramm wurde angekündigt, doch das gab es, unter anderem Namen, bereits zuvor.

Für die größte Überraschung sorgt noch das Anhaltische Theater Dessau, das einen »Hamlet« nach Berlin schickt. Ansonsten stehen auf der Liste der bemerkenswerten Inszenierungen die üblichen Theatermetropolen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit Sebastian Hartmann und seiner am Deutschen Theater entstandenen Produktion »Der Einzige und sein Eigentum« ist ein Vertreter des Regietheaters alter Schule vertreten. Wenig überraschend ist auch Florentina Holzinger dabei. Die Choreografin hat mit ihrem Spektakel »Ophelia’s Got Talent« die zweite Spielzeit des Intendanten René Pollesch aus ihrer Lethargie gerissen.

Theatertreffen-Einladungen sind so etwas wie Währungen im Betrieb, sie können einem Haus aus der Krise und seiner Leitung zu neuem Ansehen verhelfen. Der unfreiwillig scheidende Intendant Martin Kušej dürfte insofern Genugtuung empfinden, ist sein Wiener Burgtheater doch gleich zweimal eingeladen. Lucia Bihler reist mit ihrer Produktion »Die Eingeborenen von Maria Blut« nach Berlin. Sehr nachvollziehbar auch die Entscheidung für Rieke Süßkows Uraufführung von Peter Handkes Text »Zwiegespräch«.

Ebenfalls zweimal ausgezeichnet ist das Schauspielhaus Bochum mit Mateja Koležniks Inszenierung von Gorkis »Kinder der Sonne« und der Arbeit »Der Bus nach Dachau« des niederländischen Duos De Warme Winkel. Diese Produktion dürfte für Aufsehen sorgen, wird das Gedenken an den Holocaust hier doch gleichermaßen mit Mitteln der Beklemmung wie der Groteske verhandelt. Uneingeschränkt gute Laune verspricht dagegen Antú Romero Nunes’ Basler »Sommernachtstraum«.

Für die Münchner Kammerspiele hat Regisseurin Felicitas Brucker Henrik Ibsens »Nora« mit Texten von Sivan Ben Yishai, Gerhild Steinbuch und Ivna Žic verbunden, womit die jüngere zeitgenössische Dramatik beim Theatertreffen wenigstens eine Nebenrolle spielen darf. Mit »Das Vermächtnis« von Matthew Lopez beweist das Münchner Residenztheater, dass auch die meist eher mit Geringschätzung betrachtete Dramatik aus den USA hierzulande etwas reißen kann. Ohnehin zeigt sich einmal mehr auf der Liste, dass das deutschsprachige Theater gar nicht so engstirnig deutsch ist, wie seine Kritiker in Kuratorenkreisen gerne beklagen.

Das Berliner Theatertreffen findet vom bis 29. Mai statt. Neben zehn Gastspielen aus dem deutschsprachigen Raum wird ein umfangreiches Begleitprogramm in verschiedenen Spielstätten Berlins gezeigt. Ausführlicher Spielplan unter: www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen

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