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  • Ausstellung »Paris Ma­gné­tique. 1905–1940«

Als alle alle beeinflussten

Das Berliner Jüdische Museum zeigt Werke aus der ersten »Schule von Paris«. Zu einer Entdeckung wird diese Ausstellung vor allem durch unbekanntere Künstlerinnen und Künstler

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Marevna (Marija Worobjowa), »La mort et la femme«, 1917
Marevna (Marija Worobjowa), »La mort et la femme«, 1917

Am Ende war das, was sie verband, nicht immer ihre Herkunft, auch nicht eine geteilte Sprache – das Jiddische – und am wenigsten ihre Kunst. Gemeinsam war den jüdischen Künstlerinnen und Künstlern aus der ersten »École de Paris« (Schule von Paris), dass sie früher oder später Opfer von Verfolgung werden sollten. Nicht wenige von ihnen starben in den Konzentrationslagern. Genannt seien der große Visionär Otto Freundlich und der subtile Kubist Adolphe Feder. Daran erinnert das Jüdische Museum. Im elften und letzten Saal seiner Ausstellung »Paris Magnétique. 1905–1940« liegt der Gedenkband »Undzere farpainikte Kinstler« (Unsere zu Tode gequälten Künstler), den der polnische Journalist Hersch Fenster 1951 herausbrachte. Marc Chagall steuerte ein Gedicht bei: »Ich stehe in der Wüste von Bergen von Schuhen,/ Kleidern, Asche und Unrat/ und murmele mein Totengebet«.

Vor 1914 konnte dieses finstere Ende niemand vorausahnen, aber an Antisemitismus fehlte es, so kurz nach dem Ende der Dreyfus-Affäre, auch in Frankreich nicht; und je näher der Krieg rückte, umso hitziger wurde der Chauvinismus. Bekanntlich hatte Guillaume Apollinaire, der erste Ästhetiker der neuesten Kunst, mit dem Vorurteil zu kämpfen, der Kubismus sei deutsch. Und noch nach dem Krieg sollte der »Mercure de France« die Frage aufwerfen: »Gibt es eine jüdische Malerei?« Im Louvre sei doch keine zu finden.

Die erste »École de Paris« entstand explizit gegen solche Anfeindungen. Anders als die zweite, die dem Tachismus zuzuordnen ist, ist diese erste Schule gar keine. Sie hat keinen einheitlichen Stil. Als der Kritiker André Warnod 1925 die Formel prägte, meinte er damit die eingewanderten Künstlerinnen und Künstler, nicht nur die jüdischen; die Spanier Pablo Picasso und Juan Gris, der niederländische Fauvist Kees van Dongen oder der eigenwillige Japaner Tsuguharu (Léonard) Foujita zählten ebenso zu diesem illustren Kreis wie sympathisierende Französinnen und Franzosen, so Suzanne Valadon und ihr Sohn Maurice Utrillo.

»Paris Magnétique« lässt sich mit »Anziehungspunkt Paris« übersetzen. Die damalige Hauptstadt der Kunst war der Ort, an dem sich, allen Schwierigkeiten zum Trotz, etwas unerhört Neues wagen ließ. Etliche der Jüdinnen und Juden waren vor den Pogromen im Zarenreich geflohen, aber es gab auch andere Gründe zu kommen. Otto Freundlich, der zwischen Köln, Berlin und Paris pendelte, fand auf Dauer nur in Frankreich Anregung genug. Als in den Jahren nach der Russischen Revolution Antisemitismus in der Sowjetunion geächtet war, diente Marc Chagall in Witebsk als Kommissar für Schöne Künste, doch die Armut des Landes trieb ihn 1923 nach Paris zurück, wo er schon zuvor Anschluss gefunden hatte.

Chagall, den man in Deutschland gern als nostalgischen Maler des Schtetls sehen will, präsentiert sich in der von Pascale Samuel und Shelley Harten kuratierten Ausstellung von seiner witzigen Seite, etwa als Illustrator der Zeitschrift »Khaliastra« (Die Bande), die die selbstbewusste Bewegung der »Jüdischen Renaissance« begleitete, oder als spöttischer Beobachter einer Begegnung von Militärs (»Der Gruß«, 1914).

Auch andere große Gestalten erscheinen in neuem Licht. Von der unvergleichlichen Sonia Delaunay ist nicht nur ein prächtiges Gemälde, sondern auch ihre futuristische Illustration der »Prosa von der Transsibirischen Eisenbahn und der kleinen Jehanne von Frankreich« (1913) zu sehen, des epochemachenden Langgedichts von Blaise Cendrars über eine Reise durchs revolutionäre Russland anno 1905. Und Jules Pascin, den man so munter gar nicht kannte, schießt mit seinem »Alfred Flechtheim als Torero« (1927) den Vogel ab. Das Gemälde porträtiert den neben Daniel-Henry Kahnweiler und Paul Rosenberg wichtigsten jüdischen Galeristen ungewöhnlich folkloristisch und zeugt von der ausgelassenen Stimmung während der »Années folles«, den wilden Zwanzigern.

Mit mitunter skurrilen Soziogrammen verdeutlichen Informationstafeln, wer wen kannte und wer wen beeinflusste. Man erhält den Eindruck: jeder und jede jeden und jede. Manchmal ist das nicht überraschend: Dass einige von Chana Orloffs Skulpturen in ihrer Eleganz denen von Amedeo Modigliani ähneln, erklärt sich aus beider enger Freundschaft. Und manchmal kommt die Inspiration zu völlig Neuem von etwas ganz Altem. Chaim Soutine, der heimliche Star der Schau, beeindruckt mit »Der enthäutete Ochse« (1925), einem expressiven Remake des berühmten Gemäldes von Rembrandt aus dem Jahr 1655, das viel später noch den ebenfalls in Farbmassen schwelgenden Eugène Leroy in Bann schlagen sollte. Viel vornehmer in der Textur, aber nicht weniger leuchtend und stark ist Moise Kislings »Frau mit polnischem Schal« (1927). Es fällt schwer, sich von den riesigen schwarzen Pupillen dieser Frau zu lösen.

Aber es sind nicht die großen Namen, die die Ausstellung zu einer Entdeckung machen, sondern die vielen, von denen selten zu hören ist. Die kubistischen Kompositionen von Louis Marcoussis überzeugen ebenso wie die seiner Frau, Alice Halicka, oder die von Alfréd Réth. Diesen dreien ist seit Jahrzehnten keine Einzelausstellung mehr gewidmet worden.

Und wer kennt schon Marevna (Marija Worobjowa)? Von der Künstlerin, die mit Diego Rivera ein Kind, die Schauspielerin Marika Rivera, hatte, stammt das bittere Gemälde »Der Tod und die Frau« (1917), eine zeitgemäße Abwandlung des uralten Themas vom Tod und dem Mädchen. Die Frau trägt eine Gasmaske, ein Hinweis auf das von den Deutschen ins Kriegsgeschäft eingeführte Chlorgas. Der mit seinen Prothesen verrottete Tod ist ein Offizier. Heute, da nicht mehr die Offiziere, sondern die reuigen Friedensapostel den Krieg vorantreiben, müsste diese Figur anders gestaltet werden. Aber sonst ist das Bild von schmerzlicher Aktualität.

»Paris Magnétique. 1905–1940«, bis zum 1. Mai, Jüdisches Museum Berlin

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