- Sport
- Biathlon-WM 2023 in Oberhof
Deutsche Biathleten hoffen auf guten Start in die Heim-WM
Bei den Titelkämpfen von Oberhof liegen die Hoffnungen auf einer Olympiasiegerin und den Staffeln
Während alle anderen bereits dieses »Kribbeln« spüren, tut sich bei Mark Kirchner wie immer nichts. Zumindest äußerlich. Auch verbal würde der Thüringer von seinem Gemütszustand wohl nie etwas anderes behaupten. Der Cheftrainer der deutschen Biathleten sieht sich gern als Ruhepol. Das ändert sich nicht einmal – oder vor allem nicht –, wenn direkt vor der eigenen Haustür Weltmeisterschaften in Oberhof anstehen. Er sei ja 2004 schon dabei gewesen, als die Titelkämpfe letztmals am Grenzadler gastierten. Zwar in anderer Position als heute, aber, das will Kirchner wohl sagen: Er weiß schon, was da auf ihn und sein Team in den nächsten zwölf Tagen zukommt. Eins ist sicher: Es wird laut, wenn bis zu 27 000 Fans ihre Lieblingsathleten anfeuern. Warum also soll da auch noch Kirchner laut werden?
Als die Weltmeisterschaften vor mehr als vier Jahren mal wieder an diesen traditionsreichen Wintersportort vergeben wurden, befanden sich die deutschen Biathleten auf einem sportlichen Höhepunkt: Die bis dahin letzte WM von 2017 hatte Laura Dahlmeier mit fünf Titeln beendet, 2018 legten die Bayerin und Arnd Peiffer noch drei Olympiasiege obendrauf. Kaum jemand hätte damals wohl geglaubt, dass der Deutsche Skiverband (DSV) die Heim-WM 2023 fast komplett ohne Sieganwärter ansteuern würde. Doch mit Peiffer, Dahlmeier und Erik Lesser beendeten gleich drei langjährige Medaillengaranten in kurzer Folge ihre Laufbahn.
Übrig bleibt im Grunde nur noch Denise Herrmann-Wick. Die 34-Jährige hat nach ihrem Olympiasieg in Peking vor einem Jahr noch eine Saison drangehängt. Ohne sie hätte der DSV besonders bei den Frauen komplett auf ein Nachwuchsteam setzen müssen. Von der olympischen Bronze-Staffel des vergangenen Winters fehlt schließlich die Hälfte, nachdem die dauerkranke Franziska Preuß ihre Saison vorzeitig beendet und die formschwache Vanessa Hinz nach verpasster Qualifikation Ski und Gewehr gleich komplett an den Nagel gehängt hat.
»Natürlich ist Denise unsere Vorläuferin, aber die Weltcups in Ruhpolding und Antholz haben gezeigt, dass alle Mädels gut drauf sind«, zeigte sich Frauen-Bundestrainer Kristian Mehringer erfreut über den lange herbeigesehnten Aufstieg einer neuen Garde im deutschen Frauenteam. »Die jungen Läuferinnen haben noch keinen zu großen Druck. Wenn sie mit der gewissen Lockerheit rangehen, aber auch im Angriffsmodus sind, dann ist da einiges drin«, meint er. Tatsächlich sind Vanessa Voigt, Sophia Schneider, Hanna Kebinger (alle 25) und Janina Hettich-Walz (26) allesamt in der erweiterten Weltspitze angekommen. In dieser Besetzung liefen sie im Januar sogar ohne Herrmann-Wick aufs Weltcup-Podest in der Staffel von Antholz. »Da haben wir bewiesen, dass wir uns vor den anderen nicht verstecken müssen. Da kann noch viel kommen«, so Hebinger.
Darauf hofft auch der neue DSV-Sportdirektor Felix Bitterling. Auch wenn der Verband offiziell keine Medaillenvorgabe mehr ausspricht, sei es Bitterling zufolge dennoch der Anspruch, zumindest »in jedem Staffelrennen um die drei Podiumsplätze mitzukämpfen«. Das ist in dieser Saison bei sieben von zehn Teamwettbewerben auch gelungen, allerdings noch nicht im Mixed. Mit ausgerechnet dieser Staffel aber werden Weltmeisterschaften traditionell eingeläutet, also muss sich das Quartett um Startläuferin Voigt an diesem Mittwoch strecken, um sein Ziel zu erreichen. Wer ihr folgen wird, wollte der DSV bis Mittwochnachmittag noch nicht preisgeben. Die Experten rechnen jedoch mit Herrmann-Wick, Benedikt Doll und Roman Rees auf den Positionen zwei bis vier.
Letztere haben in diesem Winter vor allem läuferisch gute Leistungen erbracht und sind die konstantesten DSV-Männer. An guten Tagen sind Rees und Doll also wie Herrmann-Wick auch in den Einzelrennen für Edelmetall gut, haben im Vergleich zur Sächsin aber geringere Chancen auf Gold. Schließlich müssen sie sich mit dem alles in Grund und Boden laufenden Norweger Johannes Thingnes Bø messen. Der fünffache Olympiasieger hat in dieser Saison elf der 14 Einzelrennen als Sieger beendet und schickt sich nun an, der Star der WM-Tage von Oberhof zu werden.
Insofern ist es ganz gut, dass die Entscheidung in der Mixed-Staffel den Anfang macht, das vielleicht spannendste aller Rennen. »Ich wünsche mir einen guten Einstieg, denn dann läuft auch alles andere danach viel leichter. Der Rest ist dann nur noch auf einer Welle schweben«, hofft Frauen-Trainer Mehringer auf eine Art Initialzündung. Andererseits warnt Sportdirektor Bitterling, dass dieser Wettkampf »die härteste Staffel überhaupt« und ein »brutales Rennen« sei, in dem bis zu acht Teams so gut aufgestellt seien, dass sie eine Medaille holen können. »Das kann also in beide Richtungen gehen, aber wir wollen angreifen.«
Nervosität ist in jedem Fall längst zu spüren. »Es kribbelt schon ganz schön«, sagt Hanna Kebinger. Und Kollegin Sophia Schneider fügt hinzu, dass »jeder nur noch darauf wartet, dass es endlich losgeht«. Nicht jeder natürlich. Wenn alle am Rad drehen, ist da ja noch Cheftrainer Mark Kirchner, um sie wieder einzunorden. Die Heim-WM werde »besonders gemacht, aber wir sind gut beraten, uns selbst nicht noch einen extra Rucksack aufzuhängen. Die zehn Kilometer sind am Ende auch in Oberhof immer noch zehn Kilometer lang.«
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!