Übergangslösung für gehörlose Geflüchtete

Die Gehörlosen aus der Ukraine sind in eine Unterkunft am Columbiadamm gezogen – und doch ruhen alle Hoffnungen auf Charlottenburg

Am Ende war der Umzug alternativlos. Bis zuletzt hatte eine Gruppe gehörloser Geflüchteter gegen ihre Verlegung in eine Tempelhofer Containersiedlung protestiert. Nun sind die Ukrainer*innen doch am neuen, umstrittenen Standort nahe des Columbiadamms eingetroffen, pochen allerdings nach wie vor auf eine Unterbringung in Charlottenburg. Ihre bisherige Unterkunft am Rohrdamm in Spandau musste wegen eines geplanten Schulbaus geschlossen werden.

»Der Umzug lief relativ problemlos ab«, sagt Sascha Langenbach zu »nd«. Wie der Sprecher des Berliner Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) erklärt, habe die Behörde unter anderem Sammeltaxis bestellt, um die Gehörlosen von A nach B zu bringen. »Wir waren alle froh, dass am Ende alles gut geklappt hat.« Von den 80 Geflüchteten hätten sich allerdings nur 73 Personen nach Tempelhof begeben: Zwei Familien ist es laut LAF wohl gelungen, durch die Unterstützung von Arbeitgeber*innen anderweitig unterzukommen. »Ich freue mich über jeden, der eine Wohnung findet«, ergänzt Langenbach. Bereits zuvor hatte das LAF für eine schwangere Frau unter den Geflüchteten eine separate Unterkunft in der Nähe der Siedlung organisieren müssen.

Das liegt nicht zuletzt an den Voraussetzungen, die der neue Standort in Tempelhof mit sich bringt: Neben dem niedrigen Schutz, den die Containerbehausungen gegen Witterungsverhältnisse generell bieten, gibt es am Columbiadamm keine Trinkwasserversorgung. Von einer Nutzung der Duschen rät das Gesundheitsamt ab. Hinzu kommt der deutlich längere Weg zur Gehörlosenschule im Westen der Stadt. Für ihn brauchen die Kinder jetzt rund eine Stunde länger mit dem Nahverkehr. Es ist das vierte Mal innerhalb von einem Jahr, dass die Gehörlosen umziehen müssen.

In einem gemeinsamen Brief hatten sich die Geflüchteten jüngst noch gegen die Unterkunft am Columbiadamm ausgesprochen und darum gebeten, mit Menschlichkeit behandelt zu werden. Wie Clara Belz, Flüchtlingsbeauftragte des Berliner Gehörlosenverbands, »nd« mitteilt, folgte daraufhin ein entscheidendes Gespräch zwischen den Geflüchteten und dem Senat. Belz selbst vermittelte. »Es war eine sehr harte Verhandlung. Wir haben mehrmals betont, dass wir das Vertrauen in den Senat und das LAF verloren haben«, führt sie aus. Um nicht an den Columbiadamm zu müssen, hätten die Gehörlosen angeboten, einer Trennung ihrer Gruppe zuzustimmen. »Aber das Problem waren die mangelnden Platzkapazitäten hier in Berlin.«

»Ja, wir sind eingezogen«, heißt es jetzt in einer erneuten Erklärung der Gehörlosen. Doch: »Es gibt Probleme.« Die Geflüchteten berichten von Wasser, das von Decken auf den Boden tropft, von kaputten Jalousien und von nicht funktionierenden Türschlössern. Die Leitung habe versprochen, sich der Dinge anzunehmen. Letztlich spekuliert die Gruppe aber auf eine andere Unterkunft. »Wir hoffen, dass wir im März nach Charlottenburg ziehen können, wie uns der Senat versprochen hat«, schreiben die Gehörlosen.

Gemeint ist ein ehemaliges Studierendenwohnheim am Theodor-Heuss-Platz, das ursprünglich vom LAF für die Gruppe vorgesehen war. Bei einer kurzfristigen Prüfung des Standorts hatte sich herausgestellt, dass hier zuerst saniert werden müsse, bevor die Gehörlosen einziehen könnten. Nun wird der Standort noch einmal unter die Lupe genommen, das LAF hat ihn noch nicht abgeschrieben. »Wir können die Immobilie bekommen«, sagt LAF-Sprecher Langenbach. In den kommenden vier bis sechs Wochen werde geprüft, ob dort eine gehörlosengerechte Brandschutzanlage installiert werden kann oder nicht. Zu den Erfolgsaussichten will sich Langenbach nicht äußern: »Beim Thema Bauen in Berlin kann einiges passieren.«

Dass die Geflüchteten bereits im März das ehemalige Studierendenwohnheim beziehen werden oder ob sie es überhaupt können, ist auch der Sozialverwaltung nach ungewiss. Sie stellt in einer Erklärung klar: »Nur wenn die Installation der visuellen Brandmeldeanlage so wie geplant an diesem Standort erfolgen kann, können die gehörlosen Geflüchteten in diese Unterkunft umziehen.« Könne »wider Erwarten« die Brandschutzanlage nicht auf die Bedürfnisse der Geflüchteten zugeschnitten werden, will der Senat weiterhin nach einer alternativen Unterkunft mit ähnlichen Parametern suchen. Der Columbiadamm selbst steht laut LAF noch bis 2026 zur Verfügung.

Bis ein neuer Standort gefunden wird, verspricht die Sozialverwaltung, alle zwei Wochen in den Austausch mit den gehörlosen Geflüchteten zu treten. Dabei sollen einerseits Probleme aus der Unterbringung am Columbiadamm angesprochen und nach Lösungen gesucht werden. Zum anderen will der Senat die Ukrainer*innen auf dem neuesten Stand halten, was die Sachlage am Theodor-Heuss-Platz angeht. Bei den Treffen sollen neben dem LAF und Mitarbeiter*innen der Sozialverwaltung auch die zuständige Staatssekretärin sowie die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung teilnehmen.

Clara Belz vom Gehörlosenverband bleibt nichtsdestotrotz skeptisch: »Wir haben die Sorge, dass man später sagt: ›Der Columbiadamm klappt doch so gut, was wollt ihr noch?‹« Sie will weiter darauf pochen, dass es sich bei der Unterkunft in Tempelhof nur um eine Übergangslösung handelt. »Das Versprechen muss eingehalten werden.«

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