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Kabale der Scheinheiligen

Krieg gegen die Kultur: Die Ukraine will Schluss machen mit russischer Kunst. Auch mit dem widerständigen Geist Michail Bulgakow

Für manche eine Provokation: Eine Statue in Kiew zeigt den Schriftsteller Michail Bulgakow.
Für manche eine Provokation: Eine Statue in Kiew zeigt den Schriftsteller Michail Bulgakow.

Wer sich aufmacht zu einer Entdeckungsreise nach Kiew, der findet eine Großstadt vor, deren Bild geprägt ist von dem breiten Flusslauf des Dnjeprs genauso wie von der signifikanten sowjetischen Architektur. Die ukrainische Millionenstadt wurde von den Nazis im Zweiten Weltkrieg verwüstet. Es war die Rote Armee, die sie befreite – ein Umstand, an den sich heute nicht jeder gern erinnert. Und es war eine Befreiung, die viele als neuerliche Besetzung empfanden – auch das ist etwas, an das zu erinnern nicht für alle leicht ist.

Inmitten der aus ebendiesen Gründen der Zerstörung vornehmlich jungen Gebäude im Kiewer Zentrum fällt, neben den unzähligen Sakralbauten, eine alte Straße von knapp 800 Metern Länge auf: der Andrejewskij spusk, wie hier vor dem Euromaidan 2014 noch mehr oder weniger selbstverständlich auf Russisch gesagt wurde. Heute heißt sie politisch korrekt: Andrijwskij uswis.

Nicht allein wegen seiner alten Bausubstanz war diese einnehmend schöne Straße – das gilt jedenfalls für die Zeit vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine – ein Touristenmagnet; das war wohl auch das Verdienst eines Weltschriftstellers mit dem Namen Michail Bulgakow, dessen Geburtshaus hier steht, gleichsam Handlungsort seines Debütromans »Die weiße Garde«. Das Haus dient als Museum, daran prangte bis vor Kurzem eine Plakette, die den Künstler ehrt, und nebenan befindet sich eine Statue, die den Meister zeigt und für einige Zeit ein stark frequentierter Ort für Selfies war.

Russische Kultur wird, um es sanft zu umschreiben, nicht mehr geschätzt in der Ukraine. Der Kampf um die Sprache wütet bereits seit 30 Jahren. Nun wird auch jegliches russische Kunstprodukt, und sei es Jahrhunderte alt, behandelt, als wäre es hoch infektiös: befallen vom russischen Geist. Vom »Puschkinopad« ist etwa euphemistisch die Rede: der »Puschkin-Fall«, ein Kunstwort, mit dem der Abriss unzähliger Monumente, die den Klassiker darstellen, bezeichnet wird. Welch ein martialisches Bild, ein Zeichen der Unkultur.

Ganz nebenbei entledigt man sich so selbst der unliebsamen sowjetischen Geschichte, ganz so, als wäre sie nur ein Teil der russischen Historie und nicht auch der ukrainischen. Welche Anknüpfungspunkte eine junge Nation kulturell zu suchen gedenkt, wenn sie großzügig Dekade um Dekade aus ihrem kulturellen Gedächtnis tilgt, bleibt im Unklaren, und so mäandert man in der Ukraine zwischen Volkstümelei und verspätetem Anschluss an westliche Vorbilder.

Dass der Stand der Presse- und Kunstfreiheit in Russland ebenfalls ein schwerer ist, versteht sich fast von selbst. Der Fall des Theater- und Filmregisseurs Kirill Serebrennikow, der allerdings Jahre vor Kriegsbeginn seinen Lauf nahm, spricht bereits Bände. Nur die politischen Vorzeichen sind hier andere.

In Russland geht die Staatsmacht, die Staatskirche eingeschlossen, seit Jahren rigoros gegen das freie Wort vor. Also alles beim Alten, auch nach der Invasion? Eine Verschärfung der Situation ist deutlich zu spüren. Die sprachpolizeiliche Regelung, statt von »Krieg« nur noch von »Spezialoperation« zu reden, ist bezeichnend. Die wenigen um tatsächliche Unabhängigkeit bemühten Medien im Land wurden im vergangenen Jahr drangsaliert oder gar verboten oder haben, um dem zuvorzukommen, die Arbeit eingestellt, wie etwa die renommierte liberale Zeitung »Nowaja gaseta«. Ein solcher Einschnitt betrifft aber das gesamte öffentliche Leben in Russland und geht weit über die Meinungsbildung zum herrschenden Krieg hinaus. Es handelt sich dabei um einen weiteren zielgerichteten Schritt, die zivilgesellschaftliche Opposition zu schwächen.

Zurück in Kiews Altstadt. Warum ringt man um Bulgakow, immerhin ein Kind der Stadt, auf das man auch einfach stolz sein könnte? Zum einen sprach er, wie wohl die Mehrzahl seiner Zeitgenossen derselben Herkunft, die falsche, ungeliebte Sprache. Zum anderen ist im Selbstbild der derzeitigen Ukraine kein Platz für eine sowjetische Schriftstellerbiografie, die von Ambivalenzen und Widersprüchen geprägt ist.

Nicht erst seit Beginn des russischen Angriffs, aber seitdem besonders lautstark, wird über Bulgakow in der Ukraine mit ausgestrecktem Zeigefinger gesprochen. Man hat genug von dem Schmuddelkind. Zunächst wurde nur die Ehrenplakette an der Fassade seines Geburtshauses entfernt. Offizielles Ziel des Manövers: die Ent-Russifizierung der Ukraine. Man könnte aber ebenso gut behaupten: die intellektuelle Selbstkastration einer Nation.

Aber die Zukunft von Statue und Museum ist ebenfalls gefährdet. Die Museumsdirektorin ist unter Rechtfertigungsdruck. Im Parlament wird geraunt, die russische Kultur sei eine Waffe im Kampf gegen die Ukraine. Anwohner beschweren sich über das Monument des »Russen« in ihrer Straße. Und die auch in Deutschland gefeierte ukrainische Autorin Oksana Sabuschko fordert, des »Fremden«, ihres Schriftstellerkollegen, in Kiew nicht mehr zu gedenken.

All das entbehrt nicht einer gewissen traurigen Ironie, da Michail Bulgakow das Leben in der Sowjetunion durchaus kritisch in seinen Werken verarbeitete. Sein bekanntester Roman, »Der Meister und Margarita«, konnte erst Jahrzehnte nach seiner Entstehung erscheinen und ist zum Erweckungsbuch des östlichen 68 geworden.

Immer wieder wird gegen den Autor ins Feld geführt, er sei von Stalin geschätzt worden. Ein denkbar schwaches Argument. Zumal Bulgakow auf die ihm gemäße Art, nämlich schriftstellerisch, auf das stets schwierige Verhältnis von Kunst und Machtapparat reagiert hat, etwa in seinem Theaterstück »Die Kabale der Scheinheiligen«. Ein Titel, der auch bezeichnend ist für das Agieren derjenigen, die von einer kulturell gesäuberten ukrainischen Nation fantasieren.

»Die weiße Garde«, jener Roman, der im heute noch als Museum dienenden Haus spielt, dient einigen Kritikern als Beweis für die »Ukrainophobie« des Autors. Es handelt sich um einen literarischen Stoff, der im Kiew des nachrevolutionären Bürgerkriegs spielt und aus der Perspektive einer zarentreuen Familie erzählt wird, die die Roten ebenso verachtet wie das bäuerlich-ukrainische Provinzlertum. Schon zu Beginn wird gewitzelt über die ukrainische Sprache, die den Protagonisten ein primitives Russisch ist. Aber wer macht schon den Oberschülerfehler und verwechselt die Figuren mit ihrem Schöpfer? Da scheint es weitaus plausibler, die Ursache für die Antipathie woanders zu suchen. Vielleicht stört man sich daran, dass Bulgakow in dem Buch wie kein Zweiter den vorherrschenden Antisemitismus in der Ukraine dokumentiert.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wäre aber Grundlage für die Herausbildung einer kulturellen Identität. Solange das ausbleibt und man sich stattdessen in der Zerstörung von Kunstwerken übt, bleibt das Gerede von der Verteidigung »westlicher Werte« an der russisch-ukrainischen Front ein Treppenwitz der postsowjetischen Geschichte.

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