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Grüne und Linke entsetzt über Sondierbericht der Berliner SPD

Die Grünen bezeichnen Bericht des Sondierteams der Berliner SPD als »Papier der Niedertracht«

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, antwortet Berlins Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am Donnerstag gebetsmühlenartig auf die Frage, warum die SPD-Spitze die Türen zu den Grünen und Die Linke zugeschlagen habe. Am Mittwochabend hatte sich der SPD-Landesvorstand mit 25 zu zwölf Stimmen auch offiziell dafür ausgesprochen, das Bündnis mit den bisherigen Regierungspartnern zu beerdigen und Koalitionsgespräche mit dem Wahlsieger CDU aufzunehmen.

Als Basis für die Entscheidung diente dabei ein sechsseitiger Bericht der von Giffey und SPD-Co-Landeschef Raed Saleh angeführten Sondierungskommission. Den größten Teil des Papiers nimmt zwar die vage gehaltene Zusammenfassung der Ergebnisse der Gespräche mit der CDU ein, mit der man »in allen Bereichen große Schnittmengen festgestellt« habe. Aufschlussreich an dem Bericht ist gleichwohl etwas anderes: Giffey und Saleh hinterlassen den Noch-Koalitionspartnern giftige Abschiedsgrüße.

Besonders brachial ziehen die sozialdemokratischen Sondierer gegen die Grünen zu Felde. So heißt es in dem Papier: »In nahezu allen politischen Teilbereichen haben die Grünen erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit aufkommen lassen. Selbst bezüglich des bestehenden Koalitionsvertrages sah sich die Sondierungsgruppe mit ständigen Relativierungen konfrontiert.« In allen Bereichen habe der Noch-Koalitionspartner »Zielzahlen oder die Verbindlichkeit von Absprachen in Abrede gestellt«. Konkret genannt werden etwa der Schulneubau und die Fortführung des 29-Euro-Tickets. Der Tenor: Die Grünen sind hartherzige Kahlschläger, mit denen die »Berlin-Partei« SPD als alleinige Sachwalterin »sozialer Politik« nicht kann.

Bei den Grünen ist man fassungslos. »Eine SPD, die in 34 Jahren in Berlin nichts hingekriegt hat, alles versemmelt, von BER bis Schule, selbst hochzerstritten, schreibt so ein Papier der Niedertracht. Schämt euch!«, lädt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast am Donnerstag auf Twitter ihre Wut ab. Künast hat Erfahrungen mit den Berliner Genossen: 2011 wurden die Koalitionsgespräche zwischen der SPD und den Grünen mit ihr als Spitzenkandidatin nach einer Stunde abgebrochen. Die Grünen machen bis heute die SPD für das Scheitern verantwortlich.

Tatsächlich ist nach mehrfach bestätigten nd-Informationen an den Vorwürfen der SPD, die Grünen hätten in den Gesprächen ausschließlich ihre Eigeninteressen durchdrücken wollen, wenig bis nichts dran. Zwar hätten dem Vernehmen nach die Sondierer um Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch auf die hohen Kosten hingewiesen, die beispielsweise mit der Fortführung des SPD-Herzensprojekts 29-Euro-Ticket verbunden seien. Im Großen und Ganzen sei die Partei aber kompromissbereiter gewesen, als es im Nachgang von der SPD dargestellt werde. Vasili Franco, der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hält dann auch dagegen: »Letztendlich ist Rot-Grün-Rot an einer SPD-Spitze ohne Fähigkeit zur Selbstkritik gescheitert. Da ist ja null Selbstkritik in dem Papier.«

Dessen ungeachtet spinnt Franziska Giffey die Erzählung vom unvermeidlich gewordenen Schlussstrich ihrer Partei wacker weiter. »Wir haben in den Sondierungen leider gesehen, dass die Grünen wichtige Ziele, die wir definiert haben, für die bezahlbare Stadt, Bildungsgerechtigkeit und den Wohnungsbau, relativiert haben, dass Dinge in Frage gestellt worden sind, die uns als SPD enorm wichtig sind«, sagte die nun als künftige Super-Senatorin gehandelte SPD-Co-Landeschefin am Donnerstag im RBB-Inforadio.

Weniger Energie verwenden Giffey und Saleh auf das Abwatschen des linken Koalitionspartners. In dem Bericht an den Landesvorstand wird die »verbindliche Herangehensweise und Verabredungsfähigkeit der politischen Führung der Linkspartei« nicht mal in Zweifel gezogen. Dafür verweist man auf den desolaten Zustand der Bundespartei. Die Linke stehe »vor einer Zerreißprobe, deren Ausgang aktuell ungewiss erscheint«. Und was die Landes-Linke betreffe, so bestünden »erhebliche Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit verabredeter Positionen in der Breite der Partei«. Offenbar besonders verwerflich: der Widerstand gegen Bebauungspläne.

»All die Vorwürfe laufen ins Leere«, sagt Tobias Schulze, der stellvertretende Landeschef der Linken. Die angesprochene Zerstrittenheit beziehe sich allein auf den Bund. »Das spielt in Berlin keine Rolle. Und das weiß die SPD auch. Deshalb halte ich das für unredlich. Stil ist etwas anderes«, sagt Schulze »nd«. Giffey und Saleh hätten sich für die CDU entschieden. Nur darum gehe es. »Die SPD ist eine Machtmaschine. Die Frage ist nun, ob der Rechtskurs funktioniert.«

Letztlich sorgt die Haltung von Giffey und Saleh nicht nur bei Grünen und Linken für Verärgerung. Auch in der SPD-Parteilinken wird das Dokument verrissen. So schreibt der 2019 geschasste SPD-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles, einst Sprecher des linken Flügels, in einer Stellungnahme: »Das Ergebnis der Sondierungsgespräche stand schon vorher fest. Giffey will raus aus der Verantwortung und rein in die CDU-Regierung. Punkt.«

Um das Ende von Rot-Grün-Rot und den Verzicht auf eine SPD-Führung im Senat zu legitimieren, habe sich Giffey mehrerer »Kniffe« bedient, wozu, so Rackles weiter, vor allem die Demontage der Partner gehöre: »Ihnen wird mit vagen Andeutungen die komplette Regierungsfähigkeit abgesprochen mit massiven Vorwürfen in Bezug auf Verlässlichkeit.« Und: »Mit diesem Kniff diskreditiert man auf fast unseriöse Weise bisherige Koalitionspartner und zerlegt nebenbei selbst nachhaltig die Basis für eine vertrauensvolle weitere Zusammenarbeit.«

Linke-Landesvize Schulze sieht das genauso. Sollten die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen nebst anschließender Befragung der 20.000 Berliner SPD-Mitglieder im Sinne Giffeys und Salehs über die Bühne gehen, dürfte ein neuer Senat unter CDU-Landeschef Kai Wegner als Regierendem Bürgermeister trotzdem kaum vor Mai ins Amt gewählt werden. Für die verbleibende Zeit des rot-grün-roten Senats sieht Schulze schwarz: »Auf der Vertrauensebene ist das eine Katastrophe. Das wird sehr schwierig. Jetzt geht es wohl nur noch um Abwicklung.«

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