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Gespaltener Ostermarsch

Die Linke zieht sich offiziell aus der Friedenskoordination Potsdam zurück

»Stoppt die Waffenlieferungen und Rüstungsexporte in alle Kriegs- und Krisengebiete!« – »Stoppt alle Kampfhandlungen in der Ukraine!« – »Stoppt die Nato-Osterweiterung!« – »Zieht alle Atomwaffen aus Europa ab!«

All das sind Forderungen aus dem Aufruf zum 22. Potsdamer Ostermarsch, der wie gewohnt schon eine Woche vor Ostern stattfinden soll, dieses Jahr also am 1. April. Die Friedenskoordination Potsdam (Friko), 1999 anlässlich des Nato-Angriffs auf Restjugoslawien gegründet, wählt traditionell einen etwas früheren Termin, damit Potsdamer dann an Ostern am großen Berliner Ostermarsch teilnehmen können oder früher an dem ebenfalls sehr gut besuchten Ostermarsch in der Kyritz-Ruppiner Heide.

In Potsdam kamen bisher immer etwa 100 bis 200 Teilnehmer, sagt Michael Meixner. Er stammt aus einem christlichen Elternhaus und ist Pazifist. Zur Friko stieß er 2003, als eine Koalition unter Führung der USA den Irak angriff und den Machthaber Saddam Hussein stürzte. Der Angriff wurde mit der Behauptung gerechtfertigt, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Die konnten dann aber nicht gefunden werden. Inzwischen ist Meixner Sprecher der Friko, die eine besondere Verpflichtung fühlt, weil 1945 US-Präsident Harry S. Truman von Potsdam aus den Abwurf der Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki angeordnet hatte. Jetzt besteht die Furcht, der russische Angriff auf die Ukraine könnte sich zu einem Dritten Weltkrieg auswachsen, bei dem die atomare Vernichtung der Erde droht.

Angesichts dieser bedrohlichen Lage hofft Meixner, dass sich mehr Menschen an dem Ostermarsch beteiligen als sonst. Um 15 Uhr sollen sich die Demonstranten am 1. April am Brandenburger Tor von Potsdam treffen, von dort zum sowjetischen Ehrenmal am Bassinplatz ziehen und zurück zum Brandenburger Tor. Als Redner angekündigt sind die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Linke) und Norbert Wilke von der Potsdamer Linken. Am Ende tritt dann der Sänger Tino Eisbrenner auf, der bei der Landtagswahl 2021 in Mecklenburg-Vorpommern für Die Linke kandidierte.

Doch der Linke-Kreisverband Potsdam hat sich mit einem Vorstandsbeschluss vom 9. Februar nun auch formal aus der Friko zurückgezogen, deren Teil er praktisch seit Anbeginn gewesen ist. Der Beschluss sei einstimmig gefasst worden, erklärt der Kreisvorsitzende Roland Gehrmann auf Nachfrage. Die Entfremdung begann nach seiner Darstellung, aber auch nach Angaben von Meixner, bereits im August 2021. Damals eroberten die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul. Der Bundestag hatte zu entscheiden, ob die Bundeswehr über den noch von Nato-Truppen gesicherten Flughafen Zivilisten ausfliegen sollte: Einheimische, die für die Bundeswehr oder andere Stellen gearbeitet hatten, und ihre Familien. Der damalige Bundestagsabgeordnete Norbert Müller (Linke), ein überzeugter Antimilitarist, hatte in diesem besonderen Fall ausnahmsweise nicht gegen einen Auslandseinsatz der Bundeswehr gestimmt, sondern sich enthalten, so wie in der Linksfraktion verabredet. Dafür war er von der Friko gerügt worden.

Seitdem habe sich Die Linke immer spürbarer ferngehalten und die Trennung jetzt nur noch offiziell besiegelt, sagt Meixner. Das heißt allerdings nicht, dass sich einzelne Genossen wie der Rentner Horst Jäkel nicht mehr weiter in der Friko engagierten.

Die inhaltlichen Differenzen zwischen Linke-Kreisvorstand und Friko seien »hinreichend deutlich«, schreibt der Kreisvorstand in einem auf den 16. Februar datierten Brief an Meixner. »Die Friko kann für sich entscheiden, mit wem sie zusammenarbeiten möchte. Und wir entscheiden das ebenso für uns.« In der Vergangenheit sei es bei Veranstaltungen der Friko immer wieder zu problematischen Aussagen gekommen. Die Potsdamer Linke habe dies immer wieder thematisiert und versucht, durch Absprachen im Vorfeld neuerliche Provokationen zu verhindern, die dem eigentlichen Anliegen einer breit getragenen Friedensbewegung schadeten, heißt es weiter. Geholfen habe das aber praktisch nichts. So sei die Corona-Pandemie geleugnet, dem serbischen Präsidenten und Kriegsverbrecher Slobodan Milošević Respekt gezollt und Solidarität mit dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko bekundet worden – »um nur einige Auswüchse zu erwähnen«.

Der russische Attacke auf die Ukraine im Februar 2022 habe nun deutlich gemacht, dass es Kräfte gebe, die von Frieden sprechen, aber die völkerrechtswidrige Attacke »leugnen, relativieren und legitimieren«. Das widerspreche den Grundsätzen der Linken. Leider mangele es der Friko an der Bereitschaft, sich von solchen Positionen zu distanzieren, heißt es in dem Brief des Keisvorstands. »Gerade solche Positionen sind es aber, die eine starke Bewegung für Diplomatie und Frieden und gegen den Aufrüstungskurs der Bundesregierung derzeit verunmöglichen.« Zum Schluss wird die Hoffnung ausgedrückt, dass es zu einem Klärungsprozess in der Friko komme. Solange dies nicht passiert sei, könne die Potsdamer Linke nicht Teil der Friko sein.

In seiner Antwort vom 28. Februar reagiert Meixner auf die Vorwürfe – unter anderem auch auf die Anschuldigung, jetzt dürfte die aus der Querdenkerszene hervorgegangene Partei Die Basis bei der Friko mitmachen. Im Sommer habe die zu dieser Partei gehörende Basisgruppe Frieden angefragt, ob sie an den Sitzungen der Friko teilnehmen dürfe. Man habe entschieden, dass bis zu vier Personen kommen könnten, jedoch ausdrücklich nicht als Vertreter der Partei, sondern nur als Privatpersonen, erläutert Meixner. Dieses Angebot habe die Gruppe nicht angenommen. Die vorgetragene Kritik an den Corona-Maßnahmen sei legitim und vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt gewesen.

Der schriftliche Austausch und Telefonate miteinander führten aber zu nichts. Die Differenzen bleiben bestehen und der Kreisvorstand bleibt der Friko zumindest vorerst weiterhin fern. Er wird sich aber an einer für Ostersamstag geplanten Ostermarsch-Aktion des Landesverbandes Brandenburg in Potsdam beteiligen. Da dies eine Woche nach dem Ostermarsch der Friedenskoordination sei, mache man dieser damit auch keine Konkurrenz, betont der Linke-Kreisvorsitzende Gehrmann.

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