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Peter Ruben: Ein Unorthodoxer. Ein Denker

Werkausgabe des unorthodoxen DDR-Marxisten Peter Ruben ist nunmehr erschienen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Sein Denken provozierte und inspiriert: Peter Ruben
Sein Denken provozierte und inspiriert: Peter Ruben

Wer in der DDR marxistisch-leninistische Philosophie studierte, so Peter Ruben, dem eröffneten sich Karrierechancen, »die vom Mitglied des Zentralkomitees der SED bis zum Insassen eines Zuchthauses reichten«. Der 1933 geborene Philosoph, der seinem 90. Geburtstag entgegensieht, weiß, wovon er spricht. Das Zuchthaus, das ihm noch in den 50er Jahren gedroht hätte, blieb ihm allerdings erspart. Von 1981 bis 1989 erhielt Peter Ruben »bloß« Publikations- und Auftrittsverbot. Begründung: Revisionismus. Zuerst sollte er vom Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften entlassen werden (zusammen mit fünf weiteren Mitarbeitern des Instituts), aber dann – nach internationalen Protesten – wurde er auf einen Alibiposten abgeschoben und aus der SED ausgeschlossen.

Wie absurd solch militante Abstrafung scheint, lässt sich schon an der Tatsache ermessen, dass, während die Gesellschaftswissenschaften immer noch auf eine »reine« marxistisch-leninistische Lehre verpflichtet werden sollten, die DDR längst nur noch mittels westlicher Kredite existenzfähig war. Und Ruben gehörte zu jenem Kreis von Philosophen, die sich intensiv mit der Frage der Überwindung starrer Planwirtschaft beschäftigt hatten, nach den schöpferischen Impulsen von Gesellschaftsentwicklung fragten – und dabei auch mathematische Modelle von Schumpeter oder Kondratjews Theorie »der langen Wellen« einbezog.

Also ein einsamer Denker in der Wüste. Fast ein Jahrzehnt lang war Ruben zum Schweigen verurteilt. Doch das machte ihn zu einer Legende unter uns Philosophie-Studenten der Humboldt-Universität, wo Ruben 1975 über das Thema »Widerspruch und Naturdialektik« habilitiert hatte. Ich erinnere mich an eine Vorlesung von Götz Redlow, Bereichsleiter Dialektischer Materialismus – am Institut gäbe es noch zahlreiche Bewunderer von Nicolai Hartmanns Ontologie (der bürgerliche Philosoph war 1931 an die Berliner Universität berufen worden). Eingeweihte verstanden diese süffisante Bemerkung so, wie sie gemeint war: als Angriff auf jeden Rezeptionsversuch von Georg Lukács’ »Ontologie des gesellschaftlichen Seins«, die eine – vielleicht tatsächlich unter Hartmanns Einfluss vollzogene – späte Revision seines Frühwerks »Geschichte und Klassenbewusstsein« war.

Die Naturdialektik erschien darin in einem neuen Licht. Arbeit als Stoffwechsel mit der Natur? In dieser Aussage liegt eigentlich nichts Skandalöses. Aber die hassvollen Reaktionen auf Rubens Aufsatz (zusammen mit seiner Frau Camilla Warnke) »Arbeit – Telosrealisation oder Selbsterzeugung der menschlichen Gattung?«, veröffentlicht 1979 in der »Deutschen Zeitschrift für Philosophie«, ließen das vermuten. Mit Lukács plädierte Ruben für die Überwindung einer von ihm konstatierten Kluft zwischen Gesellschaft und Natur. Was folgte, war ein ideologisches Kesseltreiben, das an schlimmste Zeiten des Stalinismus erinnerte. H. C. Rauh, gerade erst Chefredakteur der Zeitschrift geworden, hatte den bereits geraume Zeit dort ungedruckt liegenden Text ins Blatt gebracht. Nun wurde er als Helfershelfer des Revisionisten Ruben umgehend seines Postens enthoben und an die Universität Greifswald abgeschoben, die nur Fernstudenten betreute.

Als Peter Ruben 1990 neuer Direktor des Zentralinstituts für Philosophie wurde, das kurz darauf vor der Abwicklung stand, entfaltete der aus der Wüste Zurückgekehrte eine erstaunliche Produktivität. Aufsatz um Aufsatz erschien, aber nun war es, als ob er ins Leere spreche. Der Resonanzraum DDR war verloren gegangen.

Es hat lange gedauert, bis wir nun diese vier kostbaren Bände mit Texten eines unorthodoxen Marxisten in Händen halten. Es sind die Früchte eines konsequenten Denkens, die sich nun – dank der unter dem Dach der Rosa-Luxemburg-Stiftung agierenden Clara-Zetkin-Stiftung, die diese Publikation unterstützte – im Detail studieren lassen. Mit Gewinn auch für unsere Gegenwart, der der Sinn für innere Widersprüchlichkeiten ebenso abhandenzukommen scheint, wie es der DDR geschah – zu ihrem Schaden.

In den Bänden lesend, erfährt man viel von den Versuchen Einzelner in der DDR, den Marxismus vor einer reinen Auslegungsscholastik (vor allem der platten Lenin’schen Widerspiegelungs- als Erkenntnistheorie) zu bewahren, zu einer lebendigen, also sich selbst kritisierenden und korrigierenden Theorie zu machen. In der Folge des Ungarn-Aufstands 1956, so lesen wir in »Die DDR und ihre Philosophen – Über Voraussetzungen einer Urteilsbildung«, bei dem Georg Lukács die Rolle des Kopfes eines angeblich konterrevolutionären »Petőfi-Clubs« zugewiesen wurde, richteten sich die staatlichen Repressalien in der DDR massiv gegen Akademiker, auch gegen Studenten. Walter Janka und Wolfgang Harich etwa wurden zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, aber das war nur die Spitze des Eisbergs.

Viele junge Intellektuelle, die es wagten, eigenständig zu denken, wurden zur »Bewährung« (sprich: Umerziehung) in die Produktion geschickt, auch Peter Ruben, der mit am Flughafen Berlin-Schönefeld baute. Arbeit als Strafe – das war die Verkehrung marxistischer Theorie in ihr Gegenteil. Zumal die Arbeiter meist nicht gut auf die SED zu sprechen waren und die »Roten« von der Universität schon mal verprügelten, wenn sie etwas Positives über den Sozialismus zu sagen wagten. Auch das ein Praxistest für angehende Philosophen!

Ruben war Schüler von Klaus Zweiling gewesen, der wiederum von dem Physiker Max Born geprägt war. Darum die stark mathematische Ausrichtung seines Denkens. Auf einem Kolloquium 1996 zum Thema »Die Philosophie der DDR zwischen Bolschewisierung und deutscher Tradition« analysierte Ruben die Situation Ende der 50er Jahre an den Universitäten der DDR. Mit der ideologischen Abstrafungswelle wurden sie ihrer Autonomie beraubt: »Es ist nun möglich, Lehrstühle mit solchen Leuten zu besetzen, die dem Apparat dienlich erscheinen, und der Apparat selbst selektiert. Das ZK der SED erklärt, wer irgendwo berufen wird oder nicht.«

Band 2 kreist um die philosophischen Fragen von Wirtschaft und Gesellschaft. Darin findet sich auch die bemerkenswerte Abhandlung »Über den Platz der DDR in der deutschen Geschichte«. Hier heißt es: »Das formelle Ende der DDR ist freilich nicht ihr reelles. Sie lebt weiter in den Unterschieden zwischen West- und Ostdeutschland.« Den Band beschließt ein Interview, das Jan Wielgohs 2012 mit Ruben für die »Berliner Debatte Initial« führte. Darin geht es um Honeckers Unverhältnis zur Perestroika. Das Grundproblem sei: »›Die Partei hat immer recht‹ (und die Partei war zu seiner Zeit mit Stalin identisch!) kann nur von Menschen als gültig angesehen werden, die aufgrund ihrer persönlichen Lebenserfahrung keine Chance sehen, als Personen emanzipiert zu werden, sondern ausschließlich und allein als Glieder einer Partei …« Das führte dann letztlich zu kollektiver Verantwortungsflucht, der schwersten Hypothek einer Gesellschaft.

Die starke mathematische Ausrichtung von Rubens Denken provozierte natürlich andere ebenso emanzipatorische Richtungen der DDR-Philosophie, besonders jene von Helmut Seidel in Leipzig oder Gerd Irrlitz in Berlin. Sie folgten Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung«, das sich aus der Philosophiegeschichte herleitete. Diese höchst attraktive Art zu philosophieren, die nach dem »Unabgegoltenen« fragt, zog auch mich in Bann. Für Ruben war sie allerdings nicht mehr als »literarischer Quatsch«. Da scheint Widerspruch vorprogrammiert – aber wie mit jemandem disputieren (was der Normalzustand von Philosophie sein sollte), der als Außenseiter ausgegrenzt wird?

Aus politischen Gründen verschwand mit dem von Honecker initiierten Politikwechsel in der Wirtschaftspolitik Anfang der 70er Jahre auch der von Peter Ruben formulierte Ansatz. In der von Georg Klaus begründeten mathematischen Spieltheorie (Kybernetik!) waren bereits die Grundlagen der digitalen Welt von heute in den Blick genommen. Wieder eine verpasste Gelegenheit der DDR, Avantgarde zu sein. Darum sollte man Peter Ruben neu lesen. Sein Denken, das immer existenziell geprägt blieb, vermittelt jene Erfahrung des Scheiterns, die jedem Neuen erst Gewicht gibt.

Peter Ruben: Gesammelte philosophische Schriften. Bd. 1–4. Hg. v. Ulrich Hedtke u. Camilla Warnke. Verlag am Park/Edition Ost, jeder Band über 440 S., br., je Band 49 €.

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