Mitgliedervotum: Kritische Stimmen in der SPD

Die Entscheidung über Berlins künftige Koalition steht kurz bevor – und kann gewerkschaftspolitisch gravierende Folgen nach sich ziehen

Schon bald entscheidet sich, ob die SPD-Basis den CDU-Landesvorsitzenden Kai Wegner zum nächsten Regierenden Bürgermeisters macht. Stand Montag haben rund 41 Prozent der Stimmberechtigen ihre Abstimmungsbriefe zum Mitgliedervotum zurückgesendet, wie der SPD-Landesverband »nd« mitteilt. Rückschlüsse auf eine voraussichtliche Beteiligung lassen sich laut Landesverband allerdings nicht ziehen. Klar ist allerdings schon jetzt: Das Votum wird zählen. Mindestens ein Fünftel der Stimmberechtigen müssen hierfür an der Abstimmung teilnehmen. Der Rücksendeschluss endet am Freitag, eine Minute vor Mitternacht.

Doch zum Endspurt des Mitgliederentscheids werden noch einmal die kritischen Stimmen aus der Berliner SPD laut. Jüngstes Beispiel: Eine gemeinsame Erklärung von Berliner Gewerkschafter*innen der SPD, Grünen und Linken. Unter dem Titel »Progressive Mehrheit für gute Arbeit nutzen« machen sich 20 Gewerkschafter*innen für eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition stark. Gemeinsam habe man erhebliche Verbesserungen für die Beschäftigten in Berlin erreichen können – »bei allen Unterschieden, die in einem Bündnis aus drei verschiedenen Parteien normal sind«.

Zu den Unterzeichner*innen gehört Christian Hörbelt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (AfA) der SPD in Charlottenburg-Wilmersdorf. »Es geht bei der Erklärung darum, die Gewerkschafts- und Arbeiter*innenbewegung parteiübergreifend zu stärken, und um Punkte, die wir als gut und wichtig ansehen«, sagt er zu »nd«. Im neu ausgehandelten Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU stehe zwar viel Gutes. Doch: »Ich weiß nicht, ob das alles eins zu eins durchsetzbar ist. Bei Rot-Grün-Rot wäre die Wahrscheinlichkeit höher.«

Wie sich die Mitglieder seiner Partei am Freitag entscheiden werden, ist sich der Gewerkschafter alles andere als sicher: »Wenn ich eine Glaskugel hätte, würde ich Lotto spielen. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass eine Mehrheit für die schwarz-rote Koalition stimmen wird.« In diesem Fall wünscht sich der SPD-Politiker jemanden an der Spitze der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, der in der Gewerkschaftswelt verankert ist und sich bereits bewiesen hat. »Nur so können möglichst viele gute Sachen für die Beschäftigten in Berlin umgesetzt werden«, sagt Hörbelt. Tatsächlich würde in einer Großen Koalition die SPD den Posten stellen, im Gespräch für das Amt soll laut »Tagesspiegel« die AfA-Vorsitzende Cansel Kiziltepe sein.

Die parteiübergreifende Erklärung hat die SPD-Politikerin allerdings nicht unterschrieben, im Gegensatz zu Heiko Glawe (Grüne). Wie der Gewerkschafter gegenüber »nd« deutlich macht, hat er in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für die Landesarbeitsgemeinschaft Gewerkschaftsgrün unterzeichnet. In der Vergangenheit habe man mit der AfA und der Landesarbeitsgemeinschaft der Linken gut zusammengearbeitet. »Wir als Gewerkschaftsgrüne haben festgestellt, dass wir gemeinsam gute Projekte umsetzen konnten«, sagt er. Die kontinuierliche Kooperation der drei Arbeitnehmerorganisationen sei bundesweit einmalig. Komme das Signal von den Kolleg*innen der AfA, sei man dabei.

Seit dem Wahlkampf und der Ankündigung der Berliner SPD, lieber mit der CDU koalieren zu wollen, scheint das Band zwischen Sozialdemokrat*innen, Grünen und Linken zerrissen. Trotzdem hält Glawe eine rot-grün-rote Koalition zumindest rein theoretisch für weiterhin denkbar: »Grüne und Linke haben mehrfach deutlich gemacht, dass die Türen wieder aufgemacht werden können – oder dass zumindest keine Vorhängeschlösser daran hängen.« Das Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums erwartet der Grünen-Politiker mit Spannung. Sollte sich die SPD gegen eine Große Koalition und zugleich für den Gang in die Opposition entscheiden, wäre auch Schwarz-Grün denkbar. Auf diese Spekulation will sich Glawe aber nicht einlassen. »Das sind mir zu viele Wenns.«

Damiano Valgolio, arbeitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, setzt nach wie vor auf Rot-Grün-Rot. Er hat die Erklärung als Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der IG Metall unterzeichnet. »Wir möchten als Gewerkschafter zeigen, dass es eine Alternative gibt, die in der Sache besser wäre. Es soll in erster Linie ein positives Zeichen sein«, sagt er »nd«. Wie Hörbelt und Glawe betont er den parteiübergreifenden Charakter des Schreibens. Er erklärt aber auch: »Als Linke hoffen wir natürlich, dass die SPD-Mitglieder dagegen stimmen. Aber wir wollen uns da nicht einmischen.« Seit die Postenverteilung in der Großen Koalition offengelegt worden sei, nehme er in der SPD wachsendes Missfallen wahr. Ein Zerwürfnis sieht Valgolio vor allem zwischen Sozialdemokrat*innen und Grünen: »Im Wahlkampf wurde da einiges kaputtgemacht. Am Ende waren es nicht inhaltliche Differenzen, sondern es war die Konkurrenz um Platz eins, die für den Bruch gesorgt hat.«

Mit Blick auf Schwarz-Rot wähnt Valgolio die arbeitspolitischen Fortschritte der vergangenen Monate in Gefahr, nicht zuletzt die Ausbildungsplatzumlage: »Wir waren kurz vor der Einführung der Ausbildungsplatzumlage und jetzt liegt das komplett auf Eis.« Die Eckpunkte für das Gesetz hatte die Arbeitsverwaltung unter Senatorin Katja Kipping (Linke) Ende 2022 präsentiert. Bei der Ausbildungsplatzumlage sollen Betriebe einen gewissen Prozentsatz ihrer Bruttolohnsumme in einen vom Land Berlin verwalteten Topf einzahlen. Die Mittel sollen dann genutzt werden, um Unternehmen bei der Finanzierung von Ausbildungsplätzen zu unterstützen. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD sieht nun vor, die Regulierung nur weiter zu verfolgen, wenn es der Berliner Wirtschaft nicht gelingt, 2000 zusätzliche Ausbildungsplätze bis 2025 zu schaffen.

Für Valgolio ist das zu wenig. »Berücksichtigt man die Zunahme an Bewerbern, kommen wir damit nicht einmal auf das Vor-Corona-Niveau«, kritisiert er. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht befürchtet außerdem, dass Unternehmen lediglich fürs Papier neue Ausbildungsplätze schaffen. »Das können dann total unattraktive Ausbildungsplätze sein: Klo putzen für 500 Euro«, sagt Valgolio. Der schwarz-rote Ansatz sei von Grund auf der falsche, die Umlage hingegen »ein Wert an sich«.

Zudem sorgen sich die Gewerkschaftsmitglieder um die von Rot-Grün-Rot angestrebte Tariftreue bei öffentlicher Auftragsvergabe oder auch um die Rekommunalisierung der Schulreinigung. Das »Klein-Klein« und die alltägliche Arbeit der Verwaltung sieht Valgolio dabei als zentral an. Mit Blick auf die Große Koalition zeigt er sich skeptisch: »Wir haben es beim angekündigten Personal der CDU mit einem Immobilienunternehmer als Fraktionsvorsitzenden, bei der Verkehrssenatorin mit einer Arbeitgeberlobbyistin und beim Justizsenator mit einem Wirtschaftsanwalt zu tun. Ist doch klar, dass man in der täglichen Arbeit hier nicht allzu viel erwarten kann.«

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