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Frauen-Radsport: Mehr Rennen, mehr Fans, mehr Geld

Die Frauensparte des Radsports boomt, die Gehälter steigen rasant – allerdings nur an der Spitze

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Demi Vollering (vorn) war auch in Lüttich nicht zu bezwingen. Die Niederländerin gewann damit alle drei Rennen in den Ardennen.
Demi Vollering (vorn) war auch in Lüttich nicht zu bezwingen. Die Niederländerin gewann damit alle drei Rennen in den Ardennen.

Ein unwiderstehlicher Antritt 100 Meter vor dem Ziel, und die Entscheidung war gefallen: Die Niederländerin Demi Vollering ließ sich die Chance nicht nehmen, als zweite Frau das Ardennen-Triple zu gewinnen. Am Sonntag siegte die 26-Jährige vom Team SD Worx nach 142,8 Kilometern vor ihrer letztlich chancenlosen Fluchtgefährtin Elisa Longo Borghini aus Italien. Vor Vollering hatte einzig ihre Landsfrau Anna van der Breggen (2017) den Dreifach-Erfolg der Frühjahrsklassiker Amstel Gold Race, Fleche Wallonne und Lüttich-Bastogne-Lüttich erreicht. Bei den Männern scheiterte wenige Stunden später Tadej Pogačar aus Slowenien durch einen Sturz beim Versuch, es Vollering gleich zu tun.

Der Erfolg könnte kaum passender in diese Zeit passen, da der Frauenradsport wächst und wächst. Das ist an vielen Faktoren ablesbar. Zum einen werden es immer mehr Teams, die in der obersten Kategorie antreten. Derzeit sind es 15, vor zwei Jahren erfüllten nur fünf Rennställe die wirtschaftlichen und organisatorischen Vorgaben des Weltverbands UCI. Auch der Rennkalender wird immer dichter. 18 Rennen in der Women’s World Tour gab es vor zwei Jahren, aktuell sind es 27. Und auch die allgemeinen Bedingungen sind besser geworden. Das lässt sich detailliert dem Jahresreport der Radfahrerinnengewerkschaft The Cylists Alliance (TCA) entnehmen.

15 World Tour Teams bedeuteten nicht nur, dass dort die Gehaltsstrukturen stabil sind und dass das Minimalsalär von 32 100 Euro pro Jahr gezahlt wird – ein Anstieg von 15 000 Euro seit der Ersteinführung 2020. Viele Teams vergüten ihre Fahrerinnen mittlerweile auch über diesen Satz hinaus. 13 Prozent der von der TCA befragten Fahrerinnen gaben an, bereits mehr als 100 000 Euro jährlich zu verdienen, die Gehälter von weiteren 24 Prozent liegen zwischen 60 000 und 100 000 Euro.

Eine positive Entwicklung ist auch, dass nach vielen Jahren der Einjahres-Verträge fast die Hälfte aller 124 Befragten nun Anstellungen mit einer Laufzeit von zwei oder mehr Jahren genießt. Das erzeugt Stabilität und erhöht die Planungssicherheit: für die Fahrerinnen selbst, aber auch für die Teams.

»Der Frauenradsport ist definitiv gewachsen und hat sich großartig weiterentwickelt. Jetzt kommt es darauf an, dass er sich auf diesem Niveau stabilisiert und sich die Attraktivität auch herumspricht«, sagt Ronny Lauke, Teamchef von Canon SRAM Racing, dem »nd«. Indiz der gestiegenen Professionalität ist, dass Lauke immer weniger bei den Rennen selbst im Teamfahrzeug dabei ist, sondern mit Managementaufgaben ausgelastet ist. »Wir haben zwar die gleiche Anzahl Rennfahrerinnen wie im vergangenen Jahr, jetzt aber meist zwei Teams parallel im Einsatz. Das erhöht den organisatorischen Aufwand«, erklärt er. Lauke mache das aber gern, eben auch, weil es ein Zeichen von Wachstum ist.

Kernelement dafür sind die ausgeweiteten TV-Übertragungen. Die Reichweite hat sich dadurch vergrößert. Und Lauke freut sich seitdem über häufigere Anfragen potenzieller Geldgeber: »Es rufen immer mehr Firmen an, die sich nach den Möglichkeiten von Sponsoring erkundigen wollen«, sagt er.

Ein Paradies ist der Frauenradsport deshalb aber noch lange nicht. Aus dem Jahresbericht der TCA geht schließlich auch hervor, dass mit den Verbesserungen an der Spitze der Abstand zum unteren Segment größer geworden ist. Knapp jede vierte Fahrerin auf Continental-Ebene, der zweithöchsten Liga, erhielt noch im Jahr 2022 gar kein Salär.

Selbst bei der Tour de France seien Fahrerinnen am Start gewesen, die kein Geld von ihren Rennställen bekamen. Und diese Schere existiert weiter, so dass es jüngst zum Eklat kam. Weil weiterhin kein Euro gezahlt wurde, verließen mittlerweile sieben von 15 Fahrerinnen den spanischen Rennstall ZAAF. »Das Problem ist, dass auf Continental-Ebene nicht die UCI, sondern die jeweiligen Landesverbände die Lizenzen vergeben. Liefe das über den Weltverband, hätte der Rennstall längst seine Lizenz verloren«, meint Lauke.

Weiter oben hingegen sind die Weichen auf Wachstum gestellt. Der Frauenradsport emanzipiert sich dort auch immer mehr von dem der Männer. Zwar hat die Aufmerksamkeit auf die Frauen stark zugenommen, seitdem ihre Rennen parallel zu den Männern auf denselben Kursen ausgetragen werden. Das galt auch am Sonntag, bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. »Der Frauenradsport hat aber auch sein ganz eigenes Publikum. Das sah man bei der Tour de France, die erst nach der Tour der Männer stattfand oder auch bei der komplett eigenständigen Women’s Tour in Großbritannien«, betont Lauke.

Letztere fällt 2023 zwar aus. Der Manager sieht die Ursachen dafür aber vor allem im aufgrund des Brexits problematischen wirtschaftlichen Umfeld in Großbritannien und weniger beim Radsport der Frauen. Der Weg der unabhängigen Rennen wird nun andernorts fortgesetzt. Die Spanienrundfahrt etwa findet, nicht im Herbst, sondern schon Anfang Mai statt. Es ist der nächste Höhepunkt nach der Klassikersaison.

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