Österreichische Literatur: Meaoiswiamia versus Mia san mir

Die österreichische Literatur ist auch nicht mehr das, was sie einmal war – oder doch?

  • Florian Neuner
  • Lesedauer: 5 Min.
Österreich hat nicht nur Berge zu bieten, sondern auch Bücher.
Österreich hat nicht nur Berge zu bieten, sondern auch Bücher.

Es gab einmal eine Zeit, in der hatte die österreichische Literatur bei den Nachbarn im Norden einen sehr speziellen Ruf. In der alten Bundesrepublik galt sie als experimenteller, lustiger und subversiver als das, was zwischen Passau und Flensburg geschrieben wurde. Graz wurde in den 1970er Jahren gar als die »heimliche Literaturhauptstadt« (nicht bloß Österreichs!) gehandelt, die dort erscheinende Zeitschrift »manuskripte« war für Talentscouts in der BRD Pflichtlektüre – aber nicht etwa, weil in den von Alfred Kolleritsch verantworteten Heften biederes Erzählen und Romanschreiberei dominiert hätten! Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek zeichneten düstere Bilder eines von Katholizismus und Nationalsozialismus hoffnungslos devastierten Alpenlandes, was auf dem deutschen Buchmarkt mit Angstlust goutiert wurde. Die Wiener Gruppe, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und ihre Freunde, waren faszinierendere literarische Role Models als Martin Walser oder F. C. Delius. In Anbetracht der »Stunde Null« wurde von den Autorinnen und Autoren der Gruppe 47 eine neue Moral propagiert, aber keine Notwendigkeit gesehen, der Sprache anders zu Leibe zu rücken. Kein Wunder auch, dass sich ein junger literarischer Underground in Ostberlin, dass sich Autoren wie Bert Papenfuß lieber an Ernst Jandl orientierten als an Günter Kunert.

Wenn sich jetzt Österreich als Gastland auf der Leipziger Buchmesse präsentiert, dann ist dieser zu Klischees geronnene historische Hintergrund natürlich präsent, auch in begleitenden Ausstellungen und Symposien. Aber wie ist es um die österreichische Gegenwartsliteratur bestellt? Ist sie überhaupt noch frecher, amüsanter und formal aufregender als die deutsche? Und falls ja: Wird der Leipziger Auftritt dem gerecht? Zudem stellt sich die Frage, ob es deutschen Lesern überhaupt bewusst ist und ob es sie interessiert, wenn ein in einem großen deutschen Verlag erscheinendes Buch von einem Österreicher geschrieben wurde; explizit geworben wird damit meistens nicht. Die österreichische Literatur ist auf dem deutschen Markt sowieso – mal mehr, mal weniger inkognito – präsent, während österreichische Verlage einen erschreckend geringen Marktanteil haben und oft nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in die potenteren deutschen sind. Umgekehrt ist ästhetisch anspruchsvolle deutsche Literatur den deutschen Verlagen sehr oft zu steil und erscheint in den der Sprachkunst zugewandteren österreichischen – man denke nur an Gundi Feyrer oder Ulrich Schlotmann.

Wenn auf den Buchmessen Länder wie Argentinien oder Litauen zu Gast sind, dann führt das in der Regel dazu, dass Anstrengungen unternommen werden, um ein breiteres Spektrum dieser Literaturen in Übersetzungen zu präsentieren, dass Bücher von Autoren auf Deutsch erscheinen, die es ohne den Messe-Schwerpunkt nicht geben würde. Im Falle Österreichs liegen die Dinge natürlich anders. Ob in diesem Frühjahr überhaupt mehr Bücher österreichischer Autorinnen und Autoren erscheinen, ist schwer zu sagen; markante Anthologien gibt es jedenfalls nicht. Das selbst für Österreicher auf den ersten Blick nicht leicht zu entziffernde Motto »meaoiswiamia« (»mehr als wir«) soll wohl irgendwie Offenheit und Diversität signalisieren. Laut Katja Gasser, der künstlerischen Leiterin, richtet es sich »gegen das brachiale ›mia san mir‹«. Die ORF-Journalistin, die keine Gelegenheit auslässt, sich mit Autorenbegleitung selbst ins Bild zu setzen, wünscht sich, dass Österreich nach dem Messeauftritt in Erinnerung bleiben möge »als ein Land, das weiß, dass Demokratie an keinem Ort und zu keiner Zeit in Stein gemeißelt ist, dass man sich um sie, die Demokratie, täglich bemühen muss«. Diversität in der österreichischen Literatur, das jedenfalls ist – wenn man nicht die habsburgischen Mythen aus der Mottenkiste holen möchte und einmal von der in Österreich geschriebenen slowenischen Literatur absieht – fast so etwas wie das Ein-Mann-Projekt des brillanten kongolesisch-österreichischen Schriftstellers und Vortragskünstlers Fiston Mwanza Mujila, der sich durchaus von der österreichischen Avantgarde beeinflusst zeigt und keine öden Familienchroniken in Romanform vorlegt.

In einem Interview mit dem »Standard« sagt Katja Gasser: »Vielleicht macht das unsere Literatur aus: Konformitätsuntauglichkeit.« Abgesehen davon, dass dieses Kriterium wohl auf jede ästhetisch herausfordernde Literatur zutrifft und sicherlich genauso auf Jörg Burkhard oder Elke Erb – die »meaoiswiamia«-Aktivitäten scheinen eher das Gegenteil beweisen zu wollen: Seht her, wir können genauso langweilige buchpreistaugliche Romane schreiben wie ihr! Denn wenn Autoren auf diesem kommerziellen Level mitmischen wollen, dann ist nichts hinderlicher als Konformitätsuntauglichkeit, auch wenn die Begleitrhetorik natürlich immer anderes suggeriert, und dann dürfen diese Bücher auch nicht in einer Sprache geschrieben sein, die Übersetzungen und internationale Vermarktbarkeit erschweren. Moritz Baßler hat das jüngst in seiner Studie über den »Populären Realismus« ausgeführt. Zwar ist die Liste der in den Österreich-Auftritt irgendwie involvierten Autoren lang – sogar auf einen Auftritt von Gerhard Rühm dürfen wir uns freuen! –, die Scheinwerfer werden aber doch klar auf Autorinnen und Autoren gerichtet, die für diesen »Populären Realismus« stehen. In den 25 »Literaturgesprächen mit Katja Gasser« kommt mit Ferdinand Schmatz nur ein einziger Vertreter der avancierten Literatur vor, während Romanciers von Helena Adler, Marie Gamillschegg und Reinhard Kaiser-Mühlecker bis Verena Roßbacher oder Andreas Unterweger im Vordergrund stehen. Auch in den gemeinsam mit dem ORF-Fernsehen produzierten »Begegnungen mit österreichischen Autor:innen« unter dem Motto »Archive des Schreibens« sieht es nicht anders aus: Unter den Porträtierten ist kein Lyriker, kein experimenteller Sprachkünstler, dafür begegnen wir Michael Stavarič, Olga Flor, Elias Hirschl und Raphaela Edelbauer. Letztere ist ein Beispiel dafür, wie leicht nacherzählbare, auf Buchpreise schielende Romane mit Manierismen aufgepeppt werden, die dann eine »Tradition der österreichischen Avantgarde« beglaubigen sollen; das unfreiwillig Komische der Edelbauerschen Stilblüten ist zwar nicht der Literaturkritik, dafür aber der »Titanic« aufgefallen.

In einer Umfrage der »Zeit« zur österreichischen Literatur wärmt die Kritikerin Daniela Strigl sogar den Mythos von der Grazer Literatur noch einmal auf, weiß dazu aber auch nur Olga Flor, Clemens Setz und Valerie Fritsch zu nennen. Dabei wirken in der steirischen Landeshauptstadt auch Autoren wie Max Höfler, der grotesken Humor und Lust am Experiment zu verbinden weiß, und Stefan Schmitzer, dem eine politische Literatur vorschwebt, die vor Sprachkritik nicht haltmacht. In Österreich entsteht aufregende Lyrik, man denke nur an Barbara Hundegger oder Christian Steinbacher, und es gibt auch eine dank Subventionen blühende Zeitschriftenlandschaft, zu der die Grazer »perspektive« ebenso zählt wie »Triëdere« aus Wien. In Leipzig wird diese Szene in ihrer Breite leider nicht vorgestellt. Trotz allem: Es lohnt sich dranzubleiben bei der österreichischen Literatur.

Unser Autor gibt gemeinsam mit Ralph Klever die Zeitschrift »Idiome. Hefte für Neue Prosa« heraus und hat zuletzt im Klever Verlag den Band »Für eine andere Lietartur« veröffentlicht.

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