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Macht die Stadt den Mensch zum Menschen?

KI ist Science Fiction von gestern – Clifford D. Simak sah bereits vor über 70 Jahren vieles voraus

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 6 Min.

Science Fiction ist die Cola der Literatur. Man konsumiert sie besser schnell, weil sie sonst abgestanden schmeckt. Da mögen sich die Autoren noch so sehr mühen, eine Zukunft zu erschaffen, die ganz anders ist als die Gegenwart, in der sie leben – es reicht nicht aus; sie bleiben Kinder ihrer Zeit. Die Handlung mag in ferner Zukunft stattfinden, doch das Lebensgefühl und die Stimmung, die mitschwingen, geben viel, meist zu viel über die Entstehungsphase preis. Auf einmal riecht ein Roman, der im 22. oder 72. Jahrhundert spielt, nach den miefigen 1950er Jahren.

Noch dünner wird das Eis, wenn die beschriebene Zukunft mittlerweile zur Vergangenheit geworden ist. Ob Orwells »1984« oder der Film »Blade Runner« – sie alle werden einem schonungslosen Faktencheck unterzogen. Welche Vorhersagen sind eingetreten, welche nicht? Da muss sich »Zurück in die Zukunft II«, der 1989 entstand und im Jahr 2015 spielt, belächeln lassen, weil im Film zwar Drohnen mit Hunden Gassi gehen, aber das modernste Kommunikationsmittel das Faxgerät ist. Dass bereits in den 80ern Universitätsrechner miteinander vernetzt waren (ein Vorläufer des Internet), war an den Machern des Films komplett vorbeigegangen.

Clifford D. Simaks »Als es noch Menschen gab« – eine Sammlung von acht lose miteinander verknüpften Kurzgeschichten, die 1952 als Buch veröffentlicht wurden – umschifft diese Klippe weitgehend. Bis auf das erste Kapitel, das im Jahr 1990 spielt, hat Simak seine Handlung in entfernte Jahrhunderte und Jahrtausende gelegt. Zudem sind einige seiner Prognosen für 1990 mittlerweile eingetreten. Der Mähroboter ist ebenso Wirklichkeit geworden wie die Hydroponik (Aufzucht von Pflanzen in Nährlösung).

Diese Vorhersagen waren keine Glückstreffer. Simak, im Hauptberuf Journalist, beherrschte Recherche und nahm das »Science« in »Science Fiction« ernst. Für seine »herausragenden Verdienste um die Wissenschaft« wurde er 1967 von der Minnesota Academy of Science ausgezeichnet. Da verwundert es nicht, dass Simak auch die künstliche Intelligenz in seinen Erzählungen vorwegnahm. Der Hausdiener Jenkins ist ein Roboter, der stetig dazulernt und sogar zur Moralphilosophie fähig ist: »Die Vorstellung des Tötens war aus den Gehirnen der Lebewesen verschwunden. Und so ist es besser, sagte sich Jenkins.« KI macht aus Maschinen (bessere) Menschen.

Dennoch sind es nicht die technisch-wissenschaftlichen Aspekte, die an diesen Erzählungen faszinieren. Es gibt hier keine Abhandlungen über Raumschiffe, die durch ferne Galaxien schweben, und schon gar nicht findet ein Krieg der Sterne statt. Einen Darth Vader sucht man vergebens. Simak brauchte keine »dunkle Seite der Macht« zu erfinden. Denn die dunkle Seite war damals, als er die ersten vier von acht Erzählungen schrieb, 1944, allgegenwärtig. Noch war im Krieg gegen Hitlerdeutschland kein Ende in Sicht. Und als Simak die achte Erzählung verfasste, 1951, war in Korea bereits das nächste Gemetzel im Gang – der erste heiße Stellvertreterkrieg des Kalten Krieges.

Man kann verstehen, dass Simak nicht der Sinn danach stand, in seiner Fantasie eine Zukunft zu erschaffen, in der weiter getötet wurde. Der größte Gewaltexzess in »Als es noch Menschen gab« ist das Erlegen eines Rotkehlchens mit Pfeil und Bogen. Klingt harmlos? Für Simak nicht: »Was ist Pfeil und Bogen? Der Anfang vom Ende. Es ist der Pfad, der zur brüllenden Straße des Krieges führt. Es ist ein Spielzeug und eine Waffe und ein Triumph menschlicher Technik. Es ist die erste Regung einer Atombombe. Es ist ein Symbol für eine Lebensanschauung.«

Also entwickelt Simak eine Gegenwelt, in der die Menschen nach und nach verschwinden, sich erst aus den Städten zurückziehen und schließlich sogar von der Erde. All dies geschieht gewaltlos. Ja, es ist der Mensch selber, der einsieht, dass sein Wesen nur Tod und Zerstörung gebracht hat und der deshalb nach Wegen sucht, die Gewaltspirale zu durchbrechen. Zum Beispiel, indem er Hunden das Reden ermöglicht, auf dass diese gemeinsam mit den Menschen eine friedlichere, bessere Welt erschaffen.

Auch gibt es da eine neue, sagenumwobene Philosophie, die es – Sprachwissenschaftler, spitzt die Ohren! – ermöglicht, so zu kommunizieren, dass der Zuhörer hinter dem Gesagten das Gemeinte und Gefühlte erkennt. Angesichts des gezielten Aneinander-Vorbeiredens in den asozialen Netzwerken wünschte man sich ein solch tiefes, ganzheitliches Verstehen bereits für unsere Epoche.

Also eitel Sonnenschein in der Welt des Clifford D. Simak? Nicht ganz. Sein Buch trägt im Original den Titel »City«. Das überrascht zunächst, weil lediglich das erste Kapitel in einer typischen Stadt spielt – und diese ist bereits im Niedergang begriffen. Simak macht deutlich, dass er die Stadt für ein überkommenes, überflüssig gewordenes Modell des Zusammenlebens hält. Das ist die eine Seite der Medaille.

Doch wie sieht ein Leben ohne Stadt aus? Was passiert mit dem Menschen, wenn er sich auf seine ländliche Scholle zurückzieht? Er kapselt sich ab, verliert seinen Antrieb, vereinsamt. Das »Castle«, das er »Home« nennt, entpuppt sich als Falle, aus der es kein Entrinnen gibt. Allein der Gedanke, die Welt außerhalb seiner isolierten Komfortzone betreten zu müssen, löst Panik in ihm aus. Er wird unfähig zu handeln. So zieht sich eine seltsame Lethargie durch Simaks Buch, wann immer es um Menschen geht. Würden diese Szenen verfilmt, könnte man sie mit »Moon Safari« von Air unterlegen – Musik, die alles wie eine rosa Blase umschließt. Sogar für eine Depression ist der Mensch der Zukunft zu apathisch.

Und das ist dann der Punkt, an dem man innehält und sich zu fragen beginnt, ob dieses Buch womöglich mehr als Science Fiction ist. Als Simak seine Erzählungen schrieb, war die Stadtflucht in vollem Gang. Die weitflächigen Vorortsiedlungen, die in den 40er Jahren um die Metropolen herum aus dem Boden gestampft wurden, standen für den Traum von einem besseren Leben: Raus aus dem Dreck, dem Lärm und der Enge, rein ins ruhige freistehende Haus mit großem Garten!

Diese Entwicklung spann Simak in seinen Erzählungen konsequent weiter. Er glaubte nicht daran, dass es die Menschen in die Stadt zurückziehen würde. Doch genau das geschah; die Landeier aus Ostwestfalen und Schwaben kaperten die Metropolen. Und nachdem sie sich ein paar Jahre ausgetobt und der Illusion hingegeben hatten, hippe Citoyens zu sein, beschlossen sie, ihr braves Provinzleben fortzusetzen – nur eben in Berlin, Hamburg oder Frankfurt.

Den Städten ist dies nicht gut bekommen. Jene Bionade-Biedermänner und Dinkelkeks-Mütter, die ein hyggeliges Schrebergarten-Idyll einfordern (»Laute Clubs? Nicht vor meiner Haustür!«), verhalten sich nicht viel anders als die Mutanten in Simaks Erzählungen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Abkapselung – der Rückzug aus der sozialen Welt – nicht in der Weite der Prärie oder des Universums stattfindet, sondern inmitten des Ortes, der mal für Urbanität stand.

Ein solches Leben in der »City« war nicht immer einfach. Unterschiedlichste Milieus, Ethnien und Kulturen mussten miteinander auskommen. Gewaltfrei ging dies selten ab. Martin Scorseses Film »Gangs of New York« zeigt in drastischen Bildern, wie harsch und hart »Stadtentwicklung« sein konnte. Doch davon wollen die urbanen Neospießer des 21. Jahrhunderts nichts wissen. Sind sie am Ende auch Mutanten?

Clifford D. Simak: Als es noch Menschen gab (Originaltitel: City, erschienen 1944). Das Buch ist in verschiedenen antiquarischen Ausgaben über zvab.com erhältlich.

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