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Japan und Südkorea auf Schmusekurs

Die Angst vor China führt zur Annäherung der einst zerstrittenen Nachbarn

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Es zerreiße ihm das Herz, betonte Fumio Kishida: zu wissen, dass Menschen in Korea unter der Kolonialherrschaft seines Landes sehr gelitten hätten. Als der japanische Premierminister am Sonntag in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul zu Gast war und dieses Schuldgefühl zum Ausdruck brachte, waren schon einmal ein paar Wogen geglättet. Von 1910 bis 1945 war Korea japanische Kolonie gewesen. Koreanerinnen und Koreaner arbeiteten damals unter Zwang in der Industrie, der Prostitution und anderswo. Und diese Geschichte hat die zwei Länder immer wieder gegeneinander aufgebracht.

Jetzt aber soll alles anders werden. »Wir können es nicht zulassen, dass uns Geschichtsstreitigkeiten davon abhalten, gemeinsam Schritte in die Zukunft zu machen«, sagte Yoon Suk-yeol, Südkoreas Präsident, als er neben Kishida sprach. Der wiederum entgegnete: »Es bewegt mich, dass Sie Ihr Herz für eine gemeinsame Zukunft geöffnet haben, ohne die schmerzhaften Erinnerungen an die Vergangenheit zu vergessen.« Dann schüttelten Yoon und Kishida Hände und lächelten in die Kameras. Dieses Foto prangte am Montag in jeder Tageszeitung Südkoreas und Japans auf dem Titel.

Von einem historischen Gipfel ist die Rede. Denn es ist das erste Mal seit zwölf Jahren, dass sich die Regierungschefs dieser zwei oft zerstrittenen Staaten einander gegenseitig eingeladen haben. Im März hatte Kishida den Südkoreaner Yoon in Japan empfangen. Seit 2018 dagegen waren die Beziehungen der zwei größten demokratischen Industrienationen Asiens auf einem Tiefpunkt verharrt. In einer Kette von Maßnahmen hatten Japan und Südkorea sich gegenseitig das Vertrauen abgesprochen, die Sicherheitskooperation eingeschränkt, Handelsbarrieren auferlegt.

Hintergrund war ein Richterspruch in Südkorea, der verlangte, dass die japanischen Unternehmen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy Industries Entschädigungen an Zwangsarbeiter aus der Kolonialzeit leisten sollten. Die japanische Seite lehnte dies mit dem Argument ab, dass alle Streitigkeiten bereits mit einem bilateralen Vertrag von 1965 abgegolten seien. In Südkorea begannen daraufhin Boykotte japanischer Produkte, das Handelsvolumen nahm ab, die Regierungen sprachen nicht mehr miteinander. Nun aber sind beide Seiten zu Konzessionen bereit.

Yoon hat angekündigt, die Entschädigungszahlungen würden von einer durch die südkoreanische Regierung aufgesetzten Stiftung geleistet. Kishida dagegen hat versichert, koreanische Expert*innen dürften die Atomruine in Fukushima inspizieren, um die Vorkehrungen zu untersuchen, unter denen dort verarbeitetes Kühlwasser in den Ozean geleitet werde. Diese Praxis wird von Japans Nachbar Südkorea seit Jahren als unsicher kritisiert. Japan behauptet das Gegenteil. Ein weiteres Ergebnis der Annäherung ist der erneute Austausch sicherheitspolitischer Informationen.

So könnten die Folgen dieser neuen Freundschaft durchaus weitreichend sein. Schließlich teilen beide Staaten nicht nur die liberale Demokratie als Staatsform, sondern auch die USA als ihren wichtigsten Sicherheitspartner. Diese übte über die vergangenen Jahre immer wieder Druck auf beide Regierungen aus, sich zusammenzuraufen. Denn in der Nachbarschaft ist die diplomatische Lage mittlerweile so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Die Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 hat auch in Ostasien viel verändert. Die Sorge, dass die chinesische Regierung es der russischen nachmachen und Taiwan angreifen könnte, ist größer geworden. Hinzu kommt Nordkorea, das seit Jahren immer wieder Raketentests durchführt und die Schlagzahl im vergangenen Jahr deutlich erhöht hat. Seit dem Angriff auf die Ukraine hat Nordkorea zudem seine Beziehungen zu Russland intensiviert. Sowohl Japan als auch Südkorea sehen in Nordkorea eine potenzielle Bedrohung.

Dass es diese Annäherung zwischen den zwei Staaten – die auf popkultureller und touristischer Ebene sehr regen Austausch haben – nicht schon viel früher gegeben hat, liegt auch an den verantwortlichen Personen. In Japan regiert mit Fumio Kishida seit eineinhalb Jahren ein konservativer Politiker, der in seiner Beziehung zu Südkorea weniger nationalistisch eingestellt ist als sein Vorgänger Shinzo Abe, unter dessen Ägide der Streit eskaliert war. In Gestalt von Yoon sind in Südkorea seit einem guten Jahr ebenso wieder die Konservativen an der Macht, die ihrerseits einen stärkeren Fokus auf gute Beziehungen zu Japan legen als die zuvor regierende Demokratische Partei. Hinzu kommt der G7-Gipfel, der in eineinhalb Wochen in Hiroshima stattfindet. Gastgeber Japan will sich hier als geopolitisches Schwergewicht einer regelbasierten, multilateralen Weltordnung präsentieren. Hierzu ist auch Südkorea eingeladen, das in dieser Sache als Verbündeter gilt.

Allerdings wäre es ein Irrtum anzunehmen, die neue Annäherung habe nur Befürworter. Kritische Stimmen sind vor allem aus Südkorea zu hören. Oppositionspolitiker der Demokratischen Partei sehen in der Einigung »unterwürfige Diplomatie«. Schließlich habe Japan immer noch nicht ausdrücklich um Vergebung für diverse Kolonialverbrechen gebeten. Auch Nichtregierungsorganisationen fordern eine weitere Aufarbeitung der Geschichte. Von den Klägern, die als ehemalige Zwangsarbeiter Entschädigungen gefordert haben, hat bisher zumindest einer signalisiert, die neue Lösung zu akzeptieren.

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