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Linor Goralik: Unzureichend widerständig
Die Dichterin Linor Goralik wurde auf ukrainischen Druck vom Literaturfestival Tartu ausgeladen
Die Entscheidung ist gefallen: Linor Goralik darf nicht am Literaturfestival im estnischen Tartu teilnehmen. Der Grund: die Beschwerde zweier ukrainischer Kolleginnen über die 1975 im heutigen Dnipro geborene Lyrikerin, Prosaistin, Übersetzerin und Comic-Zeichnerin. Julia, wie sie damals noch hieß, wanderte 1989 mit ihren Eltern nach Israel aus, zog 2000 nach Russland. Dort wurde sie als Autorin berühmt, doch 2014 kehrte sie nach Israel zurück. Sie schreibt aber weiterhin auf Russisch und ist aus dem Kulturleben Russlands schwer wegzudenken. Die für ihre oppositionelle Haltung bekannte Goralik setzt sich unter anderem gegen Repressionen und für LGBT-Rechte ein. Seit April 2024 gibt sie die Online-Zeitschrift »ROAR – Russian Oppositional Arts Review« heraus.
Trotzdem hielten die ukrainischen Dichterinnen Olena Huseinowa und Anna Gruwer die Teilnahme Goraliks am Festival für inakzeptabel. So kreidet Huseinowa ihr gerade die Herausgeberschaft von »ROAR« an: Die stehe im Geist der liberalen Intelligenzija, die Russland verlassen hat, nicht zu Hause gegen das Regime oder an der Front für die Ukraine kämpfe. »Sie wollen keine Niederlage für ihre Land,« behauptet Huseinowa und wirft der Zeitschrift vor, »Russischsprachige« zu schützen und sich mit ein paar ukrainischen Nachnamen (sic!) zu schmücken, schreibt die Kämpferin der Lyrikfront, deren Nachname zwar aserbaidschanisch, die Sprache der Werke jedoch korrekt ukrainisch ist.
Dass Goralik nicht einmal die Staatsbürgerschaft Russlands besitzt, spielt für die Kritikerin keine Rolle. Während russische Soldaten in der Ukraine Verbrechen begehen, sei es unmöglich, über russische Kultur zu sprechen, so Huseinowa. Goralik, die bereits in Tartu war, nannte das ganze eine »widerliche Geschichte«. Hätte man sie im Vorfeld gefragt, hätte sie sofort zugunsten der Ukrainerinnen auf die Teilnahme am Festival verzichtet.
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