»Es wird gerne alles unter der Decke gehalten«

Sabine Jakob protestiert seit Jahren gegen den Rechtsruck im Landkreis Hildburghausen und ist zunehmend frustriert

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 9 Min.

Frau Jakob, als in der Kleinstadt Schleusingen zuletzt hunderte Menschen gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft protestierten, haben Sie und Ihre Mitstreiter einen Protest dagegen organisiert. Sie waren deutlich in der Unterzahl. Wie fühlt sich das an?

Mir ist zunächst einmal wichtig, unseren Protest überhaupt zu zeigen, da zu sein und deutlich zu machen: Hier sind Leute, die eure Meinung nicht teilen. Ob da nun 15 oder 500 auf unserer Seite stehen, ist nicht entscheidend. Das Wichtigste ist zu widersprechen. Gerade hier im ländlichen Raum. Das ist für den ein oder anderen schon ein abschreckender Moment.

Interview

Das Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra ist am Tag des Grundgesetzes von der Bundeszentrale für politische Bildung als Botschafter für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet worden. Geehrt werden mit diesem Preis Einzelpersonen und Initiativen, »die sich in besonders herausragender Weise zivilgesellschaftlich engagieren oder besondere Zivilcourage gezeigt haben und damit ein Vorbild für alle sind«, wie es beim Festakt hieß. Sabine Jakob engagiert sich in dem Bündnis. Sie hat bereits gegen das Neonazi-Festival in Themar protestiert, als es 2017 zum ersten Mal stattfand und 6000 Besucher anzog. Bei den jüngsten Protesten gegen eine Unterkunft für Geflüchtete in der Kleinstadt Schleusingen kannte sie persönlich Leute, die mitmarschierten. Sie glaubt, dass viele Menschen in dem Landkreis Angst vor Veränderungen haben, und hält es für wichtig, dass die Lokalpolitik die Bürger über geplante Vorhaben besser informiert. sek

Abschreckender Moment?

Für diejenigen, die – um am Beispiel Schleusingens zu bleiben – gegen die Flüchtlingsunterkunft protestieren. Dass diese Leute an uns vorbeimussten, von uns gesehen worden sind und sich damit auseinandersetzen mussten, dass nicht alle so denken wie sie, das ist schon etwas. Das bricht die Anonymität auf, die entsteht, wenn man sich mit vielen Gleichdenkenden umgibt.

Aber Sie sind ja nicht nur bei solchen Demonstrationen in der Unterzahl. Sie leben im Landkreis Hildburghausen und werden in alltäglichen Situationen damit konfrontiert, dass es dort viele Menschen gibt, die anfällig für rechte Thesen sind – während Sie sich für Toleranz und Weltoffenheit einsetzen. Wenn Leute sich an der Supermarktkasse unterhalten oder im Wartezimmer beim Arzt, was macht das mit Ihnen?

Das ist schwierig, keine Frage. Es gibt hier viele – und ich würde sagen: immer mehr – Leute, die verbittert sind, die ununterbrochen meckern und maulen. Ich muss mir deshalb inzwischen öfter sagen: Ich kann mich jetzt mit dem ein oder anderen nicht umgeben, weil mich das runterzieht. Und ich überlege mir inzwischen im Einzelfall sehr genau, ob es sich lohnt zu widersprechen. Das hängt auch davon ab, ob ich Leute persönlich kenne. Aber ich versuche trotzdem, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass man den ein oder anderen noch erreichen kann.

Sind Sie des Kampfes für die Demokratie inzwischen müde?

Manchmal ja.

Haben Sie bei Ihrem Protest in Schleusingen Menschen auf der anderen Seite gesehen, die Sie persönlich kennen?

Ja.

Was sind das für Leute? Würden Sie die als »Normalbürger« beschreiben, wie diese Menschen das von sich selbst oft behaupten?

Diese Frage beschäftigt mich ständig. Es gibt da keine einfache Antwort. Einerseits stehen da natürlich Leute, die man gemeinhin Normalbürger nennt. Das sind Leute, die haben einen guten Job, ein Haus, ein Auto, leben in sicheren Verhältnissen. Ich habe mir bei mehreren von ihnen gedacht: Eigentlich hast du ein perfektes Leben, was tust du hier? Sie gehen gemeinsam mit Nazis auf die Straße, sie teilen rechtsextreme Inhalte und Positionen. Auch diese Normalbürger verbreiten ganz klar Rassismus. Die Aufrufe für die Demonstrationen in Schleusingen sind rassistisch. Ich kann da nicht mehr davon reden, dass Menschen berechtigte Sorgen artikulieren. Trotzdem ist mir der Begriff Nazi oder Neonazi für diese Leute zu pauschal und zu dominant. Ich glaube, die Bezeichnung Demokratiefeinde trifft es besser.

Sie spielen damit auf eine Lebenslüge der deutschen Gesellschaft an: Darauf, dass die bürgerliche Mitte angeblich nicht rassistisch sein kann, weil sie ja die Mitte ist, richtig?

Genau, viele haben die Vorstellung, es gäbe hier die guten Normalbürger und dort die bösen Nazis. Das ist falsch. Nur weil jemand viel hat und es ihm gut geht, macht ihn das ja nicht frei davon, ein Rassist oder Rechtsextremist zu sein. Aber das Problem sitzt noch tiefer. Es geht bei diesen Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte oder – wie vor ein paar Monaten noch – gegen Corona-Schutzmaßnahmen nicht nur um Wohlstand. Wer da protestiert, dem geht es nur um sich selbst. Nicht um das Gemeinwohl oder ein solidarisches Zusammenleben.

Bleiben wir bei den Protesten gegen die Flüchtlingsunterkunft in Schleusingen. Was ist aus Ihrer Sicht falsch gelaufen, dass es so weit kommen konnte?

Es wird halt nicht mit den Menschen geredet, sie werden nicht mitgenommen. Es hätte schon vor vielen Wochen eine Informationsveranstaltung stattfinden müssen, in der man klar hätte kommunizieren müssen, was da geplant ist. So wie das vor wenigen Tagen bei dem von der Kirche in Schleusingen organisierten Bürgerdialog gemacht wurde. Schon lange hätte man argumentieren müssen: Das Krankenhaus steht leer, es ist ein großer Kostenfaktor, die Geflüchteten müssen untergebracht werden. Das wäre um so wichtiger gewesen, weil in der Region ja viele Menschen die Zustände in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl im Hinterkopf haben, wo es ja ständig zu Polizei- und Feuerwehreinsätzen kommt. So was ist aber in Schleusingen überhaupt nicht zu erwarten.

Wer hätte eine solche Informationsveranstaltung organisieren müssen?

Der Landrat Thomas Müller. Aber dazu hätte es natürlich erst einmal eine gemeinsame Position von Stadt und Landkreis zu dem Thema geben müssen. Nichts davon gibt es bis heute. Dadurch ist eine Gemengelage entstanden, von der Rechtsextreme profitieren. Dieses Problem haben wir seit Jahren. Ein weiterer Fehler, den die Stadt und der Landkreis gemacht haben, ist, dass sie diese Demonstrationen nicht als das verurteilt haben, was sie sind: rechte Aufmärsche. Das ist einfach inakzeptabel. Schon als diese Proteste angemeldet wurden, hätten sowohl der Landrat als auch der Bürgermeister und die Stadträte klar kommunizieren können: Liebe Leute, wir nehmen eure Sorgen ernst, aber mit Nazis geht man nicht auf die Straße. Ist nicht passiert. Das ist ein Desaster.

Warum eigentlich immer wieder der Landkreis Hildburghausen? Es gibt nur wenige Regionen in Ostdeutschland, die in den vergangenen Jahren so sehr im Fokus standen, wenn es darum ging, wie weit rechtes Gedankengut in großen Teilen der Bevölkerung vorhanden ist.

Noch so eine Frage, die wir uns schon lange und immer wieder stellen.

Studien wie der Thüringen-Monitor zeigen, dass es auch in anderen Regionen nicht wenige Menschen gibt, die für rassistische Thesen empfänglich sind. Aber im Landkreis Hildburghausen scheint vieles immer noch mal einen Zacken schärfer zu sein.

Diese Einschätzung teile ich. Auch das haben die Proteste in Schleusingen deutlich gemacht. Es verfangen sofort rassistische Bilder, auch wenn längst nicht alle Protestierenden ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben. Das zeigt aber, wie tief die Anlagen für dieses Gedankengut bei uns in der Region verwurzelt sind. Es gibt hier eine sehr konservative Grundhaltung bei vielen Menschen. Für viele muss hier alles so bleiben, wie es ist. Diese Idee hat die Lokalpolitik immer wieder befeuert. Und das macht die Auseinandersetzung mit jeder Art von Veränderung schwierig – egal, ob es um ein Windrad geht, um Corona oder um Geflüchtete. Es geht immer dagegen. Es gibt hier nur wenige, die sich mit Veränderungen arrangieren wollen, die Positives daran sehen können.

Also gibt es aus Ihrer Sicht zwei entscheidende Faktoren für die Zustände im Landkreis Hildburghausen: eine tief verwurzelte Angst vor Veränderung, die Menschen anfällig für rechtes Gedankengut macht, plus ein lokalpolitisches Versagen demokratischer Kräfte?

Genau das. Und zu diesem lokalpolitischen Versagen gehört auch, dass der Grundsatz von politischer Neutralität einer Verwaltung, eines Bürgermeisters oder eines Landrates in diesem Landkreis völlig falsch verstanden wird. Es wäre doch ein Zeichen gewesen, wenn der Landrat sich bei unserem Gegenprotest in Schleusingen gezeigt hätte. Hat er aber nicht. Warum? Weil hier die Pflicht zur parteipolitischen Neutralität des Staates damit verwechselt wird, dass eine Amtsperson angeblich jeder Form von Ideologie gegenüber neutral sein muss. Dabei dürfen auch Amtspersonen sich zum demokratischen Miteinander bekennen – ohne dass sie deswegen gegen das Neutralitätsgebot verstoßen würden. Das passiert hier aber nicht. Es hat auch noch nie ein Amtsträger aus der Region zu uns gesagt: Was ihr hier macht, liebes Bündnis, das ist super. Der Zuspruch, den wir erfahren, der kommt aus ganz Deutschland. Aber nicht aus dem Landkreis.

Sie klingen wirklich frustriert.

Ja, manchmal habe ich den Eindruck, dass das alles auch damit zusammenhängt, dass die nationalsozialistische Vergangenheit der Region nie richtig aufgearbeitet worden ist. Wenn ich an meine eigene Familie denke: Da galt es als das größte Kriegsverbrechen, von dem meine Urgroßmutter erzählt hat, dass eine Kaffeetasse vom guten Geschirr runtergefallen ist, als 1945 die Amerikaner kamen. Dagegen gab es schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges eine sehr große Zustimmung für nationalsozialistisches Gedankengut. Auch in meiner Familie. Mein Opa ist im Alter von 16 Jahren freiwillig in die SS eingetreten. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Art von Gedankengut oft innerhalb von Familien von Generation zu Generation weitergegeben worden ist. Das wirkt bis heute nach.

Werden Sie im Landkreis als Nestbeschmutzerin beschimpft, wenn Sie solche Gedanken äußern?

Unterschiedlich. Wenn ich zurückblicke an die ersten Proteste, die wir organisiert haben, gegen die großen Rechtsrock-Konzerte in Themar: Da wurde sowohl vom Landrat als auch von anderen aus der Lokalpolitik ganz deutlich gemacht, dass es ihnen lieber gewesen wäre, wenn wir keinen Protest auf die Beine gestellt hätten. Sehr oft kam der Vorwurf, wir würden diese Konzerte erst groß machen und mit unserem Protest ein schlechtes Licht auf den Landkreis werfen. Es wird hier so gerne alles unter der Decke gehalten. Eine Situation aus den vergangenen Jahren war und ist dafür bezeichnend.

Welche denn?

Erinnern Sie sich noch an den Sommer 2021, als Tommy Frenck vom Bündnis Zukunft Hildburghausen mit einem T-Shirt mit rechtsextremer Symbolik darauf im Kreistag auftauchte? Der Sitzungsleiter wollte ihn deswegen aus dem Saal werfen. Und was passiert? Der CDU-Kreisvorsitzende Christopher Other gibt Frenck seine Jacke, damit der diese Symbole bedecken kann. Das ist genau das, was in diesem Landkreis ständig gemacht wird. Es wird alles zugedeckt. Aber wir halten dagegen.

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