Polizeigewalt vor Gericht: Angriff auf Schmerzgriffe

Übertriebene Polizeigewalt gegen Klimaprotest vor Gericht

Bei einem Schmerzgriff verdrehen die Polizisten den Arm und das Handgelenk und lösen dadurch große Schmerzen aus.
Bei einem Schmerzgriff verdrehen die Polizisten den Arm und das Handgelenk und lösen dadurch große Schmerzen aus.
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Die Klimabewegung Letzte Generation nannte sie »folterähnliche Methoden bei friedlichen Protestierenden«, jetzt gehen sie vor Gericht: Der Aktivist Lars Ritter reichte am Dienstag eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen sogenannte Schmerzgriffe ein. Polizisten setzen diese massenhaft ein, um friedliche Blockierer von der Straße zu zwingen. Dabei werden der Arm und das Handgelenk verdreht und dadurch große Schmerzen auslöst. Die Polizei in Berlin bezeichnet dies als eine rechtlich zulässige »Transport- und Kontrolltechnik«. Im November vergangenen Jahres hatte ein Beamter die Maßnahme mit »Arbeitsschutz« begründet und einem Demonstranten wörtlich gesagt: »Also ich trage Sie nicht, ich habe nämlich Rücken.«

Der nun gegenständliche Einsatz von Schmerzgriffen gegen Ritter erfolgte bei einer Sitzblockade am 20. April auf der Straße des 17. Juni in der Hauptstadt. Obwohl er sich friedlich verhielt und sogar darauf hinwies, dass die Beamten ihn als weniger gewaltvolle Maßnahme von der Straße wegtragen könnten, zog ein Polizist den Aktivisten am Kiefer nach oben und verdrehte ihm den Arm. Stehend und mit umgeklappten Handgelenken wurde Ritter anschließend mit Unterstützung eines anderen Beamten von der Straße gezerrt.

Der Aktivist wird bei seiner Klage von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) unterstützt. Der 2015 gegründete gemeinnützige Verein ist auf strategisch geplante Klagen und Verfassungsbeschwerden spezialisiert und will damit zum Grundrechteschutz in Deutschland beitragen. Die Anwendung von körperlicher Gewalt und Zufügung von Schmerzen bezeichnet die GFF als einen der massivsten denkbaren Grundrechtseingriffe; dies sei nur in absoluten Ausnahmesituationen zulässig. Ein massenhaft an verschiedenen Orten abgehaltener und überdies friedlicher Protest stelle keine solche Situation dar. Schmerzgriffe in diesem Kontext gefährdeten zudem die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit.

»Dieses Vorgehen verletzt auch das rechtsstaatliche Kernprinzip der Verhältnismäßigkeit, weil mildere Mittel eingesetzt werden könnten«, kritisiert der GFF-Verfahrenskoordinator Joschka Selinger. Die Beamten dürften Schmerzgriffe nicht einsetzen, um friedliche Demonstranten zu quälen. »Damit missbraucht die Polizei ihr Gewaltmonopol und erschüttert so das Vertrauen in den Rechtsstaat.« Als erniedrigende und unmenschliche Behandlung könnten Schmerzgriffe auch das Folterverbot verletzen und so gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, so die GFF.

Es ist nicht der erste Auftritt Ritters vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Der Aktivist hatte bereits nach dem Vorfall vom 20. April eine Klage im Eilverfahren eingereicht. Darin sollte die Rechtswidrigkeit der Anwendung von Schmerzgriffen im Wege einer einstweiligen Anordnung festgestellt werden, um diese für die Zukunft zu verhindern. Ritters Rechtsanwalt Patrick Heinemann argumentierte, dass ein Schmerzgriff einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstelle, und verwies darauf, dass ein Wiederholungsfall vorliegen werde, da sein Mandant weitere Sitzblockaden plane.

Das Gericht wies die Klage ab, weil eine grundsätzliche Feststellung der Rechtswidrigkeit »im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht zulässig« sei. Eine Klärung der Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme könne nur im Hauptsacheverfahren erfüllt werden, so die Richter. Ein solches Hauptsacheverfahren, in dem Ritter abermals vom Anwalt und Verwaltungsrechtler Heinemann vertreten wird, unterstützt nun die GFF. Ziel der Klage sei es auch, dieser Polizeipraxis »klare Grenzen zu setzen«, so der Verein.

Gegen die Polizisten, die den Schmerzgriff am 20. April gegen Ritter angewendet haben, wurde nach Eingang einer Strafanzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt. Die Berliner Polizei erklärte dazu auf Twitter, ein im Netz kursierendes Video prüfen zu wollen. Drei Wochen später dauerten die Ermittlungen noch an, hatte eine Polizeisprecherin dem Rechtsmagazin »Legal Tribune Online« erklärt. Der Vorgang sei an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden, sagte die Pressestelle nun dem »nd«. Dort ist das Verfahren bis zum Ende der Ermittlungen weiter anhängig, wie ein Sprecher auf Anfrage bestätigte.

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