Florentina Holzinger: Mein Freund, der Kran

Die Performance-Künstlerin Florentina Holzinger lädt zu einem Happening an den Berliner Müggelsee

Endlich Sommer: Freizeit und Genuss versprechen die Sophiensäle mit ihrem Festival zum Spielzeitabschluss.
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Im Berliner Ortsteil Friedrichshagen, wohl einer der ansehnlichsten Gegenden der Hauptstadt, wird die Sommerstimmung in diesem Jahr bisher getrübt. Das traditionsreiche Seebad, am Nordufer des Müggelsees gelegen, musste die Wiedereröffnung verschieben. Die Berliner Bäderbetriebe kamen mit den Sanierungsarbeiten nicht hinterher. So musste man sich bei den sich ohnehin schon bedrohlich anfühlenden Höchsttemperaturen auch noch die Einnahmen entgehen lassen. Und die Friedrichshagener wie die Restberliner mussten dort auf ihr Badevergnügen verzichten. Erst an diesem Wochenende soll, auch wenn der Baustellencharakter nach wie vor nicht zu leugnen ist, endlich wieder geplanscht werden.

Da war es schon auffällig, dass am Donnerstagabend, aus Berlins Zentrum kommend, die altbekannten Kultur-Hipster, Thirtysomethings großteils, sich mit dem öffentlichen Personennahverkehr auf den Weg ins Seebad machten. Im Rahmen des von den Sophiensälen ausgerichteten Festivals »Leisure & Pleasure« (zu deutsch: Freizeit und Genuss), das nicht nur die diesjährige Spielzeit beschließt, sondern auch das Finale der künstlerischen Leitung Franziska Werners ist, hat die österreichische Tanz- und Performance-Künstlerin Florentina Holzinger an den Müggelsee geladen.

Die 1986 in Wien geborene Holzinger zählt seit einigen Jahren zu den Shootingstars des Kunstbetriebs und verschafft dem sonst mit vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bedachten Genre Tanz die eine oder andere Schlagzeile. Ihre von renommierten Institutionen koproduzierten Arbeiten orientieren sich an einer eingängigen Rezeptur, kleinere Abweichungen vorbehalten: Man besetze einen Abend rein weiblich und lasse die Performerinnen allesamt nackt auftreten; man ziehe ein motorisiertes Gefährt hinzu (Motorrad, Auto, Hubschrauber waren bereits vertreten); eine gewisse Drastik – sei sie durch Selbstverletzung oder durch Stuhlgang auf der Bühne erzeugt – darf nicht fehlen; man bediene sich der Formsprache aus dem klassischen Tanz, schrecke keineswegs vor Bezügen zur Populärkultur zurück, verleihe der eigenen Inszenierung einen Revue-Charakter und stelle diesen gleichsam in einen feministischen Kontext.

Mit diesen Arbeiten hat Holzinger durchschlagenden Erfolg. Die Vorstellungen sind in kürzester Zeit ausverkauft, und in diesem Jahr erfolgte bereits die zweite Einladung zum Berliner Theatertreffen. Eine künstlerische Heimat der Choreografin ist mittlerweile die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Die längere Zusammenarbeit verbindet sie aber mit den tanzaffinen Sophiensälen. In dieser Konstellation zeigte Holzinger nun in Friedrichshagen eine ihrer Etüden genannten Performances. »Kranetude« lautet deren sprechender Name.

Also runter von der Straße, vorbei an dem Bagger (der an diesem Abend leider nicht mitspielt) und ab an den Strand! Hier warten bereits einige Zuschauer, die es sich auf Decken bequem gemacht haben. Erstaunlich, so viele vollständig bekleidete Menschen in einem Strandbad zu sehen – in Erwartung splitternackter Performerinnen. Und auch für die bald beginnende Kurzvorstellung von 35 Minuten ist schon alles da: Schlagwerk für die drei Musikerinnen steht am Ufer; der See wartet darauf, bespielt zu werden, und natürlich der titelgebende Kran (Bühnenbild, Konzept: Nikola Knežević).

Es ist ein Kran der 640er-Reihe der Marke Sennebogen, der auf einer Plattform am Ende des Stegs steht. Und dieser Kran spielt mit, er ist der Star. Im schönsten Baumaschinengelb steht er da und hat seinen großen Auftritt. Was er aber am Haken hat, das weiß noch niemand. Das Ende des Hubseils verbirgt sich unter der Wasseroberfläche.

Die Performerinnen lassen das Publikum hinter sich zurück und betreten den Steg. Die Kleidung, die auf ihrer Haut liegt, werden sie bald ausgezogen haben. Tauchgerät wird angelegt. Währenddessen haben sich vier Musikerinnen an ihren Instrumenten am Strand platziert und schaffen ein perkussives Klangerlebnis zwischen meditativem Rauschen und industriellem Erwachen (Komposition und Sounddesign: Katharina Ernst, Stefan Schneider). Voller Emphase führt Dirigentin Sibylle Fischer, durch das Wasser watend, den Taktstock.

Nach einem ersten musikalischen Höhepunkt weitet Fischer das Dirigat auf das Baufahrzeug aus. Mechanisch, aber nicht unsinnlich tanzt der Kran seinen Tanz. Aus dem Wasser birgt er sechs Darstellerinnen, die wie an einem Karussell in der Luft schweben. Hier machen sie ihre Figuren, hier erhält der aus dem klassischen Tanz stammende Etüdenbegriff seine Berechtigung. Fingerübungen sind es, die Holzinger in die ihr eigene Ästhetik versetzt und zu einem sehenswerten Spektakel ausweitet. Nicht wenige der Zuschauer greifen für einen konzentrierten Blick zum Fernglas.

Holzinger braucht, auch für die kleinen Arbeiten, den großen Auftritt. Und so lässt sie kunstvoll ihre Performerinnen durch das Wasser schießen, motorisierte Boote umherkurven, Tänzerinnen auf künstlich erzeugten Wassersäulen angeritten kommen und, wortwörtlich, den Theaterdonner grollen, der vom Kran in die Höhe gezogen wird. Darauf, existenziellen Ekel oder Scham hervorzurufen, verzichtet sie in dieser Inszenierung. Stattdessen bleiben eindrückliche Bilder, die um ein scheinbar aus der Zeit gefallenes Pathos nicht verlegen sind.

Wie in ihrer großangelegten Inszenierung »Ophelia’s Got Talent« an der Volksbühne zeigt Holzinger, dass das Wasser ihr Element ist. Ob dabei der künstlerische Anschluss an den im akademischen Bereich derzeit virulenten Diskurs um »Hydrofeminismus« wirklich geglückt und nicht nur Behauptung ist, darf man bezweifeln. Tatsächlich wird aber der weibliche Körper hier tänzerisch erfahrbar gemacht, ohne ihn zu sexualisieren. Die künstlerisch in ein Verhältnis gebrachten Phänomene menschlicher Körper, außermenschliche Natur und Maschinentechnik scheinen für die etüdenhafte Erkundung gerade recht. Auch über den reinen Schauwert hinaus hat ein solches Happening, wie die Sophiensäle die Performance labeln, also etwas zu bieten.

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