Koloniale Kontexte im Königshaus

Stiftung preußische Schlösser und Gärten informiert über ein Kapitel ihrer Sammlungen

Allegorische Figur von 1767, die Afrika darstellen soll
Allegorische Figur von 1767, die Afrika darstellen soll

Im Ehrenhof des Berliner Schlosses Charlottenburg erhebt sich ein Reiterstandbild des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688) hoch über die Köpfe der Besucher. Der Künstler Nando Nkrumah wertet dieses historische Herrschaftssymbol mit einer multimedialen Installation um. Er macht so die Verwicklung Brandenburgs in Sklavenhandel und Kolonialismus sicht- und hörbar. Zu hören ist zum Beispiel das Rauschen der Wellen an der Atlantikküste in Ghana. Dort befindet sich auch die Ruine der Festung Groß Friedrichsburg, ein Überbleibsel der von 1683 bis 1717 bestehenden brandenburgischen Kolonie in Westafrika. Nando Nkrumah ist dorthin gereist und hat sich inspirieren lassen.

Vier Figuren zu Füßen des Kurfürsten befreien sich von ihren Ketten und steigen auf Holzsockel. So gelangen die Versklavten auf Augenhöhe mit dem Monarchen. Diese Idee bringt Nando Nkrumah dem Betrachter auf dem Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg nahe. Er ist 1979 in Ghana geboren, hat ghanaische und deutsche Wurzeln. Heute lebt er in Köln. Der englische Titel seiner Installation ist mehrfach doppeldeutig und spielt mit der Vokabel »history«: »This is not only hi(s)tory. This is our Story.« Also frei übersetzt: Es ist nicht allein die Geschichte des Kurfürsten, sondern unser aller Geschichte. »Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir können entscheiden, wie wir sie interpretieren«, erklärt Nkrumah am Montag in Sichtweite seines Werks, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig aufgebaut ist. Für ihn war es eine »bedeutende Aufgabe« und ein »enormer Kraftakt«. Aber es hat sich gelohnt. Der Wunsch des Künstlers: »Trotz jahrhundertelangen Leids an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten.«

Aus 69 Ideen aus aller Welt für einen Kunstwettbewerb wählte eine Jury die Installation von Nando Nkrumah aus, damit sie realisiert werde. Nun bildet sie den Blickfang auf dem Weg zu einer Sonderausstellung über das koloniale Erbe in den Sammlungen der Stiftung preußische Schlösser und Gärten (SPSG). Vom 4. Juli bis zum 31. Oktober wird diese Ausstellung im Schloss Charlottenburg präsentiert. In sechs Räumen im Neuen Flügel sind 67 Objekte und 48 Reproduktionen zu sehen, darunter 23 Leihgaben.

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Gezeigt und gebührend eingeordnet werden auch klischeehafte und sogar mehr oder weniger eindeutig rassistische Objekte, so etwa die in der Werbung für Schokolade verwendete Porzellanfigur eines schwarzen Dieners mit stereotyp wulstigen Lippen. Nicht ganz so überzeichnet, aber in ihrer Zeit typisch exotisiert und damit ebenfalls problematisch ist eine von Wilhelm Christian Meyer um 1767 entworfene und von der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin gefertigte allegorische Figur, die Afrika darstellen sollte. Besucher der Sonderausstellung, die einen solchen Anblick nicht ertragen können, werden extra davor gewarnt.

Ihre liebe Not hatte die Stiftung auch mit einem Ausstellungsplakat. Sie wollte dafür einen Ausschnitt aus einem Gemälde von Antoine Pesne (1683-1757) benutzen und damit bei allen Bauschmerzen ganz bewusst ein Stück aus ihren Sammlungen, wie Projektleiterin Carolin Alff berichtet. Das Gemälde zeigt einen preußischen Prinzen, dem ein schwarzes Kind mit einem Sonnenschirm Schatten spendet. Die Darstellung ist stereotyp und darum handelte sich die Stiftung Kritik an einem Plakatentwurf mit dem Gesicht des schwarzen Kindes ein. Sie wechselte dann zu einem neutralen Plakatentwurf, was jedoch ebenfalls kritisiert wurde.

Generaldirektor Christoph Martin Vogtherr nennt das Ausstellungsprojekt der Stiftung »sehr wichtig« und ein »großes Abenteuer«. Hierzulande sei die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit vergleichsweise noch nicht so lange Thema. Was die Schlösser und Gärten betrifft, seien die Zusammenhänge bisher auch nur punktuell erforscht. Vogtherr stellt klar: »Wir zeigen keine Ausstellung über den deutschen Kolonialismus. Dafür haben wir weder die Kompetenz noch die Möglichkeiten.« Betrachtet würden allein die Spuren des Kolonialismus in den eigenen Sammlungen.

Den Grundstein für die Sonderausstellung legten Mitarbeiter der Steuerungsgruppe »Koloniale Kontexte«. Aber weil diese auch keine Experten für den Kolonialismus sind, holten sie sich fachlichen Rat von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich in solchen Fragen auskennen. »Es ging darum, unseren europäischen weißen Blick durch andere Perspektiven zu ergänzen und auch infrage zu stellen«, erläutert der Generaldirektor. Er sagt: »Wer anders fragt, kriegt auch andere Antworten.«

Mitgewirkt hat beispielsweise Marianne Ballé Moudoumbou, Mitbegründerin und stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland und Sprecherin der Panafrikanischen Frauenselbstermächtigungs- und Befreiungsorganisation, um nur zwei ihrer vielen Funktionen zu nennen. Moudoumbou steuerte für die Ausstellung ein Gedicht bei, das den Erfahrungen schwarzer Menschen am preußischen Königshof einen angemessenen Ausdruck verleihen soll.

Denn die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie, die gewissenlos mit Sklaven handelte, verkaufte nicht allein Afrikaner nach Amerika, sondern verschleppte eine nicht unbeträchtliche Zahl auch nach Brandenburg an den Königshof, wie Projektleiterin Alff erklärt. Dort mussten sie als Diener, Musiker oder Maler arbeiten. Es ist über das Schicksal dieser Menschen nicht viel bekannt. Teilweise weiß man heutzutage nicht einmal mehr ihre eigentlichen Namen, sondern nur die Namen, die ihnen bei ihrer Taufe in Europa aufgezwungen wurden. So wurde ein Pfeifer im Regiment des Markgrafen Carl, der später Tanzmeister war, am 5. Oktober 1759 in der Berliner Dreifaltigkeitskirche auf den Namen Johann François getauft. Anders Kandah, geboren 1810 im sudanesischen Darfur, als Kind entführt und in Ägypten in die Sklaverei verkauft: Auf dem Sklavenmarkt in Kairo erwarb ihn eine Reisegruppe der Ehefrau des Generals Heinrich Minutoli. So gelangte der Muslim Kandah im Juli 1821 nach Berlin und wurde am 18. April 1828 im Dom der Stadt auf den Namen Heinrich Carl Albrecht Kerallah getauft.

Zur Sonderaustellung gehört, dass koloniale Bezüge in der Dauerausstellung im Alten Schloss Charlottenburg eigens kenntlich gemacht sind. Besichtigt werden kann dort beispielsweise eine japanische Kammer, die sonst beim Rundgang noch nicht bewundert werden konnte. Seite 9

Sonderausstellung »Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus«, 4. Juli bis 31. Oktober, täglich außer montags von 10 bis 17.30 Uhr, Schloss Charlottenburg/Neuer Flügel, Spandauer Damm 10-22 in 14059 Berlin. Letzter Einlass ist 17 Uhr. Die Schlösserstiftung empfiehlt, für die Besichtigung etwa anderthalb Stunden einzuplanen. Eintritt inklusive Besichtigung Altes Schloss: 14 Euro, ermäßigt 10 Euro.

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