Pazifik wird Japans Atomklo

Nach grünem Licht durch die IAEO steht die Einleitung von Kühlwasser aus Fukushima unmittelbar bevor

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auf dem Kraftwerksgelände Fukushima Daiichi gehörig aufgeräumt wird. Seit dem Atomunglück in Japan vom März 2011, als es nach einem Erdbeben und Tsunami zu Kernschmelzen in drei von sechs Reaktoren kam und daraufhin ganze Ortschaften evakuiert werden mussten, hat hier Nervosität geherrscht: Die havarierten Kraftwerksblöcke müssen laufend mit Wasser gekühlt werden, wobei dieser Vorgang für neue Probleme sorgt: Das gebrauchte, radioaktive Wasser wird in immer mehr Tanks gelagert.

Die Lösung für das wachsende Platzproblem klingt rabiat: Aufbereitetes, kontaminiertes Kühlwasser soll in den Pazifik geleitet werden. Der Plan besteht seit Jahren und wird ebenso lange höchst kontrovers diskutiert. Fischerverbände aus Fukushima und Umweltorganisationen argumentieren, das radioaktive Wasser schade dem Ökosystem. Die Regierung hingegen beteuert, alles sei sicher und hat deshalb gemeinsam mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) Vorbereitungen getroffen. Trotz vorläufiger Genehmigung durch die IAEO wollte Tokio mit dem Einleiten indes noch so lange warten, bis der offizielle Prüfbericht der Wiener Organisation vorliegt.

Dieser wurde nun am Dienstag präsentiert. Seine Behörde habe das Vorhaben zwei Jahre lang geprüft und Wasserproben aus dem AKW Fukushima in eigenen und unabhängigen Laboren testen lassen, sagte IAEO-Chef Rafael Grossi in Tokio. Ergebnis: Das kontrollierte Abfließen des Kühlwassers habe nur einen »geringfügigen radiologischen Einfluss auf Menschen und die Umwelt«.

Japan will noch diesen Sommer mit dem Prozess beginnen, der Jahrzehnte dauern dürfte. Vor wenigen Tagen wurden in Fukushima finale Tests durchgeführt. Mit dem Reinigungssystem ALPS wurden dabei diverse nukleare Substanzen aus dem verbrauchten Kühlwasser herausgefiltert – allerdings bis auf Tritium. Auch deshalb hat es rund um die Tests am Wochenende wieder Proteste gegeben, sowohl in Japan als auch in Nachbarländern wie Südkorea.

Über die Frage, wie sicher der Vorgang ist, besteht indes auch unter Wissenschaftlern weltweit keine Einigkeit. Während die einen darauf verweisen, dass Kernkraftwerke auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten tritiumhaltiges Wasser in die Meere einleiten, ohne dass dies für Mensch oder Umwelt schädlich sei, halten andere den Vorgang in Japan für besorgniserregend: Die radiologische Umweltverträglichkeitsprüfung und die Überwachungspläne seien unzureichend. Meeresexperten sind sich indes einig in der generellen Warnung vor der weiteren Nutzung des Meeres als Ablagerungsort für alle möglichen Giftstoffe, wenn »unsere Ozeane bereits gestresst sind«, wie es Tony Hooker, Chef des Zentrums für Strahlenforschung der Universität Adelaide in Australien, ausdrückt. Es müsste in Japan geprüft werden, ob die Abwässer nicht zur Herstellung von Beton verwendet werden können, um das restliche radioaktive Tritium einzuschließen.

Indes haben die kritischen Stimmen des Nachbarn Südkorea über die Jahre an Lautstärke verloren. Kurz nach der Katastrophe im Jahr 2011 hatte dessen Regierung wie die anderer Staaten der Region und zunächst auch der EU Importe diverser landwirtschaftlicher und Fischereiprodukte aus Fukushima gestoppt. Während etwa die EU einige Jahre später dies zurücknahm, blieb Südkorea bei seiner Haltung. Doch das Thema vermengt sich zusehends mit anderen politischen Diskussionen. Ab 2018 verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund eines Streits über die Aufarbeitung der Jahre 1910 bis 1945, als Korea japanische Kolonie gewesen war. Doch inmitten geopolitischer Spannungen zwischen den USA und China, die sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch verhärtet haben, setzte zuletzt ein diplomatisches Tauwetter ein. Beide Staaten sind liberale Demokratien und haben US-Militärstützpunkte, zählen also zu den wichtigsten Verbündeten Washingtons, das sich eine enge Kooperation Japans und Südkoreas wünscht. Auch deshalb haben sie in diesem Jahr die Gespräche wieder intensiviert, wobei vereinbart wurde, dass sich ein Team südkoreanischer Experten selbst ein Bild von der Lage in Fukushima machen dürfe, was vor einem Monat geschah. Zuletzt hieß es aus Seoul moderat, man könne sich kein abschließendes Urteil über die Risiken bilden. Und vom Nuklearindustrieverband Südkoreas hieß es vergangene Woche: »Eine große Menge hoch konzentrierten radioaktiven Kühlwassers wurde in den Pazifischen Ozean geleitet, als das Nukleardesaster 2011 geschah, aber über die vergangenen zwölf Jahre hat es keinen erkennbaren Anstieg der Radioaktivität im Ozean gegeben.« So seien nun, wo das Wasser gefiltert werden solle, keine besonderen Risiken zu befürchten.

Indes stehen beide Erklärungen im Verdacht der Parteilichkeit. Am Expertenteam, das Fukushima bereist hat, wird moniert, dass es im Dienst der Verbesserung bilateraler Beziehungen zu Japan nicht sonderlich kritisch hinsehe. Der Branchenverband wiederum hat ein Interesse daran, die Gefahren der Atomenergie herunterzuspielen. Rückendeckung dafür gibt es vom konservativen Präsidenten Yoon Suk Yeol, der den beschlossenen Atomausstieg rückgängig gemacht hat.

Scharfe Kritik kommt hingegen von China, das Japan erneut aufforderte, kein Kühlwasser in den Ozean einzuleiten. Außenamtssprecherin Mao Ning sagte am Dienstag, der Bericht der IAEO beweise nicht, dass die Verklappung die sicherste Option sei. Sie forderte, alternative Pläne zu untersuchen, die Entsorgung »auf wissenschaftliche und sichere Weise« vorzunehmen und dabei strenge internationale Überwachung zu akzeptieren.

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