Gegen rechts, für den Osten

Was die Linke-Führung der AfD und einer möglichen neuen Konkurrenz entgegensetzen will

Die Linke-Führung will wieder stärker deutlich machen, wofür die Partei steht.
Die Linke-Führung will wieder stärker deutlich machen, wofür die Partei steht.

Nach mehr als drei Jahrzehnten deutscher Einheit würden die Lebensverhältnisse in Ost und West längst angeglichen sein – das dachten damals viele, auch in der Politik. Weit gefehlt. »33 Jahre nach der Wende machen viele Menschen in Ostdeutschland immer noch die Erfahrung, abgehängt zu sein«, heißt es in einem Beschluss des Linke-Vorstands vom Wochenende. Und: »Die systematische Vernachlässigung des Ostens hat fatale Folgen.«

Damit wendet sich die Linkspartei demonstrativ einem Thema zu, von dem viele meinen, dass sie es selbst vernachlässigt habe. Nun will man wieder Boden gutmachen, auch gegen politische Angebote von ganz rechts. Denn das Erstarken der AfD, ihre jüngsten Umfragewerte und Wahlerfolge findet Die Linke nicht nur prinzipiell erschreckend, sondern auch, weil sich diese Entwicklung parallel zum eigenen Niedergang vollzieht. Bei etwa 20 Prozent steht die AfD derzeit in den Umfragen bundesweit, die Linke bei 5. In den ostdeutschen Bundesländern ist das Verhältnis zum Teil noch krasser. Das hat nicht nur, aber auch mit der Erfahrung vieler Menschen im Osten zu tun, abgehängt zu sein, von der Die Linke spricht. Im Vergleich zum Westen sei das Leben im Osten oft durch ein »Weniger« gekennzeichnet: »weniger Rente, weniger Lohn, weniger Wirtschaftsleistung, weniger Vermögen, weniger Erben, weniger Urlaubsgeld, weniger Internet. Und: weniger Optimismus beim Blick in die Zukunft, weniger das Gefühl, das eigene Leben bestimmen zu können, weniger Wertschätzung und Anerkennung.«

Dem setzt Die Linke nun einen Forderungskatalog entgegen, der sich wie der Kern eines sozialpolitischen Wahlprogramms liest: Lohnoffensive Ost durch mehr Tarifbindung, Mindestlohn von 14 Euro, einheitliche Tarife in Ost und West, bis dahin weitere Unterstützung der Ost-Rentner, einkommensabhängiges Inflationsgeld. Gefordert werden außerdem ein »Solidarpakt III« für den weiteren, vor allem ökologischen Strukturwandel im Osten, die Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Kommunen.

Der Linke-Vorsitzende Martin Schirdewan bezeichnete auf nd-Anfrage die anhaltende Benachteiligung der Ostdeutschen als »große Schande für dieses Land«. Ein erster Schritt wäre, dass die politisch Verantwortlichen aufhören, die Ungleichbehandlung zu ignorieren, »und endlich anfangen, alles dafür zu tun, diese Diskriminierung zu beenden. Doch diese Bundesregierung versteht den Osten nicht.« Angesichts der Unterschiede bei Bezahlung, Renten und Vermögen sei es kein Wunder, dass im Osten auch junge Menschen voller Angst in ihren Geldbeutel schauen. Mit ihrem Aktionsplan zeige Die Linke, dass sie »die soziale Stimme des Ostens« ist.

Gegen die sozialen Ungleichgewichte biete die extreme Rechte »mit ihrer Hetze und ihrem Nationalismus nur einen schlechten Ersatz für wirkliche Verbesserungen«, heißt es bei der Linken. Die Rechte, namentlich die AfD, koche »ihre braune Suppe auf der wachsenden Verunsicherung. Sozial- und wirtschaftspolitisch verfolgt sie eine Politik der verschärften Ausbeutung der Beschäftigten.« Um dem entgegenzutreten, fasste der Linke-Vorstand am Wochenende einen zweiten Beschluss, in dem es u.a. um die Stärkung der Zivilgesellschaft geht. Letzte alarmierende Anlässe waren die Wahl des ersten AfD-Landrats in Thüringen und des ersten hauptamtlichen AfD-Bürgermeisters in Sachsen-Anhalt.

Wenn nichts dagegen getan werde, drohe bei den Wahlen im nächsten Jahr – Kommunalwahlen fast in allen Ost-Bundesländern sowie Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen – ein Dammbruch. Überall liegt die AfD in Umfragen derzeit entweder teils sehr klar vorn oder nur knapp an zweiter Stelle. Nach Ansicht der Linken handelt es sich beim Erstarken der Rechten aber nicht um ein rein ostdeutsches Phänomen, sondern längst um »eine bundes- und europaweite Herausforderung, auch wenn es unterschiedlich starke Ausprägungen gibt«. Die Zivilgesellschaft, die sich den Rechten oft ehrenamtlich entgegenstelle und deren Aktivisten von den Rechten direkt bedroht würden, müsse endlich stärker unterstützt werden – auch finanziell. Die Linke fordert hier mehr Einsatz von der Ampel-Regierung und kritisiert insbesondere die FDP, die das überfällige Demokratiefördergesetz blockiere und »die schikanöse Extremismus-Klausel wiederbeleben will, die ausgerechnet antirassistische und antifaschistische Initiativen unter Generalverdacht stellt«. Diese »Demokratie-Bremse« müsse endlich gelöst werden.

Außerdem wird die Regierung aufgefordert, sich nicht auf einen Kulturkampf mit den Rechten einzulassen, sondern endlich »klare Kante« gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus zu zeigen. In diesem Zusammenhang berichteten Linke-Kommunalpolitiker aus dem thüringischen Kreis Sonneberg, die als Gäste bei der Vorstandssitzung anwesend waren, dass die Wahl eines AfD-Landrats kein zufälliges Ergebnis war. Die regionale CDU habe immer wieder auf den rechten Rand geschielt, und der AfD-Kandidat habe Selfies mit CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen verbreitet, der dort für den Bundestag kandidiert hatte.

Gast der Vorstandssitzung war auch Ulrike Grosse-Röthig, Vorsitzende der Thüringer Linken. Gegenüber »nd« verwies sie darauf, dass der Aufstieg der AfD in Thüringen wie in Ostdeutschland »nicht erst gestern begonnen hat. Er fußt auf der tiefempfundenen Verlusterfahrung der Nachwendejahre.« Die Ost-Bundesländer seien jahrzehntelang nur als verlängerte Werkbank des Westens betrachtet worden. »Den Ostdeutschen wurde viel genommen, worauf sie stolz sein könnten. Es gibt aber ein Bedürfnis nach Stolz.« Parteichef Martin Schirdewan, im Thüringer Landesverband organisiert, merkte gegenüber »nd« an, dass in Sonneberg 44 Prozent der Arbeiter lediglich mit dem Mindestlohn bezahlt würden – ein negativer Rekordwert, der beispielhaft zeige, »wie viele Menschen dort nicht auf der Sonnenseite dieser Gesellschaft stehen«.

In ersten Medienkommentaren werden die beiden Linke-Beschlüsse als Reaktionen auf die schlechten eigenen Umfragewerte und den Höhenflug der AfD bewertet. Man kann sie daneben auch als Versuch sehen, einer eventuellen neuen Partei von Sahra Wagenknecht oder aus ihrem Umfeld sozialpolitisch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wagenknecht bleibt bei diesem Thema weiter vage; Andeutungen zeigen aber, dass intern sehr konkrete personelle und strukturelle Vorbereitungen für ein neues Projekt laufen. Zuletzt war aus dem Unterstützerkreis zu hören, dass es zur Europawahl 2024 auf jeden Fall ein neues, alternatives Wahlangebot geben werde – ob mit oder ohne Wagenknecht.

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