- Kultur
- Talke talks
Die Judenantwort
Siehst du das? Israel fehlt auf der Landkarte in der Schule
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Howdy aus Texas, liebe Leser*innen, glauben Sie an das Existenzrecht Israels? Die texanische Grundschule meiner Tochter tut es nicht. Als ich sie im Frühjahr dort anmeldete, sprang mir ein Plakat an einer prominenten Wand des auf Glanz polierten und mit Sporttrophäen behängten Gebäudes ins Auge. Zweifellos von Schülern gebastelt (und sicher auch mit elterlicher Ideologie aufgeladen): »Alle Länder im Nahen Osten«. Darauf ein Foto von Jerusalem und eine Liste mit Nahost-Ländern – allen, außer Israel. Ich tat, was jeder empörte Millennial mit angeschlagenem Selbstbewusstsein tut: Ich machte, mit vor Wut zitternder Hand, ein Foto vom Poster und beschwerte mich lautstark bei all meinen Verwandten und Bekannten, im Internet und in meiner Kolumne.
Zum Elternabend einige Monate später kam mein Mann mit. »Sieht du das?!«, knirschte ich boshaft, auf das Plakat deutend und darauf hoffend, dass er – ein sehr direkter, selbstbewusster Alphamann – gleich jemanden anschreien würde, das Existenzrecht Israels verteidigend, vor Geschichtsklitterung warnend, fluchend, mit juristischen Folgen drohend. »Lass uns eine Mail schreiben, der Schulleiter ist schon weg«, sagte mein Mann trocken. Eine Enttäuschung, aber zumindest machte auch er ein Foto vom Poster. »Lieber keine E-Mail schreiben, die später gegen euch und euer Kind verwendet werden kann, nur mündlich kritisieren«, empfahl ein besonnener amerikanischer Freund und Millennial.
Ich werde also zum Schulstart meiner Tochter all meinen Mut zusammennehmen müssen, den Schulleiter aufsuchen und ihn höflich darum bitten, Israel auf dem Plakat ergänzen zu lassen. Eigentlich sollte er meinen Forderungen folgen. Denn an texanischen Schulen haben die Eltern das Sagen, unter anderem haben sie gar das Recht, ihre Kinder komplett vom Biologieunterricht zu befreien. Damit die kleinen Hardcore-Christen ja nicht aufgeklärt werden! So kann man in seiner texanischen Schullaufbahn also nicht nur über Geografie im Ungewissen bleiben, sondern auch über die menschliche Anatomie.
Nicht viel besser war es einst zu meiner Schulzeit in Deutschland um das Thema Israel bestellt. Einer meiner vielen hoch unqualifizierten Gymnasiallehrer stellte uns in der 9. Klasse folgende Frage: »Seid ihr für Israel oder für Palästina?« Immer heißt es: Entweder – oder! Entweder: alle Juden verfluchen, der gesamten jüdisch-israelischen Bevölkerung wünschen, dass sie von der Hamas in die Luft gesprengt werde und die restliche, die »Hollywood und die Banken beherrscht«, gleich mit. Oder aber: sich derart mit Juden solidarisieren, dass man sich dazu berufen fühlt, eine semitische Identität zu faken – wie der deutsche Journalist Fabian Wolff, der sich jahrelang als »jüdische« Stimme in den Medien profilierte, nun aber zugegeben hat, ein Goi zu sein. Oder wie der brasilianischstämmige US-Politiker George Santos, der seine katholischen Großeltern als jüdische Holocaust-Überlebende ausgab – und als Zweifel an seiner (auch sonst fingierten) Identität laut wurden, alles leugnete. Beide Lügenmänner sind Millennials und sollten wissen: Beweisfotos von der Zirkumzision – or it didn’t happen!
Warum kann sich unsere westliche, gebildete Gesellschaft nicht für eine Lösung aussprechen, die beide Völker respektiert? Warum nicht die 1948 proklamierte Unabhängigkeit eines Staates als Notwendigkeit begrüßen und feiern, aber den religiösen Expansionsfanatismus der Siedler und den zunehmenden Rechtsdruck der Regierung anprangern? Warum werden die territorialen Kriege gegen Israel vergessen, warum wird die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen nicht im Zusammenhang mit dem Terrorismus diskutiert? Warum werden historische Tatsachen, die den Konflikt so brisant machen, wie die britische Kolonialmacht, der Holocaust, die jüdische Vertreibung aus muslimischen Ländern, die prekäre Situation von Frauen und sexuellen Minderheiten in Gaza einfach verdrängt?
Ja, sind wir denn allesamt ignorante Abgänger texanischer Grundschulen und verschüchterte Millennials? Ich fordere: Mehr Demokratie, mehr Anatomie, mehr Geografie!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.