Niger: Militärgerät für die Putschisten

Im Niger ist deutsche »Entwicklungshilfe« einmal mehr nach hinten losgegangen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Putsch im Niger: Niger: Militärgerät für die Putschisten

Wie weiter im Niger? Das Außen- und das Kanzleramt zeigen sich ratlos. Gut zwei Wochen nach dem Putsch bemüht man sich noch immer herauszufinden, wer der Anführer, General Abdourahman Tchiani, ist. Nun kommen weitgehend Unbekannte auf einer Kabinettsliste hinzu. Wie viel Macht haben sie, wie denkt die Bevölkerung über den Umsturz, welche ausländischen Akteure sind wie darin verwickelt ...?

Ein Ultimatum der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas ist abgelaufen. Ob es zum angedrohten Militäreinsatz gegen die Putschisten kommt? Dagegen spricht die Schwäche der Ecowas. Auch haben deren Mitglieder Mali und Burkina Faso – die Länder werden selbst von Putschisten geführt, die mit Russland im Bunde sind – bereits angekündigt, dass sie einen Angriff auf Niger als Angriff auf sich selbst betrachten würden. Algerien, das nicht zur Ecowas gehört, aber über großen Einfluss in der Region verfügt, warnt gleichfalls vor einer Militäraktion. Ein Krieg in dieser bettelarmen, von Terrorismus und Landflucht geplagten afrikanischen Region wäre das Letzte, was die Menschen dort brauchen.

Wie sehr schwärmte man noch unlängst in Berliner Regierungskreisen von der G5 Sahel! Die Regionalorganisation zur angeblichen Koordination der Armutsbekämpfung, zum Infrastrukturausbau, zur Entwicklung der Landwirtschaft und für gemeinsame Sicherheit sollte ein Beispiel für den ganzen Kontinent sein. Die EU und Deutschland förderten die 2014 von den Staatschefs der Länder Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad gegründete Gemeinschaft. Durchaus eigennützig engagierte man sich vor allem bei der 2017 beschlossenen Schaffung einer multinationalen Eingreiftruppe. Unter einheitlichem Kommando sollte sie organisierte Kriminalität und islamistischen Terrorismus bekämpfen sowie Migrationsbewegungen Richtung Europa stoppen.

Terrorismus und Migration waren zu einem gewaltigen Problem geworden, spätestens nachdem der Westen 2011 den langjährigen libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi – ohne ein Nachfolgekonzept zu haben – aus dem Amt vertrieben und das Land ins Chaos gebombt hatte. In der EU und auch in Berlin sah man in der G5-Sahel-Organisation die Möglichkeit, eine Art Sicherheitszone aufzubauen, von der aus Nord- und Zentralafrika »stabilisiert« werden könnten.

In diesem Frühjahr startete die europäische Militärmission EUMPM, an der sich neben Deutschland Frankreich, Griechenland, Rumänien, Spanien und Italien beteiligen. Damit knüpfte man an die von 2018 bis 2022 aktive Joint Special Operation Task Force (JSOTF) »Gazelle« an, in der deutsche Elitesoldaten – ohne Bundestagsmandat – Kollegen aus dem Niger drillten. Berlin versorgte die Armee mit Schutzausrüstung, Geländewagen, Funk- und Nachtsichtgeräten, baute in der Stadt Tillia erforderliche Infrastrukturen auf. Vor einem Jahr erst übergab man in Agadez eine mit deutschen Steuergeldern finanzierte Unteroffiziersschule, ein Militärlazarett sollte folgen.

Aus EU-Töpfen kamen 4,7 Millionen Euro für die Anschaffung weiteren Militärgeräts hinzu, auch bei der europäischen Polizeimission EUCAP war Deutschland dabei. Bis vor Kurzem stellte man sogar die Missionschefin in Niger. Der Militärputsch stellt nun alles infrage. Es ist nicht der erste seit der Unabhängigkeit Nigers, doch er ändert die geostrategische Lage weit über Land und Region hinaus.

Seit 2020 gab es sechs erfolgreiche Staatsstreiche in der Region, fast die gesamte Sahel-Zone wird von illegal an die Macht gekommenen Offizieren beherrscht. Der »Putschgürtel« spannt sich südlich der Sahara von Guinea im Westen bis zum Sudan im Osten. Er ist fast 6000 Kilometer lang. Wie weit Moskaus Einfluss in diesen Ländern und nun in Niger reicht, ist bislang unklar, in anderen Ländern – so in Mali und in Burkina Faso – hat sich Russland mithilfe der Wagner-Söldner bereits festgesetzt.

Aber auch jenseits der Umstürze sind die Ergebnisse westlicher Militärhilfe ernüchternd. Die Sahelzone wuchs zu einem Epizentrum von Rechtlosigkeit und Terrorismus. Ableger des Islamischen Staates wie von Al Qaida breiten sich aus. Folgt man dem Global Terrorism Index, so starb bereits 2022 fast die Hälfte der weltweit rund 6700 Terroropfer in dieser Region. Im Jahr 2007 war es »nur« ein Prozent.

Die Hoffnung, dass man mithilfe des von der Uno getragenen Minusma-Einsatzes in Mali beim Zurückdrängen der Terroristen erfolgreich sein würde, bewahrheitete sich nicht. Auch Deutschland, das mit bis zu 1100 Soldaten an Minusma beteiligt ist, musste das Scheitern eingestehen und hat – nachdem es von den malischen Machthabern ausreichend drangsaliert wurde – beschlossen, alle Bundeswehrangehörigen bis zum Jahresende nach Hause zu holen. Das Verteidigungsministerium hatte einen frühen Abzug gewünscht, das Außenamt fürchtete um Deutschlands Reputation in der Welt. Doch in beiden Ministerien war man guter Hoffnung, dass sich eine Flucht wie aus Afghanistan nicht wiederholen werde.

In den Rückzugs- und weiteren Afrika-Plänen spielte Niger eine wichtige Rolle. Offensichtlich aber nicht bei der Aufklärung durch den Bundesnachrichtendienst. Man war sich sicher, dass man nicht nur den umfangreichen Rücktransport der Bundeswehr aus Mali über Niger abwickeln, sondern auch neue Ausbildungsstützpunkte für die nigrische Armee schaffen könnte. Die Idee dahinter: Wenn man – wie sich in Mali gezeigt hat – den Wandel zu mehr Sicherheit nicht mit massiven ausländischen Kräften erzwingen kann, könnte das ja gelingen, wenn man schlagkräftige lokale Einheiten ausbildet und führt.

Angeblich fühlen sich die deutschen Soldaten im Niger von den Putschisten nicht direkt bedroht – bislang. Sie spüren auch noch nicht den Hass, der der einstigen Kolonialmacht Frankreich entgegenschlägt. Aber: Die Bundeswehr sitzt in der Falle. Rund 100 Soldaten sind auf dem deutschen Lufttransportstützpunkt am Flughafen der Hauptstadt Niamey stationiert, über den der Mali-Abzug glücken sollte.

Ob die ausgearbeiteten Rückzugspläne nun überhaupt realisiert werden können, ist ungewiss. Bundeswehr und Außenamt suchen nach Alternativen. Ist der deutsche Abzug aus Mali über das algerische Tamanrasset möglich? Das Städtchen ist umgeben von Wüste, überall nur Sand und sonst nichts. Zudem ist der Flugplatz viel zu klein und alles dreimal so weit vom Lager des deutschen Minusma-Kontingents entfernt wie Niamey.

Sicher ist: Deutschlands verfehlte Afrika-Politik hat in einem weiteren afrikanischen Land dazu beigetragen, dass ohnehin privilegierte Teile der Armee die Macht übernehmen konnten. Vieles spricht dafür, dass man sich in Moskau ob dieser Leistung vor Freude auf die Schenkel schlägt. Man könnte wie in Mali nun auch im Niger Früchte deutscher »Entwicklungshilfe« ernten. Nicht nur hätte man Zugriff auf Bodenschätze, sondern könnte auch – in Zeiten des Ukraine-Krieges – EU-Europa durch die Steuerung von Flüchtlingsbewegungen massiv unter Druck setzen.

Einen kleinen Haken jedoch gibt es. Noch sind neben den wenigen deutschen Militärs rund 1500 französische und 1100 US-Soldaten im Niger stationiert. Das Land ist für die USA als Drohnenbasis extrem wichtig. Darüber wollte US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland jüngst in Niamey mit dem Chefputschisten reden, doch: General Tchiani hatte weder Lust noch Zeit.

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