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Ukraine: Wer zahlt, muss nicht an die Front
Reiche Ukrainer finden Wege, dem Kriegsdienst zu entgehen. Hohe Militärs machen damit Kasse
Die Nachricht war durchaus bemerkenswert: Per Erlass hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dieser Tage die Chefs aller Rekrutierungszentren im Lande entlassen. In diesen Zentren werden Männer für den Dienst in der Armee und den Einsatz an der Front geworben. Mit der drastischen Maßnahme reagierte die Regierung in Kiew auf zahlreiche Fälle, in denen wehrpflichtige Männer teils hohe Bestechungsgelder zahlten, um nicht eingezogen zu werden. Nicht nur die Chefs dieser Zentren stehen im Verdacht der Korruption: Gegen 112 Mitarbeiter von Wehrersatzämtern wurden entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet, gegen 33 davon wurde bereits Anklage erhoben.
Anders als jene Privilegierten, die es sich leisten können, sich vom Militärdienst freizukaufen, müssen Männer ohne viel Geld befürchten, von Rekrutierungskommandos aufgegriffen und zum Dienst genötigt zu werden. Entsprechende Augenzeugenberichte aus Odessa hatte »nd« bereits gemeldet. Nach Informationen von »nd« hatte sich der Linke-Bundestagsfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch wegen solcher Vorkommnisse mit einem Schreiben an den ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, gewandt, allerdings keine Antwort erhalten.
Militärkommissar kauft von Bestechungsgelder Villa in Spanien
Einer der spektakulärsten Korruptionsfälle hat sich in der Hafenstadt Odessa abgespielt. Die Online-Zeitung Ukrajinska Prawda hat kürzlich aufgedeckt, dass der Leiter des Odessaer Militärrektrutierungsbüros, Jewhen Boryssow, ein Immobilienvermögen in Spanien hat. Er soll während des seit Februar 2022 tobenden Angriffskriegs Russlands in der Ukraine für Millionen von US-Dollar Luxusautos und Immobilien in Spanien gekauft haben. Laut Auszügen aus dem spanischen Immobilienregister, die der ukrainischen Redaktion zur Verfügung stehen, kaufte die Familie Boryssow im Dezember 2022 eine Villa in Marbella im Wert von mehr als drei Millionen US-Dollar.
Zugleich soll Boryssows Frau Olexandra Anfang 2023 eine Bürofläche in einer der zentralen Straßen von Marbella gekauft haben. Insgesamt hat die Familie Boryssow nach Angaben der Journalisten der »Ukrajinska Prawda« somit seit Beginn der russischen Invasion spanische Immobilien und Luxusautos im Wert von mehr als 4,5 Millionen US-Dollar erworben.
Unternehmer reist mit Behindertenausweis um die Welt
Für in der Ukraine lebende Menschen ist das keine Überraschung. Im Korruptionsindex von Transparency International für 2022 landete die Ukraine auf Platz 116 von 180 aufgelisteten Ländern. Auch »nd« hatte schon aus Odessa berichtet, dass man sich durch die Zahlung von 5000 bis 8000 Euro vom Militärdienst und von einem möglichen Einsatz an der Front »freikaufen« könne. Der entsprechende Vermerk im Pass muss von der militärischen Führungsebene der jeweiligen Region abgesegnet werden. Insbesonders Angehörige der Schicht der immer noch zahlreichen Oligarchen im Land machen von dieser Freikaufpraxis Gebrauch.
Das jüngste Beispiel, das durch ukrainische Medienrecherchen öffentlich wurde, betrifft den Chef des halbstaatlichen Baukonzerns Kyivmiskbud, Ihor Kuschnir. Dieser soll vor einigen Monaten mit seiner Frau einen Auslandsurlaub unternommen haben. Er ließ sich als Besitzer eines Schwerbehindertenausweises krankschreiben, um anschließend mit seiner Frau den Mount Everest zu besteigen. Ein weiterer Fall von Korruption war Anfang des Jahres öffentlich geworden und sorgte für eine breite Diskussion im Land. Führende Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums sollen Lebensmittel für Soldaten zu überhöhten Preisen eingekauft haben, um sich persönlich zu bereichern.
Entlassungswelle im Zuge der Untersuchungen
Dass solche Fälle öffentlich werden, ist allerdings auch ein Beleg dafür, dass trotz des Kriegszustandes mutige Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine arbeiten. Im letzteren Fall hatte das auch Konsequenzen. Präsident Selenskyj nahm umfangreiche personelle Veränderungen in seiner Präsidialverwaltung vor. Der für rückwärtige Dienste zuständige Vizeverteidigungsminister trat zurück, der Leiter der Abteilung für Beschaffung wurde entlassen. Auch der Vizechef des Präsidentenbüros musste gehen. Seit Tagen wird zudem spekuliert, dass Verteidigungsminister Oleksij Resnikow wegen der vielen Skandale seinen Hut nehmen muss.
Der Leiter des Militärrekrutierungsbüros in Odessa wurde mittlerweile durch einen Nachfolger ersetzt. In dieser Woche ordnete das zuständige Bezirksgericht Haft für Jewhen Boryssow an. Bei Zahlung einer Kaution von 150 Millionen Hrywnja – umgerechnet 3,7 Millionen Euro – käme er vorläufig auf freien Fuß.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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