Russland: Mord als Staatsprinzip

Das Ende eines Söldnerbosses und das vieler anderer, die Putin kritisierten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Trotz der vagen Nachrichtenlage zweifeln auch die meisten westlichen Sicherheitsexperten nicht daran, dass der russische Präsident Wladimir Putin direkt hinter dem Geschehen steckt. Nur: Aus welchem Motiv? Abbas Galljamow, einst Redenschreiber Putins und heute sein Kritiker, sagt: »Das Establishment ist jetzt davon überzeugt, dass es nicht möglich ist, sich Putin zu widersetzen. Putin ist stark genug und zur Rache fähig.« Auch die Journalistin Ksenia Sobtschak, deren Vater als Bürgermeister von Sankt Petersburg erster politischer Ziehvater Putins war, spricht von einem »absolut klaren Signal« an alle, die »aufrührerische Gedanken haben«.

Gemessen daran kam General Sergej Surowikin »billig« davon. Als Chef der Ukraine-Angriffstruppen kritisierte er wie Prigoschin die Unfähigkeit der »Parkett-Generale« in Putins Umgebung. Offenkundig wusste er vom geplanten Juni-Putsch des Söldner-Chefs. Danach kam er in Haft und wurde – nur Stunden vor Prigoschins Tod – von Putin als Chef der Luft- und Raumfahrkräfte gefeuert. Ihn rettete die Uniform und dass er als fähiger Truppenführer beliebt ist in der Armee.

Die Beispiele zeigen: Putin straft jeden, den er für einen Verräter »an der Sache Russlands« hält. Und er weiß, wo er »Milde« walten lassen muss. Ohne das Militär, den Sicherheitsapparat und die orthodoxe Kirche ist sein Absolutismus nicht zu sichern. Dabei sind von Zeit zu Zeit »Säuberungen« angesagt, wie die Geschichte der Sowjetunion lehrt. So gelang es dem Massenmörder Josef Stalin fast drei Jahrzehnte lang die Kontrolle über die Sowjetunion zu behalten. Bis zu jenem Frühlingstag im Jahr 1953, an dem er von einem Leibwächter auf dem Teppich seiner Datscha gefunden wurde – in kurzer Pyjamahose und eingenässt.

Putin und seine Getreuen gehen über Leichen. Wie zu Zaren- oder Sowjetzeiten bereitet ihnen das Massensterben von Zivilisten wie Soldaten keine schlaflosen Nächte. Unbarmherzig verfolgt Putin alle, die er für oppositionell hält. Prominentes Beispiel: Boris Nemzow. Er forderte Putin politisch heraus: Am Abend des 27. Februar 2015 hatte er im Radiosender »Echo Moskwy« kritisiert, dass eine Elite um Putin Geld und Macht in Russland an sich reißt. Er griff den Präsidenten wegen dessen »verrückter, aggressiver und tödlicher Politik des Krieges gegen die Ukraine« an. Kurz danach wurde er in Kreml-Sichtweite hingerichtet.

Juri Schtschekotschichin war Journalist der »Nowaja Gaseta« und Oppositions-Abgeordneter der Staatsduma. 2003 starb er qualvoll an Organversagen, während sich seine Haut vom Körper ablöste. Anna Politkowskaja, eine bekannte Kollegin der »Nowaja Gaseta«, überlebte 2004 einen Giftanschlag. Zwei Jahre später wurde sie vor ihrer Moskauer Wohnung exekutiert – an Putins Geburtstag. Recherchen zum Dioxin-Anschlag 2004 auf Wiktor Juschtschenko, den einstigen Premier der Ukraine, führten angeblich ebenfalls zu russischen Geheimdiensten.

Alexander Litwinenko, ein abtrünniger Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, starb 2006 in London an einer Polonium-Vergiftung. Der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa überlebte 2015 und 2017 zwei Giftanschläge nur knapp. Der Künstler und Pussy-Riot -Mitarbeiter Pjotr Wersilow, störte das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Moskau und landete kurz darauf mit Vergiftungserscheinungen im Krankenhaus.

Der Fall von Sergej Skripal wirbelte viel politischen Staub auf. Der einstige Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU sowie dessen Tochter überlebten 2018 mit knapper Not einen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok. Dem Dichter und Satiriker Dmitrij Bykow wurde 2019 in Sibirien im Flugzeug übel. Er lag fünf Tage im Koma. Auf ihn sollen im August 2020 die gleichen Geheimdienstmitarbeiter angesetzt worden sein, wie auf den Putin-Kritiker Alexej Nawalny, der nach seiner Genesung von Nervengift zu vielen Jahren Lagerhaft verurteilt wurde.

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