Israel: Werden sich die Richter selbst entmachten?

Israels Oberstes Gericht berät über Netanjahus Justizumbau

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein Novum in der israelischen Politik: Das Oberste Gericht des Landes nimmt sich gesammelt einer kürzlich beschlossenen Gesetzesänderung der Regierung an, um diese gegebenenfalls für unvereinbar mit den Grundgesetzen des Landes zu erklären; Anlass sind Petitionen gegen die Gesetzesänderung.

Im Fokus der 15 Richter steht das umfassende Vorhaben der Regierung von Benjamin Netanjahu, die unabhängige Justiz an die Ketten zu legen und in ihren Kontrollbefugnissen zu beschneiden, um so Gesetze ohne Widerstand durchs Parlament bringen zu können. Im konkreten Fall hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Regierung Ende Juli die Änderung eines Grundgesetzes verabschiedet, die dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, gegen »unangemessene« Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister vorzugehen.

Kritiker befürchten, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung von entscheidenden Posten fördern könnte. Diese Änderung gilt als Anfang und Testballon des von der Regierung vorangetriebenen Justizumbaus, gegen den seit Jahresbeginn Tausende Israelis auf die Straße gehen.

Bei der Anhörung verteidigte der Vorsitzender des Justizausschusses, Simcha Rothman, die Pläne und warf dem Obersten Gericht vor, sich zu sehr in politische Fragen einzumischen. Allein die Beratung zur Gesetzesänderung sei ein »Versagen«, sagte Rothman, der neben Justizminister Jariv Levin als treibende Kraft hinter dem Vorhaben gilt.

Unklar ist, wie das Oberste Gericht sich verhalten wird, eine Entscheidung wird erst in einigen Wochen erwartet. Bei der Anhörung äußerten sich mehrere Richter bereits kritisch über das Vorhaben der Regierung. Die Vorsitzende Esther Chajut sagte zu den Folgen der Gesetzesänderung: »Niemand kann mehr prüfen, ob sie (die Minister) angemessen gehandelt haben oder nicht.«

Richter Izchak Amit zufolge muss die Judikative eher noch gestärkt und nicht geschwächt werden. »Demokratien sterben nicht auf einmal, sondern in kleinen Schritten.« Eine Abgeordnete der Regierungspartei Likud, Tali Gottlieb, begann daraufhin aus den Zuschauerreihen zu rufen: »Die Knesset (Israels Parlament) schützt die Demokratie.«

Rechtsanwalt Aner Helman, der die Generalstaatsanwältin vertrat, warnte vor den Konsequenzen. »Diese Regierung mag nicht von ihrer Macht Gebrauch machen, aber es besteht kein Zweifel, dass der Tag kommen wird, an dem eine bestimmte Regierung ihre Macht ausüben wird.« Niemand solle etwas anderes denken. »Wenn sie also sagen: ›Vertraut uns, die Knesset ist die Aufsicht‹, müssen wir alle sehr, sehr vorsichtig sein.«

In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein Grundgesetz oder eine Änderung eines Grundgesetzes aufgehoben. Sollte dies nun geschehen und die Regierung die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise, da Zuständigkeiten nicht mehr klar geklärt wären.

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