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Entfernt verbunden

Der Film »Tel Aviv – Beirut« erzählt davon, wie der Krieg eine israelische und eine libanesische Familie miteinander in Beziehung gesetzt hat

Im Leid verbunden: die Israelin Myriam (Sarah Adler) und die Libanesin Tanya (Zalfa Seurat)
Im Leid verbunden: die Israelin Myriam (Sarah Adler) und die Libanesin Tanya (Zalfa Seurat)

Israel, 2006: Zwei Frauen sind im Auto unterwegs von Haifa zur libanesischen Grenze. Sie kannten sich vor dieser Fahrt nicht, vertrauen sich nun aber schon ihre Lebensgeschichten an, lachen herzlich miteinander. Erstaunlich ist das vor allem, weil sich ihre Herkunftsländer gerade in einem blutigen Krieg gegeneinander befinden. Myriam (Sarah Adler), die am Steuer sitzende Israelin, will in den Libanon, um ihren Sohn Gil (Noam Boukobza) ausfindig zu machen, der dort als Soldat gekidnappt wurde; die Libanesin Tanya (Zalfa Seurat) nach Jordeikh, ein israelisches Dorf nahe der Grenze, wo sie mit ihrem Vater Fouad (Younès Bouab) lebt. Dieser ist todkrank, und nur Medikamente aus Haifa, die für die libanesische Minderheit im Norden des Landes schwer zu bekommen sind, könnten ihm helfen.

Die Zuschauer des Films »Tel Aviv – Beirut«, aus dem diese Szenen stammen, wissen zu diesem Zeitpunkt schon mehr als die Protagonistinnen: Sie kennen sowohl die Lebensgeschichte von Myriam als auch die von Tanya. Sie haben gesehen, wie ihre Lebenswege schon vor etwa zwei Jahrzehnten miteinander verknüpft wurden – durch Yossi (Shlomi Elkabetz), den Ehemann von Myriam, der 17 Jahre lang als Soldat im Libanon stationiert war, im Dorf Naqura kurz hinter der Grenze. Während dieser Zeit war er eng mit Tanyas Familie befreundet, Tanyas Vater kollaborierte mit den israelischen Besatzern. Yossi kennt Tanya seit ihrer Kindheit, war dabei, als ihre Mutter Nour (Sofia Essaïdi) durch israelische Bomben ums Leben kam. Nach dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Jahr 2000 jedoch hat er die Familie im Stich gelassen. Tanya und ihr Vater, die nach der Machtübernahme der Hisbollah im Libanon als Verräter gelten, mussten nach Israel fliehen, leben dort nun verarmt als Flüchtlinge.

Regisseurin Michale Boganim verarbeitet in ihrem Historiendrama, das die Jahre von 1984 bis 2006 abdeckt, auch Teile ihrer eigenen Familiengeschichte. 1977 in Haifa geboren, emigrierte sie 1984 mit ihrer Familie nach Frankreich, nachdem ihr Vater und ihr Bruder im Ersten Libanonkrieg gekämpft hatten. Als Erwachsene kehrte sie nach Israel zurück, um dort Soziologie, Philosophie und Geschichte zu studieren, ließ sich danach in Großbritannien zur Regisseurin ausbilden. Im Interview mit dem Online-Magazin »The Markaz Review« sagt sie, dass »Tel Aviv – Beirut« wohl der erste Film sei, in dem israelische und libanesische Schauspielerinnen und Schauspieler gemeinsam auftreten. Ein Meilenstein: Denn auch wenn seit dem Ende des Zweiten Libanonkriegs 2006 Waffenstillstand herrscht, befinden sich Israel und der Libanon seit 1948 offiziell im Krieg gegeneinander, diplomatische Beziehungen unterhalten die beiden Staaten nicht. Immer wieder kommt es zu Spannungen an der Grenze.

»Tel Aviv – Beirut« legt Verfehlungen offen – sowohl die einzelner Menschen als auch die des Staates Israel. Dieser kümmerte sich nach dem Libanonkonflikt nicht um jene christlichen Milizen, die während der Besatzung des Libanons mit den Israelis zusammenarbeiteten und infolgedessen nach 2000 das Land verlassen mussten. Dennoch ist der Film weit davon entfernt, ein anti-israelisches Propagandastück zu sein. Vielmehr handelt er von komplexen familiären Verstrickungen sowie den Tragödien, die der Krieg auf beiden Seiten zeitigte – und schlägt sich auf die Seite aller Menschen, die bis heute darunter leiden.

Boganim setzt der perennierenden Gewalt im Film eine utopische Sinnlichkeit entgegen: etwa in den zwei Szenen, in denen Tanya badet – einmal als Kind mit ihrem späteren Lebensgefährten Kamal (Mihan Deille) in einem Bach, einmal zusammen mit Myriam im Meer. Die Kamera bewegt sich hier halb über, halb unter dem Wasser, als Zuschauerin taucht man damit gleichsam mit in die Gewässer ein. Ätherisch entrückt indes das Bild der kleinen weißen Katze mit dem Namen Beirut, die still auf dem Dach von Tanyas Haus im Libanon sitzt, neben weißen, zum Trocknen aufgehängten Laken – sind es Friedensfahnen? –, während unten auf der Straße geschossen wird. Ebenso schön wie diese und viele weitere Szenen ist der sanfte Jazz von Avishai Cohen, mit dem der Film an einigen Stellen unterlegt ist.

Ob ein Spielfilm viel zur Annäherung zweier verfeindeter Staaten beitragen kann, ist fraglich – doch wenn es einem gelingen könnte, dann diesem hier.

»Tel Aviv – Beirut«: Frankreich/Deutschland/Zypern 2023. Regie und Buch: Michale Boganim. Mit: Avishai Cohen, Zalfa Seurat, Sarah Adler, Maayane Elfassy Boganim, Shlomi Elkabetz. 96 Min. Jetzt im Kino.

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