Katholische Kirche: Kardinal unter Verdacht

Bischof soll Jugendliche sexuell misshandelt haben

Die katholische Kirche will Missbrauchsvorwürfe gegen den Gründungsbischof des Ruhrbistums und späteren Kardinal Franz Hengsbach (1910-1991) untesuchen. Das teilten das Bistum Essen und das Erzbistum Paderborn am Dienstag mit. Hengsbach hatte das Bistum Essen 1958 gegründet und bis zu seinem Tod geleitet. Zuvor war er Weihbischof in Paderborn.

Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wäre Hengsbach der erste höchstrangige katholische Geistliche in Deutschland, dem Missbrauch nachgewiesen wird. Das Bistum Essen nennt die Vorwürfe »gravierend« und ruft Betroffene auf, sich bei den »unabhängigen Ansprechpartnern« im Bistum zu melden.

Die öffentlich gemachten Vorwürfe betreffen die 50er bis 70er Jahre. Zwei Vorwürfe betreffen Hengsbachs Zeit als Bischof von Essen, einer die Zeit in Paderborn, wo der Bischof 1954 eine damals 16-Jährige sexuell misshandelt haben soll. Die Frau hatte bereits im Juni 2011 Missbrauch durch Franz Hengsbach als auch durch seinen 2018 gestorbenen Bruder Paul angezeigt, der ebenfalls Priester war. Letzterer hatte die Vorwürfe vehement bestritten. Sie wurden danach vom Paderborner Generalvikariat und später von der Glaubenskongregation in Rom als »nicht plausibel« abgewiesen. Die Frau erhielt kein Geld. Ihre Anzeige soll sie 2014 zurückgezogen haben.

Aus heutiger Perspektive und nach erneuter Prüfung müsse die damalige Plausibilitätsbeurteilung aber »leider deutlich in Frage gestellt werden«, hieß es nun in der Mitteilung aus Paderborn. In einem weiteren Fall von Vorwürfen gegen Paul Hengsbach seien dem Opfer Anerkennungsleistungen bewilligt worden. Einen dritten Fall aus dem Jahr 1967 hatte eine mutmaßliche Betroffene im Oktober 2022 im Bistum Essen angezeigt. Der amtierende Essener Bischof Franz-Josef Overbeck erfuhr davon laut Mitteilung im März und entschied sich, wie er nun mitteilte, nach eingehender Prüfung für eine Offenlegung aller Vorwürfe.

Der 1988 vom damaligen Papst Johannes Paul II. zum Kardinal erhobene Hengsbach war bis zu seinem Tod einer der bekanntesten katholischen Geistlichen der Bundesrepublik. Er war unter anderem Mitgründer des bischöflichen Hilfswerks Adveniat und über 17 Jahre deutscher Militärbischof. In der Zeit des beginnenden Kohleausstiegs stellte er sich medienwirksam an die Seite der Bergleute, was ihm große Popularität einbrachte. In Essen, Gladbeck und Bottrop sind Straßen und Plätze nach ihm benannt.

Matthias Katsch, Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch, erneuerte anlässlich der Veröffentlichungen die Forderung nach einer »unabhängigen Untersuchungs- und Aufklärungsinstanz«. Justiz und Politik hätten eine Mitverantwortung. »Es muss endlich Schluss sein damit, dass die Kirche oder von ihr beauftragte Gremien die Missbrauchsverbrechen und den Umgang mit diesen Fällen selbst aufzuklären versuchen«, so Katsch. Genau deshalb könnten »Staatsanwaltschaften aufgrund von Verjährung nicht mehr tätig werden«. Da der Bundestag bis heute keine Untersuchungskommission mit der Aufklärung des katholischen Missbrauchsskandals beauftragt habe, appelliere der Verein »an die Landtage wie in diesem Fall in Düsseldorf: Es ist hohe Zeit für eine Wahrheitskommission, bevor nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer nicht mehr leben.«

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