Ein dünnes Brett, das nicht gebohrt wird

Bei der Herbstkonferenz der Verkehrsminister geht es um die weitere Finanzierung des 49-Euro-Tickets

Wenn an diesem Mittwoch die Verkehrsminister der Länder in Köln zu ihrer zweitägigen Herbstkonferenz zusammenkommen, geht es vor allem ums Geld. Auf den Nägeln brennt den Ressortchefs von Nord bis Süd insbesondere die noch immer ungeklärte weitere Finanzierung des im Mai dieses Jahres gestarteten Deutschlandtickets. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will bisher keine weiteren Mittel zur Verfügung stellen, sodass das bundesweit gültige, monatliche Nahverkehrsabo zum Preis von 49 Euro bereits wieder auf der Kippe stehen könnte. Davor warnt zumindest der Deutsche Städtetag, der befürchtet, dass die Kommunen mit den Mindereinnahmen alleingelassen werden. Die Städte mit ihren Verkehrsunternehmen »können die Defizite aus dem vergünstigten Ticketpreis nicht ausgleichen«, sagt Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Auch die Gewerkschaft Verdi weist darauf hin, dass in fast allen Städten mit U-Bahnen, Stadt- oder Straßenbahnen die Kosten für die Infrastruktur und den Betrieb schon jetzt die Kommunen deutlich überfordern.

Vergangene Woche stimmten die Verkehrsminister der Länder ihre Position bei einem virtuellen Sondertreffen ab. In einem parteiübergreifend verfassten gemeinsamen Appell fordern sie den Bund auf, die Finanzierung des 49-Euro-Tickets zu sichern und die Lasten gerecht mitzutragen. »Die Länder stehen zu ihrer Verantwortung«, sagte Oliver Krischer, Minister aus Nordrhein-Westfalen – das bevölkerungsreichste Bundesland hat aktuell den Vorsitz der Runde inne. Was fehle, sei die Bereitschaft des Bundes, sich »ebenfalls hälftig« an allen Kosten zu beteiligen.

Besonders stieß den Ländervertretern auf, dass Bundesminister Wissing die Teilnahme an der Sonderkonferenz verweigerte und einen Vertreter auf Leitungsebene schickte, der natürlich nicht befugt war, über Finanzzusagen zu sprechen. Für den FDP-Politiker sind alle Fragen bereits geklärt, daher sollten »die Diskussionen über dieses Ticket schnell beendet werden«. Er empfiehlt den Ländern, sich auf strukturelle Verbesserungen zu konzentrieren: »Kein Mensch versteht, warum wir immer noch über 60 Verkehrsverbünde in Deutschland haben«, so Wissing.

Schon vor dem Start des Tickets gab es monatelange Streitigkeiten über die Finanzierung. Die Einigung sah dann vor, dass Bund und Länder bis 2025 jährlich jeweils 1,5 Milliarden Euro dafür bereitstellen. Außerdem wurde vereinbart, dass eventuelle Mehrkosten im laufenden Jahr zu gleichen Teilen getragen werden. Für 2024 und darüber hinaus gibt es zu diesem Punkt jedoch noch keine Einigung. Mit der jüngsten Zusage der Länder steht der Bund unter Druck, sich weiterhin hälftig zu beteiligen.

Die Finanzlücken entstehen dadurch, dass die Einnahmen der Verkehrsverbünde durch das 49-Euro-Ticket deutlich sinken. Viele ÖPNV-Nutzer haben ihr bislang teureres Abo umgewandelt und müssen im Unterschied zu früher zudem anderswo keine zusätzlichen Fahrscheine lösen. Um welche Summen es hier künftig geht, ist natürlich nicht genau zu beziffern. Laut Berechnungen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen geht es im kommenden Jahr um mindestens 4 Milliarden Euro, da das Pauschalticket zunehmend nachgefragt wird.

»Wenn wir zu keiner guten Lösung kommen, steht die Weiterführung des Deutschlandtickets infrage«, sagte dazu Brandenburgs Verkehrsminister Guido Beermann (CDU). Der Bund müsse sich nicht nur zu dem Ticket bekennen, sondern auch dazu, dass es auch nach Jahresende »möglichst« keine Preiserhöhung geben werde.

Die Debatte kommt zu einer Zeit, in der das Finanzierungsdefizit des Staates wieder ansteigt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes trug dazu im ersten Halbjahr der Anstieg der Sachausgaben um 20,7 Prozent auf 27,2 Milliarden Euro bei, der teils auf einen Sondereffekt nach der Einführung des Deutschlandtickets zurückzuführen sei. Da öffentliche Verkehrsunternehmen dafür erhebliche staatliche Ausgleichszahlungen erhalten, gelten sie neuerdings den Regeln der Kassenstatistik zufolge als öffentliche Extrahaushalte und werden nun in die Berechnung einbezogen. Aufgrund der Beteiligungsverhältnisse betrifft das auch den Bund, etwa wegen der S-Bahnen in Berlin und Hamburg. Allerdings handelt es sich dabei letztlich nur um ein buchhalterisches Problem, das das vehemente Veto des Bundesministers nicht rechtfertigt.

Eigentlich geht es mit Blick auf den ÖPNV auch um mehr als nur die Deckung der 49-Euro-Mindereinnahmen der Verkehrsbetriebe. So fordert unter anderem der Sozialverband Deutschland die Einführung eines Sozialtickets für maximal 29 Euro, das neben Studenten auch Azubis oder einkommensschwache Haushalte erwerben könnten.

Die Gewerkschaft Verdi wiederum regt gemeinsam mit Betriebsräten von zehn kommunalen Nahverkehrsunternehmen einen »Pakt für die Verkehrswende« an. »Die Verkehrsminister, allen voran der Bundesverkehrsminister, müssen endlich aus der Deckung kommen«, sagte die stellvertretende Vorsitzende Christine Behle bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Berlin. »Jeder Tag, an dem wir nicht handeln, wirft uns um Monate und Jahre zurück.« Verdi und Betriebsräte fordern Geld für den ländlichen Raum, um beispielsweise die Anzahl der Fahrzeuge zu erhöhen und eine bessere Infrastruktur und Anbindung zu schaffen und somit die Verkehrswende einzuleiten. Auch brauche es eine gute Bezahlung, um dem Arbeitskräftemangel bei Busfahrern entgegenzuwirken. »Wenn wir den ÖPNV bis 2030 verdoppeln wollen – und er dann auch funktionieren soll –, brauchen wir ab sofort jährlich 16 bis 18 Milliarden Euro zusätzlich plus die Zuschüsse zum Deutschlandticket und Inflationsausgleich«, rechnet Behle vor.

Angesichts der eigentlichen Herausforderungen lässt es wenig Gutes erwarten, dass schon das dünne Brett des 49-Euro-Tickets bisher nicht gebohrt wird. Das dürfte den Ressortchefs jetzt auch nicht gelingen. Beobachter gehen davon aus, dass dies wie schon vor dem Start im Mai auf höherer Ebene geschehen muss: zum Beispiel beim Treffen der Ministerpräsidenten der Länder mit den Spitzen der Bundesregierung Ende der Woche.

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