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  • Älteste Holzkonstruktion der Welt

Unsere Vorfahren, die Zimmerleute

Archäologische Funde aus Sambia ändern das Bild von den Fähigkeiten früher Hominiden

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Sand eingeschlossen blieb eine 476 000 Jahre alte Holzkonstruktion erhalten.
Im Sand eingeschlossen blieb eine 476 000 Jahre alte Holzkonstruktion erhalten.

Man stelle sich vor, dass ein Angelverein ein schönes Plätzchen an einem Fluss findet, wo die Fische fast immer anbeißen. Als Zugabe bekommen die Angler eine schöne Aussicht auf einen Wasserfall. Die Idee, hier eine Plattform oder einen kleinen Unterstand zu bauen, damit die Angelfreunde es sich ein bisschen bequemer machen können, liegt auf der Hand, und so kommen sie in Gang. Ähnlich scheint eine Gruppe früher Menschen, vermutlich Homo heidelbergensis, auch gedacht zu haben, als sie einen sandigen Vorsprung fanden, der ein guter Lagerplatz gewesen zu sein schien. Homo heidelbergensis gilt als die Menschengattung, aus der sowohl der Neandertaler als auch der moderne Mensch hervorging.

So in etwa kann man sich die Szene am Kalambo-Wasserfall in Sambia vorstellen, die sich vor etwa 476 000 Jahren abspielte. Diese Stelle ist seit rund 70 Jahren als archäologische Fundstelle bekannt und wurde mehrfach untersucht. Die jüngste Ausgrabung von 2019 brachte jedoch die wahrscheinlich größte Sensation an diesem Ort hervor. Beim Abstieg zur vorgesehenen Ausgrabungsstelle bemerkte ein Mitglied der britischen Archäologengruppe ein Stück Holz, das aus dem Sand hervorragte. Der gute Blick erwies sich als Glücksfall: Hier wurde ein Pfosten gefunden, der oben eine Gabelung hatte, in der eingepasst ein anderes Holzstück ruhte. Kerben und Scharten waren sichtbar und selbst für das bloße Auge war so deutlich, dass es sich nicht um einen natürlichen Zufall handelte, sondern um Bearbeitungsspuren von Steinwerkzeugen. Ein weiterer Glücksfall war es, dass die Archäologen über sehr gute Kameratechnik verfügten und sofort Bilder machten, denn gerade die Bearbeitungsspuren wurden in der kurzen Zeit, in der sie der Luft ausgesetzt waren, undeutlich. Die Ausgräber waren zunächst unsicher, worum es sich bei den beiden Holzstücken handelte, bis sie zufällig auf US-amerikanisches Holzspielzeug stießen, bei dem die gleiche Technik des Zusammenfügens verwendet wurde, die große Stabilität sichert. Was genau die frühen Menschen bauten, eine Plattform, einen Unterstand oder etwas anderes, lässt sich nicht mehr feststellen. Dass es mit Absicht gebaut wurde, ist dagegen sicher.

Holzzeit ist treffender als Steinzeit

Dass diese Erzeugnisse früher Zimmermannskunst überhaupt die Jahrhunderttausende überstanden, ist ein weiterer Zufall und den geologischen Umständen der Fundstelle zuzuschreiben. Die beiden Fundstücke und zwei weitere, die etwa 100 000 Jahre jünger sind, wurden von Sand umschlossen und standen später unter Wasser. Auf diese Weise luftdicht abgeschlossen verrotteten sie nicht. Die Zersetzung von Holz und anderen natürlichen Materialien ist das große Problem der Archäologie. Nur sehr wenig ist daher aus der Frühzeit der Menschheit erhalten. Am bekanntesten sind vielleicht die Speere von Schöningen in Niedersachsen, die auf ein Alter von 337 000 Jahren bestimmt wurden und ebenfalls von Homo Heidelbergensis hergestellt wurden. Wären die Konservierungsbedingungen besser, würde man wahrscheinlich eher von der Holzzeit als der Steinzeit reden, wie der leitende Archäologe Larry Barham von der Universität Liverpool bei der Vorstellung der Ausgrabungsresultate erklärte. Die Bearbeitung von Holz ist einfacher als die von Steinen. Die Scharten und Kerben sind über den Beweis hinaus, dass die Frühmenschen über handwerkliches Können verfügten, auch wichtig, um beispielsweise Schimpansen als Bauherren auszuschließen. Diese können durchaus Holz bearbeiten, aber sie benutzen dafür ihre Zähne.

Die beiden anderen bearbeiteten Holzartefakte stammen aus einer anderen Besiedlungsphase und bestätigen damit die Annahme, dass der Ort für unsere Vorfahren sehr einladend gewesen sein muss. Aus Untersuchungen der Klimaentwicklung des Kalambo-Flussbeckens ist bekannt, dass es im Zeitraum, in dem die beiden Fundstücke entstanden, von Wald bedeckt war und somit Nahrung für die frühen Hominiden bot. Die beiden Artefakte wurden als Keil beziehungsweise Grabstock identifiziert. Letzterer hat eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit Grabstöcken historischer Jäger-Sammler-Gruppen des südlichen Afrikas.

Datierung über den umgebenden Sand

476 000 beziehungsweise rund 350 000 Jahre sind eine lange Zeit und die Frage ist, wie die Techniker der Universität Aberystwyth in Großbritannien zu diesem Ergebnis kamen. Zunächst muss gesagt werden, dass die angewendete Lumineszenz-Datierung eine statistische Unsicherheit von plus/minus 23 000 Jahren aufweist. Getestet wurde jedoch nicht das Holz, sondern der Sand, in dem die Stücke eingebettet waren. Hier nutzt man aus, dass mittels Thermolumineszenz das Alter von Sedimenten ermittelt werden kann. Bestimmt wird der Zeitpunkt der letzten Belichtung der Sedimente durch das Sonnenlicht und damit indirekt das Alter der eingeschlossenen Gegenstände. Die »Uhr« der radioaktiven Nuklide der Sedimente wird dabei abgelesen, aber mit der Messung zugleich auf null zurückgestellt. Um eine Vergleichsmessung durchführen zu können, müssen also eine oder besser noch mehrere Proben zurückgehalten werden. Die Radiokarbondatierung der Holzstücke kam für die vorliegenden Funde nicht in Frage, da keine organischen Materialien, die älter als 60 000 Jahre sind, datiert werden können.

Mögliche Phasen der Sesshaftigkeit

Über die bemerkenswerten handwerklichen Fähigkeiten hinaus lassen die gefundenen Holzstücke auch an der gängigen Auffassung zweifeln, dass die frühen Hominiden ausschließlich Nomaden waren. Vielleicht war es eher so, dass sie in ressourcenreichen Gebieten kurzzeitig sesshaft wurden und in Mußestunden Gelegenheit hatten, handwerkliches Geschick zu entwickeln, das zu besseren Unterkünften, Jagdwaffen und Werkzeugen führte.

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