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Nahost-Konflikt: Erneute Eskalation in Neukölln

172 Festnahmen nach erneuten Ausschreitungen im Zusammenhang mit Nahost-Konflikt sowie 65 verletzte Polizisten

  • Thuy-An Nguyen und Moritz Lang
  • Lesedauer: 4 Min.

Angesichts des Nahostkonflikts bleibt die Stimmung angespannt. Am Mittwochabend kam es den zweiten Tag in Folge zu Ausschreitungen bei propalästinensischen Demonstrationen. Wie die Polizei am Donnerstagmorgen mitteilte, wurden dabei 172 Menschen festgenommen und 65 Polizist*innen verletzt.

Die Stimmung rund um die Sonnenallee war am Mittwochabend aufgeheizt. Die Polizei ging nach eigenen Angaben gegen Demonstrant*innen vor, die Mülltonnen, Reifen und Pyrotechnik anzündeten sowie mit Steinen, Flaschen und Brandsätzen warfen. Sie ging wegen des Verbots solcher Demonstrationen strikt und heftig gegen protestierende Menschen auf der Sonnenallee vor. Die Einsatzkräfte der Feuerwehr rückten zu mehreren Kleinbränden aus. Demnach war sie mit 40 Feuerwehrleuten vor Ort, wie sie auf der Plattform X (ehemals Twitter) mitteilte. Ein Auto in Neukölln brannte, zwei weitere wurden beschädigt. Wie ein Polizeisprecher am Donnerstag mitteilte, ermittelt das Landeskriminalamt wegen mutmaßlicher Brandstiftung und überprüft, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Brand und den Ausschreitungen gibt.

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat sich am Donnerstag in einer Resolution solidarisch mit Israel gezeigt und jeder Unterstützung oder Relativierung des Terrors der Hamas eine Absage erteilt. Angesichts der eskalierenden Lage hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Abgeordnetenhaus zudem eine Regierungserklärung abgegeben. Dabei verurteilte Wegner Sympathiebekundungen für die Terrororganisation Hamas aufs Schärfste. Der 7. Oktober markiere mit dem terroristischen Angriff von Hamas-Militanten auf Israel ähnlich wie der Kriegsbeginn in der Ukraine am 22. Februar 2022 eine »Zeitenwende«, sagte Wegner. Es gelte, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Man müsse nun »mehr und anders über Integration sprechen« und über »Sicherheit neu nachdenken«. Mit Hinblick darauf, dass es in der Nacht zum Mittwoch einen versuchten Anschlag auf eine jüdische Gemeinde gab, betonte Wegner: »Der Schutz jüdischen Lebens ist unverhandelbar.« Wegner bedankte sich in seiner Rede für den Einsatz der Polizeikräfte in diesen Tagen, wendete sich aber auch an Berliner*innen mit arabischem kulturellem Hintergrund: »Auch Sie sind unsere Berliner und in diesen Tagen betroffen und voller Trauer.« Doch Wegner warnte: »Keine Barrikade und auch kein Angriff auf die Polizei in Berlin ändert etwas an der Situation in Gaza.«

Den Ausschreitungen in Neukölln ging das Verbot mehrerer propalästinensischer Demonstrationen voraus. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) erlaubte Schulen vergangene Woche, das Zeigen von Symbolen wie der Kufiya, die Solidarität mit Palästina bekunden, zu verbieten. Am Mittwochabend berichten Passant*innen dem »nd«, dass es bei einer Kundgebung am Herrmannplatz teilweise zu massiven Gewaltausbrüchen gegen einzelne Demonstrant*innen gekommen sei.

Teilweise zu diesen Hintergründen äußert sich im Abgeordnetenhaus auch die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Bettina Jarasch. Im Falle von Gewaltausbrüchen müssten Versammlungen aufgelöst werden, gleichzeitig dürfe das Versammlungsrecht nicht pauschal übergangen werden. »In Berlin lebt eine große palästinensische Community, die zum Teil hier geboren ist, und Familie in Gaza hat«, sagt Jarasch. Die meisten dieser Menschen hätten nichts mit Organisationen wie Samidoun oder der Hamas zu tun. Auch Anne Helm, die Vorsitzende der Linksfraktion, forderte, es müsse zwischen Versammlungen, die die öffentliche Sicherheit gefährdeten, und Treffen, bei denen es um Anteilnahme gehe, unterschieden werden. «Trauer, Sorge und Wut über den Verlust von Angehörigen müssen in unserer Gesellschaft besprechbar sein. Sonst haben die Propagandisten leichtes Spiel», sagte Helm. »Wir dürfen nicht zulassen, dass Terrorpropaganda Deutschland spaltet.«

Das mahnen auch Organisationen wie der Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland an: Sie warnen sowohl vor islamistisch begründetem Extremismus, der sich gegen jüdische Menschen richtet, als auch vor zunehmendem antiarabischen Rassismus.

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