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Stand der »Lebensschutz«-Bewegung: Ein Herz aus braunen Kreuzen

Die diesjährigen »Märsche für das Leben« zeigten den Verfall der »Lebensschutz«-Bewegung – und die Verankerung des Antifeminismus in rechten Kreisen

  • Eike Sanders und Ulli Jentsch
  • Lesedauer: 7 Min.
Beim »Marsch für das Leben« wurden Bischof Rudolf Voderholzer (hinten, mit Hut) und ein junger Mann mit »White Power«-Geste fotografiert. Das sagt nichts über deren persönlichen Kontakt aus, aber über die Ausrichtung der Veranstaltung.
Beim »Marsch für das Leben« wurden Bischof Rudolf Voderholzer (hinten, mit Hut) und ein junger Mann mit »White Power«-Geste fotografiert. Das sagt nichts über deren persönlichen Kontakt aus, aber über die Ausrichtung der Veranstaltung.

Die sogenannte Lebensschutz-Bewegung ist im dritten Jahr nach dem Corona-Lockdown wieder auf der Straße. Um gegen Schwangerschaftsabbrüche, Pränataldiagnostik und Sterbehilfe zu kämpfen, mobilisierte der Dachverband Bundesverband Lebensrecht (BVL) inzwischen zum 19. Mal nach Berlin zum »Marsch für das Leben«. 2000 Teilnehmer*innen kamen am 16. September zusammen. Erstmalig fand zeitgleich eine äquivalente Veranstaltung in Köln statt. Seit den 1970er Jahren ist die Bewegung christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner*innen in Deutschland aktiv und in eigenen Strukturen organisiert. In Ländern wie den USA, Brasilien oder Kroatien übt sie als Teil einer starken, christlichen (extremen) Rechten maßgeblich Einfluss auf die Politik aus, insbesondere für eine restriktiv-konservative Familien- und Geschlechterpolitik. In Deutschland ist sie marginal, besetzt aber stabil eine Nische und profitiert bei allen Widersprüchen vom Auftrieb der AfD.

Der BVL hat in diesem Jahr die Aktivitäten der »Lebensschutz«-Bewegung weiter dezentralisiert und verkauft die Demonstrationen an unterschiedlichen Orten als Zeichen der Stärke. Anlass genug, sich den Berliner Marsch und den Zustand der Bewegung genauer anzuschauen.

»Bischofsgate«

Es war sommerlich und die Hälfte der Teilnehmer*innen drängte sich an den Infoständen am äußeren Rand des Platzes des 18. März. Vor der Bühne war ein Herz aus braunen Holzkreuzen und weißen Rosen aufgestellt und täuschte darüber hinweg, dass der Platz westlich des Brandenburger Tors kaum gefüllt war. Der BVL gab Schilder aus, auf denen Slogans wie »Echte Männer stehen zu ihrem Kind« prangten, oder die einfach ein lachendes Baby in weichgezeichneter Werbebild-Ästhetik zeigten. Auch die »Lebensschutz«-Organisationen Christdemokraten für das Leben, Aktion Lebensrecht für Alle, Kaleb und Sundays for Life waren mit ihren Botschaften vertreten. Einige Teilnehmer*innen hatten Pappschilder und Transparente selbst beschrieben. Auf einem war zu entziffern: »Alle 2 Minuten wird in unserem Land ein ungeborenes Kind grausam rechtswidrig aber straffrei umgebracht! d. h. finanzieller Selbstmord am eigenen Volk mit Absturz in die demographische Katastrophe!« Da war sie also, die bekannte völkische Forderung, dass Frauen Kinder kriegen müssen, nicht um ihres persönlichen Glückes oder der Kinder willen, sondern um das aussterbende deutsche Volk zu retten.

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Die symptomatische Nähe von christlichem Fundamentalismus zu einer völkischen Rechten manifestierte sich dieses Jahr im sogenannten Bischofsgate. In einer Reihe mit dem rechtskonservativen Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer zeigte ein junger Seitenscheitelträger im Anzug das White-Power-Zeichen in die Kamera der Kolleg*in Kirsten Achtelik. Die Aufnahme machte auf X (ehemals Twitter) die Runde, das Bistum reagierte unprofessionell und kopflos und drohte erst der Journalist*in, dann dem Teilnehmer mit einer Anzeige. Niemals würde der Bischof mit Rechtsradikalen marschieren, hieß es in der Stellungnahme, der Mann könne sich womöglich bewusst an Voderholzer »herangeschlichen« haben, um »den Ruf des Bischofs zu schädigen«. Der BVL sprang dem Bistum bei und raunte verschwörungsideologisch von einem bestellten beziehungsweise gestellten Bild. Das »Bischofsgate« schaffte es in die überregionale Berichterstattung.

Den Schein wahren

Wie so oft, wenn ein einzelner Nazi auf einer Versammlung besorgter Bürger*innen gesichtet wird, gerät der an sich problematische Charakter der Veranstaltung aus dem Blick. Der »Marsch für das Leben« ist nicht rechts, weil ein Einzelner mit White-Power-Zeichen provozierte. Der Marsch ist rechts, weil die Inhalte der Bewegung antifeministisch, autoritär, christlich-fundamentalistisch und eben auch oft genug völkisch-rassistisch, homo- und transfeindlich oder holocaustrelativierend sind.

Der BVL hat sich über die Jahrzehnte professionalisiert und vermeidet tunlichst, solche Inhalte selbst offen von der Bühne zu verkünden. Er unternimmt aber auch nichts dagegen, dass all die Leute, die wiederkehrend teilnehmen, das an anderer Stelle tun. Auch dieses Jahr hat sich der Bundesvorstand der AfD selbst zum Teil der »Lebensschutz«-Bewegung erklärt und zur Teilnahme aufgerufen. Sowohl in Berlin als auch Köln waren mehrere AfD-Repräsentant*innen da, darunter Abgeordnete der Partei. In Berlin lief der Landesvorsitzende der Jungen Alternative, Martin Kohler, mit, zeitweise mit einem offiziellen BVL-Schild in der Hand.

Dieses Jahr endete der »Marsch für das Leben« nicht wie in vergangenen Jahren mit einem gemeinsamen Gottesdienst im Freien. Stattdessen luden drei Berliner Kirchen zum Gottesdienst vor dem Marsch ein. In der Selbständigen Evangelisch Lutherischen Kirche Berlin-Mitte machte der ansässige Pfarrer Johann Hillermann das deutlich, was der BVL auf der öffentlichen Bühne kaschierte: Die absolute Ablehnung der Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper. »Der Mutterleib ist die Werkstatt Gottes. (…) Gott, der Schöpfer, ist im Mutterleib mit den Zellenteilungen ganz allein. Der neue Mensch soll ungestört und unbehelligt unter Gottes Hand und Aufsicht entstehen! Darum: Finger weg von Gottes Werkstatt!« Weiter bezeichnete Hillermann es als »Angriff auf unsere Nähe zu Gott«, dass man in unserer Zeit »das Geschlecht wechseln können« solle. Es sei der »Willen des Schöpfers, daß es Männlich und Weiblich gibt«, das dürfe man nicht auflösen.

Die Reden auf dem Platz des 18. März waren wenig an der Zahl und im Vergleich zu Hillermanns Predigt zahm und unoriginell. Zuletzt betrat die »Jugend für das Leben« mit rund zwanzig mehr oder weniger jugendlichen Mitgliedern die Bühne und versuchte das Publikum mit dem Sprechchor »We are Pro Life« in Stimmung zu bringen. Der Nachwuchs dient nicht nur als freundlich-frisches Aushängeschild für die verstaubten Inhalte, so wie es die »Lebensschutz«-Bewegung auch mit den weiblichen Personen in der ersten Reihe seit Jahren pflegt. Die jungen Frauen, überwiegend, und wenigen Männer sind Projektionsfläche für die binär-geschlechtliche Sexualmoral der Fundamentalist*innen. Sie dürfen und müssen die »normalen« Jungs und Mädchen vor aller Augen verkörpern.

Auch der Kölner Marsch wurde als eine Initiative von Jugendlichen vermarktet. Die Aktivistin Mona Schwaderlapp präsentierte sich im katholischen Privatsender als eher unerfahrene Macherin, die ihren Kreis an Freund*innen mobilisiert habe, um den Marsch zu ermöglichen. Dabei war von Anfang an der Bundesverband mit im Boot und de facto blieb Köln ein – misslungener – Ableger des Berliner Events. Die Promis der Bewegung teilten sich dann auch dieses Jahr auf die beiden Veranstaltungen auf, einige blieben ganz weg.

Zenit überschritten

Der Marsch in Berlin war jahrelang das Hauptereignis der »Lebensschutz«-Bewegung und wurde mit viel Aufwand durch den BVL orchestriert. Nun ist er zu einem Event unter vielen degradiert. Das hat mehrere offensichtliche Gründe: Einerseits haben die andauernden feministischen Gegenproteste Erfolg und einen langen Atem bewiesen. Andererseits zeigen die abnehmenden Zahlen der Teilnehmenden, dass das Mobilisierungspotenzial des Marsches bereits vor Jahren ausgeschöpft gewesen war. Mehr als 5000 oder 6000 Menschen maximal lassen sich bundesweit nicht auf die Straße bringen. Dieses Eingeständnis dürfte der eigentliche Grund für die als Erfolg gefeierte Dezentralisierungsstrategie sein. Die Mühen und Kosten, in jedem Jahr so viele Menschen in die Hauptstadt zu bewegen, wurden immerhin vom BVL selbst als Grund genannt.

All das sind Hinweise, dass sich der Dachverband in der Krise befindet. Die Jugend für das Leben wird zwar beständig in die vordere Reihe geschubst, doch es ist fraglich, ob von hier ausreichend Nachwuchs kommen kann, um die sichtbare Stagnation zu durchbrechen. Dass der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Köln offen zum Boykott des Marsches aufgerufen hatte, dürfte die Bewegung in ihren Kulturkampf-Fantasien schmerzlich getroffen haben.

Trotzdem braucht es weiterhin die breite Kritik an den Mobilisierungen der »Lebensschutz«-Bewegung und es wird langfristig nicht reichen, diese an einem oder zwei mitlaufenden Nazis festzumachen. Denn die rechten und extrem rechten Inhalte einen die Teilnehmenden, sie stecken in dem reaktionären Weltbild und in ihren autoritären Zukunftsvorstellungen. In einer Zeit, in der Transfeindlichkeit und Volkstod-Narrative die kleinsten gemeinsamen Nenner einer weltweiten (extremen) Rechten sind, bietet die »Lebensschutz«-Bewegung mit ihrem Protest gegen den angeblichen millionenfachen Kindermord ein unverfängliches Betätigungsfeld für viele Rechte. Der Antifeminismus hat sich als Standbein der extremen Rechten etabliert, egal ob er sich nun durch Gesten manifestiert oder durch simple Anwesenheit.

Eike Sanders ist Teil von NSU-Watch und dem AK Fe.In, freie Bildungsreferentin und Autorin zu Feminismus und Antifaschismus.
Ulli Jentsch ist Mitarbeiter des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin e. V. (Apabiz) und derzeit für NSU-Watch sowie als freier Journalist tätig.
Gemeinsam mit Kirsten Achtelik schrieben sie das Buch »Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ›Lebensschutz‹-Bewegung«, erschienen 2018 im Verbrecher-Verlag.

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