Haushalt: Sparwut und Tesafilm

Die Schuldenbremse ist der eigentliche, nie rückzahlbare Kredit, den die Gesellschaft sich selber ausstellt, meint Leo Fischer

Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen: Der Klimafonds der Regierung verstößt gegen die Schuldenbremse. Die Richter*innen verurteilten jeden Versuch, die Schuldenbremse durch Fonds, Sonderkonten oder Sparstrümpfe unterm Bett zu umgehen. Prompt musste die Ampel eine zweistellige Milliardensumme einfrieren – besonders Ausgaben zum Klimaschutz und zum Ausbau der Bahn sind jetzt unterfinanziert.

Der Tenor der Kommentare klingt befriedigt: Die schwäbische Hausfrau hat obsiegt, man darf eben nicht mehr ausgeben, als man hat; und ist finanzielle Stabilität in unruhigen Zeiten nicht ein Wert an sich? Währenddessen verrotten Bahnstrecken, steht der Gesundheits- und Pflegebereich vorm Kollaps, verschwinden Sozialwohnungen, sind Verwaltungen auf einem Niveau, das auch in sog. Entwicklungsländern für Augenrollen sorgt. Das Land lebt von Strukturen aus den 90ern, die seither nur mit Tesaband geflickt wurden. Und beim Tesafilm bleibt es: mit höchstrichterlichem Spruch.

Es gehört zur Ironie der Situation, dass zeitgleich zum Einfrieren des Klimafonds die Welttemperatur Spitzenwerte erreicht: Zum ersten Mal liegt sie bestätigt zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau. Dass dagegen nichts unternommen werden kann, dass wir sehenden Auges in die Katastrophe rennen, daran haben auch all jene Schuld, die die Haushalte auf Sparsamkeit festzurren wollen. Nicht umsonst lieben die Arbeitgeberverbände die Schuldenbremse: Sie ist Neoliberalismus per Gesetz, sogar per Verfassungsrang; sie verpflichtet den Staat zur Untätigkeit und zu ständigem Abspecken, während Unternehmensgewinne und Privatvermögen explodieren. So holpern eine Million Millionäre über kaputten Asphalt und beschweren sich über Regierungen, die von der eigenen Klasse in die Ohnmacht gespart wurden.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Gleichzeitig bleibt dank Schuldenbremse die brachliegende Infrastruktur all jenen Unternehmen überlassen, die sich seit 20 Jahren in Public-Private-Partnerships die öffentliche Daseinsvorsorge unter den Nagel reißen, um sie zu verscheuern oder vor die Wand zu fahren. Ist aber alles nicht so schlimm: Der Haushalt ist ja ausgeglichen!

Unsere schlimmsten Schulden sind immateriell: Das ruinierte Weltklima, ausgelöschte Arten, zerstörte Küstengegenden tauchen nicht in den Bilanzen auf. Umso großzügiger ist man mit sich selbst, gibt aus, als gäbe es kein Morgen. Und es gibt ja auch keines: Angesichts eskalierender Klimasysteme wird jeder Euro, den man heute für die Schuldenbremse spart, in wenigen Jahrzehnten hundertfach nachgefordert. Während sie scheinbar den Kreditrahmen begrenzt, ist die Schuldenbremse der eigentliche, niemals rückzahlbare Kredit, den die Gesellschaft sich selber ausstellt.

Die Austeritätsbesessenheit öffentlicher Verwaltung dürfte der albernste Grund sein, den Klimawandel nicht zu verhindern. Es gibt eine einzige Chance, ihn aufzuhalten, ein winziges Zeitfenster, in dem das Allerschlimmste noch abgewendet werden könnte: durch gemeinschaftliche Investitionen der ganzen Menschheit. Objektiv müsste man jetzt Geld ausgeben ohne Ende, alles was geht, mehr als alles, um in 100 Jahren überhaupt noch ein Wirtschaftssystem zu haben, das nicht auf Wasserschläuchen basiert. Doch die Angst davor, in einer Pressemitteilung des Bundes der Steuerzahler vorzukommen, wie auch die Idee, künftige Generationen könnten uns ein Haushaltlsloch übler nehmen als einen verwüsteten Planeten, wird die Schwaben einen weiteren traurigen Sieg davontragen lassen.

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