Verlängerung der Waffenruhe im Gazastreifen ist umstritten

Israel und die Hamas streiten sich über Details für den weiteren Austausch von Geiseln gegen Gefangene

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Montagmittag gerieten die Dinge ins Stocken. Es gebe Probleme mit der Liste der palästinensischen Gefangenen, deren Freilassung die Hamas-Führung fordert, hieß es bei der israelischen Regierung. Der ägyptische Staatsinformationsdienst (SIS) teilte am Montagnachmittag mit, es werde darüber verhandelt, 11 israelische Geiseln gegen 33 palästinensische Häftlinge freizulassen. Ägyptisch-katarische Bemühungen zur Verlängerung der »humanitären Waffenruhe« im Gaza-Krieg ständen kurz davor, eine Verlängerung der viertägigen Feuerpause um zwei Tage zu erringen, hieß es weiter. Die verlängerte Waffenpause soll demnach die tägliche Freilassung von zehn im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln im Austausch gegen 30 palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen umfassen.

In den Tagen zuvor war die Waffenruhe dem kleinstmöglichen Nenner gefolgt: Die Waffen schwiegen. Ausgetauscht wurden Häftlinge und Geiseln, die für die jeweilige Seite unproblematisch waren: keine Soldaten, keine Palästinenser mit »Blut an den Händen« oder Verbindungen zu gewaltbereiten Gruppen wie der Hamas oder dem Islamischen Dschihad. Dafür wurden seit Freitag über die Vermittler in Ägypten und Katar Listen mit Namen ausgetauscht.

Am Montag tauchten auf der Liste der Hamas nun erstmals auch Palästinenser auf, die der Hamas sehr nahestehen – ein No Go für Israels Regierung und Geheimdienste, die sich heute mehr denn je daran erinnern, dass der heutige Anführer der Hamas in Gaza, Yahya Sinwar, 2011 im Rahmen eines Gefangenaustauschs aus israelischer Haft freikam. Eine Gefahr für die Waffenruhe, die am Freitag morgen in Kraft getreten war und bis zum Dienstagmorgen andauern sollte. Und tatsächlich endeten die Kämpfe vollständig. Lastwagen mit Hilfsgütern passierten die Grenze zwischen Ägypten und dem Gaszastreifen; die Menschen atmeten durch. Gleichzeitig kehrten nun wenigstens 58 der am 7. Oktober in den Gazastreifen entführten Geiseln zurück. Im Gegenzug wurden rund 110 palästinensische Gefangene freigelassen.

Wie es weitergehen soll, das war am Montagnachmittag noch völlig unklar. Während Israel und die Hamas sehr intensiv über die Namensliste verhandelten, versuchten Diplomaten aus den Vereinigten Staaten, Ägypten und Katar darum, einen Mechanismus zu finden, der eine Verlängerung der Waffenruhe über den heutigen Tag hinaus ermöglichen könnte. So könnte sich die Kampfpause für jeden erfolgreichen Gefangenenaustausch um einen Tag verlängern, samt der zusätzlichen Hilfslieferungen.

Aber auch das ist keine dauerhafte Lösung. »Die Zahl der Geiseln ist begrenzt«, sagt Matthew Miller, Sprecher des US-Außenministeriums, »an einem bestimmten Punkt werden sich nur noch Soldaten in der Hand der Hamas befinden, und es ist dann davon auszugehen, dass die Hamas im Gegenzug auch die Freilassung von Terroristen fordern wird.« Ein weiteres Problem ist zudem: Die Hamas hat schon vor Wochen eingestanden, dass sich zwischen 40 und 50 der Geiseln nicht in der Hand ihrer Al-Kassam-Brigaden oder des Islamischen Dschihad befinden. Im Gazastreifen gibt es neben den beiden großen Organisationen auch eine Vielzahl von kleinen bewaffneten Gruppen, die nur begrenzt mit der Hamas-Regierung und den Kassam-Brigaden kooperieren, in deren Händen sich laut Hamas ein Teil der Geiseln befindet.

Erschwerend kommt nun hinzu, dass die Infrastruktur weitgehend zerstört und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Die Hamas dürfte also enorme Schwierigkeiten haben, diese Geiseln zu finden. Hinzu kommt aber auch, dass damit zu rechnen ist, dass diese Gruppen eigene Forderungen anmelden werden, falls diese Geiseln überhaupt noch am Leben sind. Denn auch dies geschieht derzeit: Angehörige erfahren nun, dass ihre Nächsten tot sind. Oder dass die Liebsten, die sie schon betrauert haben, plötzlich lebendig vor ihnen stehen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte am Montag erneut, der Krieg gegen die Hamas werde weitergehen. Das Ziel bleibe die Zerstörung der Organisation. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier besuchte derweil den Kibbutz Be’eri, der vom Massaker am 7. Oktober besonders betroffen war. Doch trotz aller Solidaritätsbekundungen für Israel: Der internationale Druck, den Krieg zu beenden, ist stärker denn je. Genauso groß ist jedoch der Wunsch, die Hamas loszuwerden.

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Nicht nur Israel fürchtet die Hamas, vor allem die ägyptische Regierung betrachtet sie mittlerweile auch als Gefahr für die eigene Sicherheit. 2013 hatte das Militär unter Führung des damaligen Oberbefehlsbehabers Abdel Fatah Al-Sisi den gewählten Präsidenten Mohammad Mursi abgesetzt. Mursi stammte aus dem Umfeld der eng mit der Hamas verbundenen Muslimbruderschaft, einer vor allem auf dem Land stark verwurzelten Organisation, die in den vergangenen Jahren mit einer Reihe von Terroranschlägen in Verbindung gebracht wurde. Nun befürchten die ägyptischen Sicherheitsdienste, dass sie mit Hilfe der Hamas versuchen könnte, den Staat zu destabilisieren. Im Hintergrund bemüht sich die ägyptische Führung deshalb um eine Ausweitung des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags: Man möchte gerne mehr Militär mit schwerer Bewaffnung auf der Sinai-Halbinsel stationieren, um dort effektiver gegen bewaffnete Gruppen vorzugehen. Im Schatten des Vertrags von Camp David wurde die Wüstenregion zum Rückzugsort für solche Gruppen und auch für den Schmuggel in den Gazastreifen. Es ist wahrscheinlich, dass Israel dem Wunsch zustimmen wird.

Die Optionen für den Gazastreifen sind sehr begrenzt: Eine Fortsetzung des Krieges wird mit noch mehr Zerstörungen und Toten einhergehen. Seine Beendigung würde wahrscheinlich bedeuten, dass die Hamas an der Macht bleibt und erneut aufrüsten wird. Auch im Außenministerium von Katar glaubt man nicht daran, dass die Hamas dauerhaft zu einem Nebeneinander mit Israel bereit sein wird. Sehr unwohl fühlt man sich dort aber auch mit dem eigenen Ruf als »Terror-Unterstützer«. Gerne würde man das in Doha ansässige Politbüro der Hamas loswerden. Doch auch wenn man Katar dafür kritisiert: Im Stillen sind viele ausländische Diplomaten froh darüber, dass Katar diese Kontakte hat. Ohne sie wären die Konfrontationen der vergangenen Jahre wahrscheinlich noch heftiger ausgefallen.

Der jordanische Außenminister Ayman Safadi forderte am Montag, die Arbeit an der Umsetzung der Zweistaatenlösung müsse nun beginnen; sie sei die einzige Möglichkeit für einen dauerhaften Frieden.

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